Viele Patienten mit Schizophrenie oder Depression nehmen ihre Medikamente unregelmäßig. Eine intelligente Pille gibt Auskunft darüber, ob sie geschluckt wurde. Damit soll sich die Compliance verbessern. Ein großer Fortschritt oder die fortschreitende Entmündigung des Patienten?
Das Neuroleptikum Abilify mit dem Wirkstoff Aripiprazol wird seit 2002 in den USA und seit 2004 in Europa zur Behandlung von Schizophrenie, Depressionen und manischen Phasen einer bipolaren Störung verschrieben. Nun kommt die Tablette mit einem digitalen Upgrade in Form von winzigen schluckbaren Sensoren daher. Diese heißen Ingestible-Event-Marker-Sensors (IEM). Sie sollen nachvollziehbar machen, ob Patienten das Medikament den Anweisungen entsprechend einnehmen oder nicht, wie DocCheck bereits berichtete. Bereits 2012 erteilte die amerikanische Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelbehörde (FDA) die Zulassung zur Erforschung der digitalen Pille. Unter dem Namen Abilify MyCite soll das Medikament 2018 auf den Markt kommen.
Das System besteht neben der Tablette aus dem MyCite-Patch (Pflaster) und der MyCite-App. Das Ganze funktioniert so: Kupfer, Magnesium und Silizium erzeugen bei Kontakt mit Magenflüssigkeit einen elektrischen Impuls. Dieser wird von dem Hautpflaster, das am linken Brustbein platziert wird, detektiert und per Bluetooth an die App übermittelt. Die Daten werden in das Abilify-MyCite-Internet-Portal übertragen. Von dort aus bekommen dann Ärzte, Pfleger oder Familienmitglieder eine Übersicht darüber, ob die Patienten sich an die Einnahmeverordnungen halten. Dem Einblick in die Daten durch andere Personen muss der Patient jedoch zustimmen, die Entscheidung darüber lässt sich jederzeit wieder umkehren.
Bei der MyCite-App für die digiate Pille kann der Patient zusätzlich seine Gefühle, tägliche Aktivitäten und das Schlafverhalten eintragen. Die FDA erklärt, dass sie die Entwicklung solcher neuen Anwendungen unterstützt, um herauszufinden, wie Patienten und Behandlern damit geholfen werden könnte. Kritikern geht das jedoch zu sehr ins Detail, sie sehen hier ethische Probleme. Was passiert, wenn Krankenkassen detektierbare Tabletten zukünftig flächendeckend in verschreibungspflichtigen Medikamenten einsetzen? Um zum Beispiel Leistungen zu verweigern oder Gebühren zu erheben, wenn jemand vergisst, seine Tablette zu nehmen. Kommt dann eine Push-Benachrichtigung auf unser Smartphone, dass Zusatzkosten anfallen, wenn das Medikament nicht innerhalb der nächsten Stunde eingenommen wird? Der deutsche Ethik-Rat fordert in Zukunft strengere Regeln für das Datensammeln im Medizinsektor. Die Souveränität des Einzelnen über seine Daten müsse einen besonderen Schutz genießen. In der Stellungnahme vom 30.11. 2017 heißt es dazu unter anderem: „Bei der Verwendung von Erkenntnissen aus Big-Data-Analysen besteht eine Gefahr darin, dass die zugrunde liegenden Daten, die gewählten Randbedingungen der Analyse und angewandten Algorithmen zu Ergebnissen führen können, die eine systematische und nur schwer erkennbare Diskriminierung von Personen oder Gruppen nach sich ziehen.“ Insgesamt empfiehlt das Gremium deshalb das Datenschutzgesetz umfassend weiterzuentwickeln, um Patienten im Gesundheitsbereich vor einen Machtmissbrauch zu schützen. Das Medikament Abilify und der darin enthaltene Wirkstoff Aripiprazol sind bereits seit 2004 in der gesamten EU zugelassen. Die Neuzulassung der FDA für die digitale Pille gilt zunächst für den US-amerikanischen Markt. Angaben dazu, ob und wann die digitale Variante auch nach Deutschland kommen wird, gibt es momentan noch nicht.