Kalte Temperaturen bedeuten für viele kalte, weiße Finger und Zehen. Die Behandlung des Raynaud-Syndrom bestand bisher hauptsächlich aus warmen Socken und Handschuhen. Dank Ursachenforschung könnte es bald neue Therapiemöglichkeiten geben.
Zwei bis fünf Prozent aller Menschen sind vom Raynaud-Syndrom oder der „Weißfingerkrankheit“ betroffen: Bei Kälte oder Stress verschließen sich die versorgenden kleinen Blutgefäße, die Finger oder Zehen werden weiß. 1862 von Maurice Raynaud erstmals beschrieben, haben Wissenschaftler vom Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) jetzt gemeinsam mit Kollegen aus Großbritannien die genetischen Ursachen für die Krankheit entdeckt und in der Zeitschrift Nature Communications veröffentlicht.
Raynaud hatte sich 1862 in Paris in seiner Doktorarbeit mit der Weißfingerkrankheit beschäftigt: 25 Betroffene, 20 Frauen und fünf Männer, zeigten bei Kälte die auffälligen Veränderungen an Fingern und Zehen, die teilweise bis zum Absterben der Glieder führten. „Das passiert heute zum Glück nur noch ganz selten“, sagt Dr. Maik Pietzner, Gruppenleiter in der AG Computational Medicine am BIH. „Aber das Verhältnis vier zu eins zwischen Frauen und Männern und die beschriebenen Symptome stimmen nach wie vor. Und weil so viele Menschen davon betroffen sind und es nach wie vor keine wirklich wirksame Behandlung gibt, haben wir versucht, die genetische Ursache des Raynaud-Syndroms zu finden.“
Bei der Suche nach den genetischen Ursachen von Krankheiten hat den Wissenschaftlern um Maik Pietzner und Prof. Claudia Langenberg, die die AG Computational Medicine am BIH leitet und gleichzeitig Direktorin des neugegründeten Instituts für Präzisionsmedizin an der Queen Mary University in London, UK, ist, schon oft der Blick in die UK Biobank geholfen. „Hier sind nicht nur die genetischen Informationen von 500.000 Teilnehmern hinterlegt, sondern auch deren Krankheitsgeschichten in Form von elektronischen Gesundheitsakten“, beschreibt Langenberg den großen Datenschatz. „So konnten wir die Daten von über 5.000 Betroffenen zusammenführen: Welche genetischen Auffälligkeiten finden wir, wann ist das Raynaud-Syndrom zum ersten Mal aufgetreten, unter welchen Begleiterkrankungen leiden die Personen?“
Bei ihren Analysen stießen die Wissenschaftler auf zwei Gene, die bei den von Raynaud Betroffenen häufiger verändert waren: Zum einen war das der alpha-2A-adrenerge Rezeptor für Adrenalin, ADRA2A, ein klassischer Stressrezeptor, der bewirkt, dass sich die kleinen Gefäße zusammenziehen. „Das ist auch sinnvoll bei Kälte oder Gefahr, da muss der Körper das Körperinnere mit Blut versorgen“, erklärt Maik Pietzner. „Bei Raynaud-Patientinnen und -Patienten ist er allerdings besonders aktiv, was vor allem in Kombination mit dem zweiten Gen, das wir gefunden haben, das Problem erklären könnte: Dabei handelt es sich um das Gen für den Transkriptionsfaktor IRX1, das die Fähigkeit zur Gefäßerweiterung regulieren könnte.“ Ist seine Produktion erhöht, können sich die verengten Gefäße nicht mehr so schnell entspannen. Das führt dann zusammen mit dem überaktiven Adrenalinrezeptor dazu, dass die Gefäße über längere Zeit nicht durchblutet sind, was zu den beobachteten weißen Fingern und Zehen führt.
Die Befunde der Wissenschaftler helfen auch erstmals zu verstehen, warum die kleinen Gefäße auch scheinbar ohne äußeren Reiz, vor allem Kälte, bei Patienten so stark reagieren. Daraus ließen sich auch pragmatische Handlungsempfehlungen ableiten. So konnten die Wissenschaftler zeigen, dass Menschen mit einer genetischen Neigung zu niedrigen Blutzuckerspiegeln ein erhöhtes Risiko für die Raynaud-Erkrankung haben und daher Patienten eventuell längere Episoden mit niedrigen Blutzucker meiden sollten.
Teile Ihrer Befunde konnten Pietzner und Kollegen zudem in der Genes & Health Studie replizieren, und so auch die Relevanz für ethnische Minderheiten, hier vor allem British Bangladeshi und Pakistani, zeigen.
„Unsere Ergebnisse passen zu den Beobachtungen“, sagt Langenberg. „Sie können gut erklären, warum die Blutgefäße der Raynaud-Betroffenen schnell eng und nur langsam wieder weit werden.“ Pietzner ergänzt: „Sie erklären auch, warum viele bisher eingesetzte Medikamente nicht wirken: Sie richten sich gegen Mechanismen, die zwar oft die großen Gefäße weiten, aber scheinbar nicht die sehr kleinen Gefäße in unseren Händen und Füßen, die bei Patienten mit Raynaud betroffen sind.“
Die Wissenschaftler machen aber auch Hoffnung. So könnten bereits zugelassene Medikamente, die mehr oder weniger gezielt die Funktion von ADRA2A hemmen, eine Alternative darstellen, wie etwa das Antidepressivum Mirtazapin. „Ich bin überzeugt, dass man nun weitere wirksame Medikamente für die Betroffenen finden wird“, sagt Langenberg und ergänzt: „Unsere Studie zeigt eindrucksvoll, wie wertvoll Informationen aus elektronischen Gesundheitsakten für die Patient*innen-nahe Forschung sind und dass vor allem in Deutschland mehr getan werden muss, um schneller zu einer besseren Versorgung zu kommen.“
Dieser Artikel beruht auf einer Pressemitteilung des Berlin Institute of Health der Charité. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
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