Er ist von keiner Party und aus keinem Restaurant wegzudenken – der gute alte Alkohol. Ich selbst meide ihn. Warum ich ihn aus Apothekersicht trotzdem spannend finde, erfahrt ihr in meinem chemischen Rundumschlag.
Für jemanden wie mich, der so gut wie nie Alkohol trinkt, ist es manchmal schwer verständlich, warum Alkohol – trotz seiner zahlreichen negativen Auswirkungen – in unserer Gesellschaft generell akzeptiert wird und für viele Anlässe ein Muss zu sein scheint. Hallo, Oktoberfest. Was ich jedoch noch weniger verstehe, ist, warum manche Menschen einfach nicht akzeptieren wollen, dass man selbst keinen Alkohol trinken möchte. Wie oft habe ich in meinem Leben schon „Ach, komm! Stell dich doch nicht so an. Ein Gläschen geht schon!“ oder Varianten davon hören müssen, nachdem ich deutlich „Nein!“ gesagt habe.
Als Jugendlicher habe ich oft Sprüche von Älteren gehört, dass ihnen Bier oder Wein anfangs auch nicht schmeckte. Da trinkst du einfach weiter und irgendwann geht’s schon, hieß es dann immer. Nein, danke. Wenn mir etwas nicht schmeckt, trinke ich es nicht. So einfach ist das.
Wenn man in diesen Zusammenhängen von Alkohol spricht, ist damit immer Ethanol gemeint. Hier mal die chemischen Basics – wer das schon weiß, kann einfach weiterscrollen. Ethanol ist der Trinkalkohol, aber nicht der einzige Alkohol, den es gibt. Bei Ethanol handelt es sich um eine organische Verbindung. Die organische Chemie ist die Chemie der Kohlenstoffatome. Ein Kohlenstoffatom (C), an das drei Wasserstoffatome (-H) und eine Hydroxygruppe (-OH) gebunden sind, wird als Methanol (CH3OH) bezeichnet. Liegen hingegen zwei Kohlenstoffatome mit einer Hydroxygruppe vor, landen wir schon beim Ethanol (C2H5OH), dem Trinkalkohol.
Die meisten Handdesinfektionsmittel, die wir in den letzten Jahren dank Corona so zahlreich gekauft haben, enthalten Ethanol oder Isopropanol, ein Alkohol, der aus drei C-Atomen besteht. Der Grund dafür ist, dass diese beiden Alkohole in der Lage sind, Keime abzutöten.
Spricht man von alkoholischen Getränken, ist damit kein reines Ethanol gemeint, das man mit irgendeinem Geschmack verfeinert hat, denn davon würde man nicht sehr viel trinken können – wenn man es überhaupt hinunterbekäme. Alkoholische Getränke sind Lösungen von Ethanol in Wasser. Wie viel Alkohol im Getränk enthalten ist, wird in Volumenprozent auf der Flasche angegeben.
Bier hat einen Alkoholanteil von etwa 5 Volumenprozent. Mal mehr, mal weniger, je nach Sorte. Das bedeutet, dass 100 Milliliter Bier aus 5 Millilitern Ethanol und 95 Millilitern Wasser besteht, in denen die ein oder andere chemische Verbindung gelöst ist. Alkoholfreies Bier enthält in der Regel übrigens ebenfalls Alkohol. Ein Bier gilt nämlich dann als alkoholfrei, wenn es nicht mehr als 0,5 Volumenprozent Alkohol enthält. Wer also ein Bier trinken will, das tatsächlich gar keinen Alkohol enthält, muss eines wählen, auf dessen Etikett explizit 0,0 % steht („ohne Alkohol“).
Alkohol versteckt sich aber auch in anderen Getränken, bei denen man es vielleicht nicht gleich vermutet – in Fruchtsäften zum Beispiel. Fruchtsäfte dürfen bis zu 0,38 Volumenprozent Alkohol enthalten. Aber keine Sorge, das schadet euren Kindern nicht, außer, sie trinken mehrere Liter davon auf einmal. Wenn euer Kind also zehn Flaschen Apfelsaft in sein Zimmer schleppt, dann solltet ihr vielleicht hellhörig werden. Vor allem dann, wenn es auch noch Brot mitnehmen möchte. Oder Kuchen. Ja, auch Brot und Kuchen enthalten Alkohol. Jeweils etwa 0,3 Volumenprozent. Die Gefahr, dass die Kleinen auf dem nächsten Kindergeburtstag anfangen zu lallen, dürfte jedoch verschwindend gering sein.
