Frauen sind häufiger von Schmerzerkrankungen betroffen – und werden mit Beschwerden weniger ernst genommen. Warum ist das so?
Lange wurden Geschlechtsunterschieden in der Medizin wenig Beachtung geschenkt – auch in der Schmerzmedizin. Inzwischen weiß man aber, dass das Geschlecht eine große Rolle bei Schmerzerkrankungen spielt, erklärt Dr. Daniela Rosenberger, Assistenzärztin der Anästhesie am Universitätsklinikum Münster. Das gelte hinsichtlich des Auftretens solcher Erkrankungen, des Schweregrades, der Art der Betroffenheit sowie der Kommunikation von und dem Umgang mit Schmerzen. Zusammen mit Dr. Bianca Raffaelli, Fachärztin für Neurologie von der Charité Universitätsmedizin Berlin, widmete sie sich auf der Pressekonferenz zum diesjährigen Kongress der Deutschen Schmerzgesellschaft der Geschlechterproblematik – und welche Konsequenzen das für Patienten und behandelnde Ärzte hat.
„Frauen sind häufiger von Schmerzen und Schmerzerkrankungen betroffen“, sagt Rosenberger. Sie berichten von intensiveren und länger anhaltenden Schmerzen in mehr Körperbereichen. Experimentelle Untersuchungen deuten laut Rosenberger darauf hin, dass Frauen für einige Schmerzmodalitäten empfindlicher sind und niedrigere Schmerzschwellen haben als Männer. Auch die körpereigene Schmerzhemmung scheint bei Frauen weniger effizient zu sein, d. h., dass Frauen Schmerzreize möglicherweise intensiver erleben, was zur Chronifizierung von Schmerzen beitragen kann. All diese Faktoren können wichtige Auswirkungen auf die medizinische Praxis und die Schmerztherapie haben, meint die Expertin.
Ein Beispiel, das inzwischen häufig für Geschlechtsunterschiede bei Erkrankungen herangezogen wird, ist die Migräne, wie Dr. Raffaelli erklärt. „Frauen sind etwa doppelt so häufig von Migräne betroffen als Männer, während Männer häufiger an Cluster-Kopfschmerz leiden.“ Die Ursachen für die erhöhte Prävalenz von Migräne bei Frauen sind u. a. hormonell bedingt. Schwankungen in den Konzentrationen von Sexualhormonen können den Migräneverlauf beeinflussen – ein schneller Abfall der Östrogenkonzentrationen kann bei manchen Frauen Migräneattacken triggern, was als „Östrogenentzugshypothese“ bekannt ist, wie Rafaelli erläutert. Sie betont aber, dass Migräne natürlich auch Männer betrifft. „Die historische Sichtweise, die Migräne ausschließlich als ‚Frauenerkrankung‘ einordnet, ist nicht korrekt und kann sogar für beide Geschlechter stigmatisierend wirken.“
Auch Dr. Rosenberger macht darauf aufmerksam, dass Hormone eine entscheidende Rolle bei den Ursachen für die Geschlechtsunterschiede in der Schmerzverarbeitung spielen – auch wenn sie noch nicht vollständig verstanden sind. Man dürfe laut Rosenberger neben den biologischen Faktoren aber nicht die soziokulturellen Einflüsse vergessen. „Das Selbstbild und die Erwartungshaltung haben einen Einfluss, den man nicht unterschätzen darf!“, sagt Dr. Rosenberger. Unterschiede in der Art und Weise, wie Frauen und Männer Schmerzen beschreiben, und die (unbewussten) Erwartungen von Ärzten an die Schmerzäußerungen können dazu führen, dass Schmerzen von Frauen oft weniger ernst genommen und eher psychischen Ursachen zugeschrieben werden.
Ein wichtiges Thema, auf das die Anästhesistin zuletzt zu sprechen kommt, ist die wissenschaftliche Untersuchung von Schmerzen, die primär Frauen betreffen. Das Problem: Keinen interessiert‘s. Endometriose ist dafür das Paradebeispiel. Rosenberg: „Betroffene warten bis zu 10 Jahre auf eine Diagnose.“ Das liege z. B. auch daran, dass selbst starke Regelschmerzen als normal betrachtet werden. Einen interessanten Aspekt wirft Dr. Rafaelli ein: „Die Endometriose tritt doppelt so häufig bei Frauen mit Migräne auf im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung.“ Möglicherweise stecken also gemeinsame Mechanismen hinter beiden Krankheitsbildern.
Beide Expertinnen machen darauf aufmerksam, dass Mediziner und Wissenschaftler geschlechtsspezifische Aspekte bei Schmerzerkrankungen auf dem Schirm haben sollten. Dr. Rafaelli: „So lässt sich das Verständnis der Erkrankung vertiefen und maßgeschneiderte Herangehensweisen zur Prävention und Therapie entwickeln.“ Und das gilt unabhängig vom Geschlecht.
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