Cannabinoide sind beliebte Schmerzmittel, vor allem in der Krebstherapie. Sie sind sicher, wirksam und verträglich – so zumindest ihr Image. Aber die Sache hat einen Haken.
Seit dem 10. März 2017 dürfen Ärzte im Einzelfall medizinisches Cannabis verordnen und die Zahl der Verordnungen geht seither stetig steil nach oben. Unter anderem wird Cannabis zur Schmerzlinderung bei Krebspatienten genutzt – die Patienten haben an diese Art der Therapie häufig große Erwartungen. Doch wie sicher ist es, dass es auch wirklich hilft? Nach mehr als sechs Jahren zeigt ein aktuelles systematisches Review des multinationalen Komitees zur supportiven Therapie bei Krebserkrankungen (MASCC) keine guten Ergebnisse. Wie kann das sein, obwohl die Verordnungen im Rahmen der GKV seit Jahren immer wieder ansteigen?
Verordnungen von cannabinoidhaltigen Fertigarzneimitteln und Zubereitungen in der GKV in Deutschland in den Jahren 2018 bis 2022. Credit: Cannabinoidhaltige Arzneimittel – GKV-Verordnungen bis 2022 | Statista Im Jahr 2022 wurden im Rahmen der GKV deutschlandweit etwa 431.600 Cannabis-Verordnungen registriert. Viele davon wurden aufgrund von Schmerzen ausgestellt. So verwenden etwa 18 % der Krebspatienten neben anderer Schmerzmedikation auch Cannabis. Das MASC wollte durch eine systematische Überprüfung randomisierter Cannabis-Krebsstudien herausarbeiten, ob der Einsatz bei Schmerzen sinnvoll ist und die Risiken von Neben- und Wechselwirkungen aufwiegt. Grundsätzlich ist der Einsatz in der Schmerztherapie naheliegend, denn der Wirkstoff Tetrahydrocannabinol hat eine partiell agonistische Wirkung auf das endogene Cannabinoid-System. Seine analgetische Wirkung wird zurückgeführt auf die Unterbrechung der synaptischen Schmerzweiterleitung, wobei der komplette Wirkmechanismus und damit auch das exakte therapeutische Potenzial der Cannabinoide bis heute noch nicht komplett entschlüsselt wurde.
Im Journal Supportive Care in Cancer veröffentlichte nun das MASC sein Review, indem es dafür 34 randomisierte Studien und systematische Reviews auswertete. Die Qualität der verfügbaren Daten wurde vor allem in Bezug auf Risiken und Nebenwirkungen als nicht zufriedenstellend beurteilt, was eine Auswertung natürlich schwieriger macht. Häufig wurden offenbar bei Kohortenstudien Korrelationen nachgewiesen, die im Nachgang aber als Kausalität interpretiert wurden. Eine überzeugende Evidenz für den Einsatz von Cannabis als unterstützende Medikation bei Krebsschmerzen ließ sich für das MASC nicht erkennen.
Vor allem die Langzeit-Sicherheitsdaten bereiteten den Experten Sorgen, denn bekannte Nebenwirkungen wie Schwindel, Sedierung, Benommenheitsgefühl, Schläfrigkeit, Einschränkungen in der Aufmerksamkeit, Übelkeit und Erbrechen oder auch die Verschlechterung der Stimmungslage, könnten gerade die ohnehin geschwächten Krebspatienten in besonderem Maße negativ beeinflussen. Sie sehen zudem das Problem des Suchtpotentials bei den emotional und psychisch häufig destabilisierten Patienten, die mit ihrer Krebsdiagnose ohnehin bereits genug zu kämpfen haben.
Dass durch die Gabe von Cannabinoiden die Opioid-Dosen reduziert werden können, gab es in allen Studien keine Anhaltspunkte. Im Gegenteil scheint die Kombination beider Wirkstoffe eher dazu zu führen, dass die Nebenwirkungen der Opioide durch den gleichzeitigen Einsatz verstärkt werden. Der Grund ist der Abbau von THC und Cannabidiol (CBD) in der Leber über Cytochrom-P450-Enzyme, was auch zahlreiche weitere Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten erklärt.
Eine Besondere Warnung der Autoren betrifft den gleichzeitigen Einsatz von Kombinationen aus Cannabis und Checkpoint-Inhibitoren. Die Wirkung der monoklonalen Antikörper, die inhibitorische Immuncheckpoints blockieren und auf diese Weise die intrinsische Anti-Tumor-Immunantwort von T-Zellen triggern, kann durch die immunsuppressive Wirkung von Cannabinoiden die Effektivität der Krebstherapie herabsetzen.
Das Fazit der MASCC fällt daher negativ für den Einsatz von Cannabinoiden zur unterstützenden Schmerztherapie bei Krebspatienten aus. Gefordert werden vor allem qualitativ bessere Studien, da die aktuelle Datenlage keine andere Bewertung zulässt. Dies ist auch schon bei anderen Übersichten systematischer Reviews aufgefallen und bemängelt worden, die ebenfalls keine ausreichende Evidenz für Cannabinoide (Dronabinol, Nabilon, Medizinalhanf, THC/CBD-Spray) bei Tumorschmerzen feststellen konnten. Auch bei der Übersichtsarbeit war das Fazit, dass eine Diskrepanz zwischen der öffentlichen Wahrnehmung der Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit von Cannabisprodukten in der Schmerz- und Palliativmedizin und den Ergebnissen nach den Standards der evidenzbasierten Medizin besteht.
Das sind allerdings keine völlig neuen Erkenntnisse, da bereits die Meta-Analyse CaPRis aus dem Jahr 2018, die über 2.000 Studien betrachtete, zu dem Schluss kam, dass es wenig Evidenz für den Einsatz von cannabinoidhaltigen Arzneimitteln gibt – und weitere Forschung dringend nötig ist, um die Risiken und Potentiale von Cannabis besser zu verstehen. Viele Patienten und viele Ärzte hoffen darauf, dass sich in den kommenden Jahren in dieser Hinsicht mehr bewegt. Auch in den Apotheken werden die Mitarbeiter häufig nach ihrer Meinung gefragt, ob sich der Einsatz cannabinoidhaltiger Medikamente lohnen kann. Mehr vertrauenswürdige Studien wären hier wünschenswert, um den Patienten eine fundiertere Antwort geben zu können.
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