Das wirft unweigerlich die Frage auf, wie der Alkohol da reinkommt. Die Antwort lautet: durch Gärungsprozesse. Bei der Vergärung werden die Einfachzucker Glukose und Fruktose durch Hefepilze in Ethanol umgewandelt – sie werden vergoren. Das Ziel der Hefepilze ist dabei nicht die Produktion von Alkohol. Sie möchten sich einfach nur vermehren. Und dafür brauchen sie eben Zucker als Energielieferanten. Der Alkohol entsteht da nur nebenbei als Stoffwechselprodukt. Gärungsprozesse lassen sich aber auch aufhalten. Dazu muss man die Hefepilze abtöten. Das erreicht man zum Beispiel durch Hitze. Man nennt das Pasteurisierung, nach Louis Pasteur, dem französischen Chemiker, Physiker, Biochemiker und dazu noch Mitbegründer der medizinischen Mikrobiologie, der dieses Verfahren 1864 entwickelte. Auf diese Weise werden unter anderem Fruchtsäfte länger haltbar gemacht (ja, auch Milch.)
Übrigens enthalten auch Bananen Alkohol. Je länger sie reifen, desto süßer schmecken sie. Das liegt daran, dass Bananen Stärke enthalten. Stärke ist eine chemische Verbindung, die aus ganz vielen Glukosemolekülen aufgebaut ist. Wenn die Banane also so vor sich hinreift, wird die Stärke in ihr zu Glukose abgebaut. Die Glukose in der Banane wird dann zum Teil zu Alkohol vergoren. So kommen Bananen auf einen Alkoholgehalt von bis zu 0,6 Volumenprozent.
Wie der ein oder andere vielleicht schon weiß, wird Glukose auch Traubenzucker genannt und woran lässt uns Traubenzucker denken? Ganz genau: an Trauben, Weintrauben. Streng genommen heißen Weintrauben übrigens gar nicht Weintrauben, sondern Weinbeeren. Weintrauben sind nämlich die kompletten Fruchtstände der Weinrebe, also die Beeren zusammen mit dem Stielgerüst. Wenn man von einer Traube von Menschen spricht, meint man damit auch nicht eine einzelne Person, sondern eine Gruppe von Menschen. Think about it.
Aus Weintrauben lassen sich dann verschiedene Getränke herstellen, wie Traubensaft oder Wein. Um Traubensaft herzustellen, werden die Trauben früh im Herbst gepflückt, da sie dann noch nicht so süß sind. Die Süße der Beeren kommt vor allem von der enthaltenen Glukose und Fruktose. Da sich Hefepilze auf den Beeren befinden, muss man schnell arbeiten, damit diese möglichst wenig Zeit bekommen, um die Einfachzucker in Alkohol umzuwandeln. Die Trauben werden nach dem Pflücken zuerst entrappt, was bedeutet, dass man die Beeren von ihrem Stielgerüst befreit. Anschließend wird aus der Maische, also dem Gemisch aus Traubensaft, Traubenkernen und Beerenschalen, der Most abgepresst. Dabei handelt es sich noch um einen trüben Saft, in dem sich unter anderem auch noch Hefe befindet. Diese muss mitsamt den anderen Bestandteilen schnell abfiltriert werden, sodass man einen klaren Saft erhält. Dann wird der Saft pasteurisiert. Die Hitze tötet die letzten verbliebenen Hefepilze ab.
Unter den Fruchtsäften stellt Traubensaft, was den Alkoholgehalt angeht, einen Sonderfall dar. Er darf als einziger nicht nur 0,38, sondern sogar bis zu einem Volumenprozent Alkohol enthalten. Das liegt in der von Natur aus starken Besiedlung der Beeren mit den Hefepilzen begründet, weshalb Trauben eben auch stärker gären können als andere Früchte.
Möchte man doch mehr Alkohol im Traubensaft haben, lässt man die Gärung einfach zu und erhält vergorenen Traubensaft. Vergorener Traubensaft wird Wein genannt und Wein enthält zwischen 9 und 13 Volumenprozent Alkohol. Um Rotwein herzustellen, geht man ähnlich wie bei der Herstellung des Traubensaft vor, nur lässt man die Trauben länger reifen, bevor man sie pflückt. Dadurch enthalten sie mehr Zucker, wodurch bei der Gärung folglich mehr Alkohol gebildet werden kann.
Der Maische wird für den Gärungsprozess meist extra Hefe zugegeben. Man verlässt sich also nicht unbedingt auf die Hefepilze auf den Schalen. Lässt man den Zucker (fast) komplett zu Alkohol umwandeln, erhält man einen trockenen Rotwein. Unterbricht man die Gärung vorzeitig, zum Beispiel durch Entfernung der Hefe, enthält der entstandene Wein noch Restzucker und schmeckt dementsprechend süßer als ein trockener Wein. Da Fruktose bei der Gärung langsamer in Ethanol umgewandelt wird als Glukose, ist der Fruktosegehalt im Wein höher als der Glukosegehalt. In den Beeren war das Verhältnis noch 1:1, da die beiden Monosaccharide Glukose und Fruktose aus der Spaltung des Disaccharids Saccharose, dem normalen Haushaltszucker, entstehen.
