Transgeschlechtliche Personen fühlen sich im Gesundheitssystem oft diskriminiert und scheuen Arztbesuche. Die Folge ist eine schlechtere medizinische Versorgung. Was müsste sich ändern?
Die Begriffe sind vielfältig: trans*, transgender, transgeschlechtlich, transident, nicht-binär oder genderqueer. Gemeint sind Menschen, die sich nicht (oder nicht nur) mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugeordnet wurde. Viele dieser Menschen haben negative Erfahrungen bei Arzt- und Krankenhausbesuchen, bei medizinischen Untersuchungen und Behandlungen gemacht. Als Folge vermeiden viele trans Personen den Kontakt mit dem Gesundheitssystem, sie nehmen Vorsorgeuntersuchungen nicht regelmäßig wahr, gehen bei Beschwerden erst spät zum Arzt oder bekommen nicht die ärztlichen Leistungen, die eigentlich erforderlich wären. Das kann gravierende Folgen für ihre Gesundheit haben: regelmäßige Check-ups fehlen, Krankheiten können chronisch werden oder erst in einem fortgeschrittenen Stadium erkannt.
Transgeschlechtliche Menschen gehen aus den gleichen Gründen zum Arzt wie andere Menschen, etwa wegen einer Grippe, Magenbeschwerden oder Bluthochdruck. Darüber hinaus kann durch Operationen im Genital- und Brustbereich ein spezifischer ärztlicher Versorgungsbedarf in der Gynäkologie, Urologie oder bei der Schmerzbehandlung bestehen. Zudem nehmen viele trans Personen männliche oder weibliche Geschlechtshormone – in der Regel lebenslang. Sie können Nebenwirkungen haben und zu Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten führen, was bei ärztlichen Behandlungen berücksichtigt werden sollte.
In einer aktuellen Untersuchung aus den USA wurden nun trans Personen über ihre Erfahrungen im Gesundheitssystem befragt. Ziel der Studie war es, Probleme zu erkennen und daraus kurz- und langfristige Strategien abzuleiten, um einem unangemessenen Umgang mit transgeschlechtlichen Personen im Gesundheitssystem entgegenzuwirken und eine bessere medizinische Versorgung dieser Patientengruppe zu gewährleisten.
Das Forscherteam befragte in seiner qualitativen Untersuchung 30 transgender Personen im Alter von 18 Jahren oder älter – im Durchschnitt waren sie 31 Jahre alt. In den Ergebnissen zeichneten sich vier typische Themen ab, die transgender Personen häufig erleben:
„Als Konsequenz daraus verheimlichen manche trans* Personen bei Arztbesuchen Informationen über ihre Geschlechtsidentität oder machen falsche Aussagen zu ihrer medizinischen Behandlungsgeschichte“, schreiben die Autoren. Weiterhin gaben die Befragten an, dass es für sie manchmal schwer sei, zu wissen, wann Informationen zu ihrer Geschlechtsidentität für die aktuelle medizinische Fragestellung relevant seien, so dass sie diese offenlegen sollten, und wann nicht. „Wenn Ärzten jedoch Informationen über die Anatomie oder Medikamente wie etwa Geschlechtshormone fehlen, könnte das dazu führen, dass sie eine falsche Diagnose stellen oder mögliche Wechselwirkungen nicht angemessen berücksichtigen“, betonen die Autoren.
Abgeleitet aus den Ergebnissen geben die Forscher folgende Empfehlungen:
Auch in Deutschland fühlen sich trans Personen im Gesundheitssystem häufig nicht gut aufgehoben. „Eine Studie legt nahe, dass 25 Prozent der trans* Personen im Gesundheitssystem, etwa bei Arztbesuchen, medizinischen Untersuchungen oder Klinikaufenthalten, Diskriminierung erleben“, sagt Mari Günther, Fachreferentin für Beratungsarbeit und Gesundheitsversorgung im Bundesverband Trans*. „Vermutlich ist die Zahl aber deutlich höher, da viele Betroffene nicht über Diskriminierung berichten.“
Typische Situationen, die transgeschlechtliche Menschen häufig erlebten, seien zum Beispiel, dass sie mit der falschen Anrede aufgerufen oder – zum Teil gegen ihren ausdrücklichen Wunsch – mit dem falschen Namen oder Pronomen angesprochen würden. „Viele trans* Personen berichten außerdem, dass ihnen irrelevante Fragen gestellt werden, die sie als übergriffig und voyeuristisch empfinden – etwa, wenn sie wegen einer Erkältung zum Arzt gehen und dann nach geschlechtsangleichenden Operationen gefragt werden“, so Mari Günther. „Es kann auch vorkommen, dass sie körperlich nicht gut untersucht werden. Und manche Ärzt*innen lehnen die Behandlung von trans* Personen ganz ab.“
Probleme würden beispielsweise entstehen, wenn auf der Krankenkassen-Karte noch der ursprüngliche Name eingetragen sei. Dies sei oft der Fall, weil eine amtliche Änderung des Namens bisher sehr aufwändig ist. „Einige Ärzt*innen oder medizinische Angestellte bestehen dann darauf, diesen Namen zu verwenden“, so die Fachreferentin. „Oder sie sind der Meinung, dass sie bestimmte, zum Beispiel gynäkologische Untersuchungen oder Behandlungen dann nicht abrechnen können. Dabei ist es zum Beispiel sinnvoll, dass ein trans* Mann, der einen Uterus hat, sich regelmäßig gynäkologisch untersuchen lässt. Ebenso sollten bei trans* Frauen regelmäßige Untersuchungen der Brust und postoperativ auch des Genitalbereichs stattfinden.“ Weiterhin sei es wichtig, zu wissen, dass geschlechtsbezogene Leistungen bei Inter- und Transgeschlechtlichkeit unabhängig vom auf der Versichertenkarte angegebenen Geschlecht mit der Krankenkasse abgerechnet werden können.
