Wenn das Kinderkriegen misslingt, wird oft nur die Frau behandelt – obwohl es auch immer häufiger an den Männern liegt. Doch da hängt die Medizin weit hinterher. Das soll sich nun ändern.
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation ist heute eines von sechs Paaren im fortpflanzungsfähigen Alter von Unfruchtbarkeit betroffen. In etwa der Hälfte der Fälle geht sie von Männern aus. Da die männliche Unfruchtbarkeit weltweit zunimmt, betonen 25 internationale Experten, dass Männer ein Recht auf aussagekräftige Diagnosen und gezielte Behandlungen haben. Leider sind diese derzeit in den meisten Fällen nicht verfügbar. Das fehlende Wissen über die Ursachen der männlichen Unfruchtbarkeit hat in Kombination mit begrenzten klinischen Mitteln dazu geführt, dass die Behandlung der männlichen Unfruchtbarkeit auf Frauen ausgerichtet ist – mit mühsamen und riskanten invasiven Verfahren.
In einem Konsensbericht, der in der Fachzeitschrift Nature Reviews Urology veröffentlicht wurde, gibt ein Konsortium von 25 Wissenschaftlern unter der Leitung von Moira O'Bryan, Dekanin der Wissenschaft an der Universität von Melbourne, zehn Empfehlungen, die die Gesundheit von Männern und ihren Kindern verbessern und die Belastung für ihre Partnerinnen verringern könnten.
„Der rapide Rückgang der männlichen Fruchtbarkeit lässt sich nicht durch die Genetik erklären. Studien weisen darauf hin, dass Umweltfaktoren eine treibende Kraft sind“, so Erstautorin Sarah Kimmins von dem University of Montreal Hospital Research Centre. „Dazu gehört die zunehmende Exposition gegenüber hormonstörenden Chemikalien, die in unserem täglichen Leben vorkommen und in der Umwelt verbleiben. Weitere Faktoren sind die zunehmende Zahl übergewichtiger und fettleibiger Männer, schlechte Ernährung, Stress, Cannabiskonsum, Alkohol und Rauchen oder Dampfen. Leider sind sich die Männer dieser Faktoren im Allgemeinen nicht bewusst.“
Eine der wichtigsten Empfehlungen des Berichts besteht darin, die Öffentlichkeit durch Gesundheitskampagnen für diese Lebensgewohnheiten zu sensibilisieren, die die Fruchtbarkeit von Männern gefährden. „Da es Monate dauert, bis Spermien gebildet werden, sollten Männer lange vor der Familienplanung einen gesunden Lebensstil in Betracht ziehen“, sagt Dr. Jacquetta Trasler, Mitautorin der Studie und leitende Wissenschaftlerin am Forschungsinstitut des McGill University Health Centre.
„Die Klinik ist schlecht ausgestattet, um die männliche Fortpflanzung richtig zu diagnostizieren und zu behandeln. Die derzeitigen Methoden beruhen auf veralteten Techniken“, sagt Géraldine Delbès, Mitautorin der Studie und Forscherin am Institut national de la recherche scientifique. Gegenwärtig werden Männer auf der Grundlage ihrer Familiengeschichte, einer körperlichen Untersuchung, eines Hormonprofils und einer einfachen Samenanalyse, die sich seit mehr als 50 Jahren nicht verändert hat, als unfruchtbar eingestuft. „Als Mediziner müssen wir in Zukunft mehr Mittel für die Forschung bereitstellen, damit wir Männern empfindliche und genaue Tests für die Spermiengesundheit anbieten können“, so Trasler.
Um dieses Ziel zu erreichen, haben Kimmins und ihr Team jahrelange Forschung betrieben, um eine bessere Diagnose der männlichen Fruchtbarkeit zu entwickeln. Das Projekt trägt den Namen HisTurn und wird das voraussichtlich erste genomische Diagnostikum sein, das einen personalisierten medizinischen Ansatz für männliche Unfruchtbarkeit bietet. Aktuell wird HisTurn klinisch validiert. Das langfristige Ziel besteht darin, eine genaue Diagnose in Fruchtbarkeitskliniken für Männer zu ermöglichen, welche dann die Behandlung besser lenken kann. Dadurch können Paare und Kliniken Geld sparen und die Effizienz und Erfolgsquoten der Fruchtbarkeitsbehandlung können verbessert werden.
„Die abnehmende Samenqualität und die zunehmende Häufigkeit von Hodenkrebs und angeborenen Defekten im Urogenitalsystem deuten darauf hin, dass die reproduktive Gesundheit von Männern in den letzten Jahrzehnten weltweit abgenommen hat. Es muss geforscht werden, um zu verstehen, warum dies so ist und wie dieser Trend umgedreht werden kann. Dringende, weltweite Maßnahmen zur Umsetzung unserer Empfehlungen sind von entscheidender Bedeutung“, erklärt O’Bryan.
Dieser Beitrag basiert auf einer Pressemitteilung der University of Montreal. Die Originalstudie haben wir euch ihr hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Deon Black, Unsplash