Ein Alkoholgehalt größer als rund 15 Volumenprozent kann allerdings nicht durch natürliche Gärung entstehen, da Alkohol in höherer Konzentration die Hefepilze abtötet. Stichwort: Desinfektionsmittel. Der Rotwein erhält seine charakteristische Farbe, indem der bei der Vergärung entstehende Alkohol die roten Farbstoffe aus den Beeren löst. Man spricht dabei von der Maischegärung. Bei Weißwein hingegen wird der Most vergoren (Mostgärung). Da im Most keine roten Schalen mehr vorhanden sind, erhält der Wein folglich auch keine rote Farbe. Aus roten Beeren lassen sich also sowohl Rot- als auch Weißwein herstellen. Aus hellen Beeren – Überraschung – nur Weißwein.
Wird der Wein oder ein anderes alkoholisches Getränk getrunken, geht das Ethanol praktisch vollständig ins Blut über. Die Aufnahme beginnt bereits im Mund und in der Speiseröhre. Der größte Teil des Ethanols wird jedoch im Magen und im Dünndarm aufgenommen. Ist der Magen leer, wird das Ethanol schneller in den Dünndarm weitertransportiert und geht folglich schneller ins Blut über. Auch durch das Trinken kohlensäurehaltiger Getränke wird Ethanol schneller aufgenommen, was daran liegt, dass die Kohlenstoffdioxid-Bläschen die Schleimhaut im Magen reizen, wodurch diese besser durchblutet wird. Eine bessere Durchblutung erhöht die Geschwindigkeit der Aufnahme des Ethanols.
Alkohol wird im Körper durch die Alkoholdehydrogenase (ADH) zu Acetaldehyd abgebaut. Dieser Vorgang findet in der Leber statt. Die Aldehyddehydrogenase baut das Acetaldehyd dann weiter zu Essigsäure ab, die dann wiederum zu Kohlenstoffdioxid (CO2) und Wasser gespalten wird.
Alkohol wird gleichmäßig aus dem Blut eliminiert. Pro Stunde nimmt die Blutalkoholkonzentration in etwa um 0,15 Promille ab. Der Grund dafür ist die begrenzte Kapazität der Alkoholdehydrogenase. Wie genau Ethanol im Körper wirkt, ist noch nicht vollständig geklärt. Man geht davon aus, dass Ethanol nicht nur an Rezeptoren bindet und so seine Wirkung entfaltet, sondern eher, dass es sich im zentralen Nervensystem (ZNS) in die Zellmembranen einlagert.
Trotzdem wirkt Ethanol ebenso auf die Neurotransmittersysteme. Es übt zum Beispiel aktivierende Effekte auf die GABA-A-Rezeptoren aus, indem es die Menge an GABA, der Gamma-Aminobuttersäure, erhöht, wodurch Ethanol dämpfend wirkt. Bei Alkoholikern vermindert sich die Anzahl der GABA-A-Rezeptoren, was zur Folge hat, dass von ihnen mehr Alkohol getrunken werden kann, bis die dämpfende Wirkung eintritt. Es kommt zur Toleranzentwicklung.
Ethanol hat auch hemmende Effekte auf die NMDA-Rezeptoren im Gehirn. Das ist der Grund, weshalb es zu Gedächtnisstörungen kommt, wenn man zu viel Alkohol getrunken hat. Außerdem hat Alkohol enthemmende Effekte, wie sicherlich jedem bekannt sein dürfte, der angetrunkene Menschen live in Aktion erlebt hat. Aber auch eine angstlösende Wirkung – man wird mutig. Oft übermütig, was gefährlich sein kann. In hohen Konzentrationen wirkt Alkohol dämpfend auf das ZNS, Alkohol ist also auch ein Schlafmittel. Jedoch kein empfehlenswertes.
Es gibt eine interessante Krankheit, die vermutlich selten vorkommt, aber sehr gut hier hinpasst. Sie heißt Eigenbrauer-Syndrom. Man kennt zwar nicht viele Fälle, aber die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher sein. Beim Eigenbrauer-Syndrom ist das Darmmikrobiom gestört – vermutlich durch die zu häufige Einnahme von Antibiotika. Dadurch wird der Darm unter anderem von Hefepilzen besiedelt, die – ihr ahnt es schon – Glukose und Fruktose in Ethanol umwandeln. Die Betroffenen sind also angetrunken, obwohl sie gar keinen Alkohol getrunken haben. Das kann letztendlich auch zu einer Leberschädigung führen und Ärzte sollten diese Erkrankung definitiv im Hinterkopf haben, wenn es um die Leber geht.
Dieser Artikel ist ein Auszug aus „Die Wahrheit über unsere Drogen“ von #DerApotheker und Dr. Carsten Schleh. Das Buch erscheint am 27. Oktober 2023.
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