Ein weiteres Problem sei, dass bei trans Menschen, die wegen psychischer Probleme eine Behandlung suchen würden, die Transgeschlechtlichkeit häufig für die psychische Erkrankung mitverantwortlich gemacht werde. Oder ihnen werde empfohlen, die Hormontherapie abzusetzen, da diese von den Behandlern als krankmachend angesehen werde. „Dabei wird Transgeschlechtlichkeit in der modernen Medizin längst nicht mehr als Krankheit angesehen“, betont Mari Günther.
So wird diese in der ICD-11, der seit Januar 2022 gültigen Fassung der International Classification of Diseases, als Geschlechtsinkongruenz bezeichnet. Sie ist definiert als eine Nichtübereinstimmung der Geschlechtsidentität mit den Geschlechtsmerkmalen des Körpers und wird als Normvariante und nicht als psychische Störung gesehen. Der Fokus liegt hier auf einem möglichen Leidensdruck durch die Geschlechtsinkongruenz und dem sich daraus ergebenden Versorgungsbedarf.
Auch die S3-Leitlinie „Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit: Diagnostik, Beratung, Behandlung“ geht auf die aktuelle Forschungslage ein und gibt evidenz- und konsensbasierte Behandlungsempfehlungen. Hier wird – sofern die Betroffenen dies wünschen – eine körperliche Behandlung als Versorgungsansatz der ersten Wahl gesehen. „An diesen Empfehlungen sollte sich die Versorgung von trans* Personen orientieren“, sagt Mari Günther.
Die Gründe, warum trans Personen bei ärztlichen Behandlungen negative Erfahrungen machen, könnten vielfältig sein. „Viele Ärzt*innen fühlen sich im Kontakt mit diesen Personen unsicher. Manche verhalten sich aus Unwissenheit oder Unachtsamkeit diskriminierend“, so die Expertin. „Teilweise stecken aber auch Vorurteile, ein ablehnendes Verhalten gegenüber nicht-binären Personen oder ein Abwehrverhalten dahinter.“ So würden einige Ärzte Transgeschlechtlichkeit nach wie vor als psychische Erkrankung ansehen. Sie würden annehmen, dass diese Personen nicht gut beurteilen können, was sie in Bezug auf ihren Körper wollen und daher glauben, dass man ihren Wünschen – etwa nach einer bestimmten Anrede – nicht nachkommen solle.
„Dabei haben Ärzt*innen den Auftrag, so zu handeln, dass alle Patient*innen eine gute medizinische Versorgung erhalten und einen guten Zugang zum Gesundheitssystem haben“, betont Mari Günther. Wie könnte die medizinische Versorgung von transgeschlechtlichen Menschen konkret verbessert werden? Dazu hat der Bundesverband Trans* eine Broschüre für den Praxisalltag herausgegeben.
„Wichtig ist zunächst eine klare Haltung“, sagt Mari Günther. „Dazu gehört, Menschen respektvoll anzusprechen und zu behandeln und eine vertrauensvolle Behandlungssituation zu schaffen.“ Viele Betroffene seien unsicher, wie in einer Praxis oder Klinik mit Transidentität umgegangen wird. Eine offene Haltung gegenüber Geschlechtsdiversität kann zum Beispiel durch ein Statement auf der Webseite oder durch Flyer im Wartezimmer deutlich gemacht werden, erläutert die Broschüre. Der Wunsch von trans Personen, wie sie angesprochen werden möchten – Name, Anrede und Personalpronomen – sollte in jedem Fall respektiert werden. Dies sei sehr wichtig, um eine vertrauensvolle Beziehung aufbauen zu können. Spricht jemand das Thema nicht von selbst an, kann das ärztliche Personal nachfragen, etwa: „Wie möchten Sie angesprochen werden?“ Auch in Patientenfragebögen kann neutral danach gefragt werden, wie die Person angesprochen werden möchte. Dies sollte in den Akten gespeichert und bei zukünftigen Besuchen berücksichtigt werden.
„Darüber hinaus ist es wichtig, dass Ärzt*innen ihre eigene Haltung kritisch reflektieren“, betont die Fachreferentin. „Sie sollten bereit sein, zu verstehen und zu akzeptieren, dass es nicht nur Männer und Frauen, sondern eine breite geschlechtliche Vielfalt gibt. Und sie sollten akzeptieren, dass transgeschlechtliche Personen nicht aufgrund ihres Trans*-Seins psychisch kranke Menschen sind. Manche Ärzt*innen haben dies vielleicht noch in ihrer Ausbildung gelernt und müssen ihre bisherige Sicht revidieren.“
Weiterhin sollten sich die Behandler bewusst sein, dass viele trans Menschen negative Erfahrungen gemacht haben und deshalb bei einem Arztbesuch ängstlich, gereizt oder besonders skeptisch sein können. Dies explizit anzusprechen, könne Vertrauen schaffen, so die Broschüre. Hilfreich sind offene Fragen wie: „Was kann ich tun, damit Sie sich in meiner Praxis gut aufgehoben fühlen?“ oder „Gibt es Dinge, die ich wissen sollte, um gut mit Ihnen zu arbeiten?“ Ärzte sollten sich auch bewusst sein, dass trans Personen wegen vielfältiger Diskriminierungserfahrungen oft verstärkt Stress erleben – und daher ein höheres Risiko für psychische und psychosomatische Erkrankungen haben.
Bei allen Untersuchungs- und Behandlungsschritten sei es wichtig, ihren Sinn zu erklären, so die Broschüre: Etwa, warum eine Frage gestellt wird, warum die Patienten etwas machen sollen (zum Beispiel ein Körperteil entkleiden) oder warum eine Untersuchung oder Behandlung durchgeführt werden soll. Fragen sollten sich nur auf das medizinische Anliegen beziehen und nicht etwa aus Neugier gestellt werden. So sollten Fragen zum Genitalbereich oder zur Sexualität nur gestellt werden, wenn diagnostisch notwendig – etwa bei Verdacht auf eine sexuell übertragbare Krankheit. Die Fragen sollten neutral sein und keine bestimmten sexuellen Vorlieben unterstellen.
Weiterhin gibt es einige spezielle Situationen, auf die Behandler achten sollten. So sollte beim Verfassen von Arztbriefen oder Gutachten mit den Patienten individuell besprochen werden, welcher Vorname und welches Pronomen verwendet werden, erläutert die Broschüre – etwa, wenn die Person oder Institution, an die sich das Schreiben richtet, noch nichts von der gelebten Geschlechtsidentität weiß. Wenn Laborwerte erhoben werden, stehen meist nur männliche und weibliche Referenzwerte zur Verfügung. Hier sollte mit den Patienten besprochen werden, welche Referenzwerte aufgrund der körperlichen Gegebenheiten am aussagekräftigsten sind. „Schließlich sollten Ärtz*innen transgeschlechtliche Menschen an eine spezialisierte Praxis oder eine Trans*-Beratungsstelle überweisen, wenn sie sich bei einem trans*-spezifischen Anliegen nicht sicher genug fühlen“, sagt Mari Günther. „Noch schöner wäre es allerdings, wenn sie sich fortbilden und ihre Kompetenz erweitern würden.“
Auch was die medizinische Aus- und Weiterbildung betrifft, gibt es noch viel Verbesserungsbedarf. „Leider wird das Thema ‚Transgeschlechtlichkeit‘ im Medizinstudium nur kurz erwähnt und sonst weder im Studium noch bei Facharztausbildungen berücksichtigt“, kritisiert die Expertin. „Wichtig wäre jedoch, dass geschlechtliche Vielfalt in allen medizinischen Ausbildungsstufen berücksichtigt wird. Und in bestimmten Facharztbereichen, etwa in der Gynäkologie oder Infektiologie, sollte es noch einmal intensiver behandelt werden.“ Darüber hinaus sollte es mehr Forschung zu allen Aspekten der Gesundheit bei transgeschlechtlichen Personen geben. „Denn das medizinische Wissen, zum Beispiel zu den Nebenwirkungen einer Hormontherapie, ist bisher häufig von Menschen abgeleitet, die nicht trans* sind“, erläutert Mari Günther.
Egal, in welchem Fachbereich: Eine ärztliche Praxis oder Klinik zu finden, in der sie sich gut aufgehoben fühlen, ist für trans Menschen oft nicht einfach. „Vor allem in großen Städten und Ballungsräumen gibt es zwar einige Arztpraxen, die sich auf trans* Patient*innen spezialisiert haben“, sagt Mari Günther. „Allerdings reicht die Kapazität dieser Praxen längst nicht aus.“ Wie können die Betroffenen also einen passenden Arzt finden? „Eine Möglichkeit ist, bei trans*-Beratungsstellen nachzufragen“, so die Expertin. „Weiterhin kann auf Portalen wie Queermed oder Gynformation nach queer-freundlichen Ärzt*innen gesucht werden.“ Eine Suche nach Beratungsstellen ist bei Regenbogenportal möglich – einem Informationsportal der Bundesregierung zum Thema geschlechtliche und sexuelle Vielfalt. Darüber hinaus können Arztpraxen, die Erfahrung mit trans Personen haben, möglicherweise queer-freundliche Ärzte aus anderen Fachbereichen empfehlen.
Bildquelle: Luís Eusébio, Unsplash