Bevor die Leiche im Präpkurs liegt, wird sie sechs Monate lang konserviert. Dann wird an ihr geübt, später braucht man sie noch für die Prüfungen. Bis es zur Bestattung kommt, vergehen oft zweieinhalb Jahre. Es gibt viele Freiwillige, doch nicht jeder eignet sich als Körperspender.
Medizinstudenten müssen viele Anforderungen erfüllen, bevor sie ihr Staatsexamen ablegen können. Dazu gehört auch, die Anatomie des Menschen in der Praxis kennenzulernen – durch die Arbeit an „echten“ menschlichen Leichen. Zu diesem Zweck werden Körperspenden benötigt: Dabei vermacht jemand seinen Leichnam einem anatomischen Institut zu Lehr- oder Forschungszwecken. Doch wie funktioniert das genau? Im Anatomiekurs lernen Studierende der Medizin oder Zahnmedizin durch sorgfältige Präparation die Strukturen des menschlichen Körpers kennen. Auch für Fortbildungskurse werden Leichen benötigt, an denen bereits berufstätige Chirurgen und chirurgisch tätige Ärzte anderer Fachrichtungen neue Operationstechniken oder Behandlungen lernen. Wer seinen Körper für solche Zwecke spenden möchte, sollte sich direkt an eines der 35 anatomischen Institute der Universitäten in Deutschland wenden. Denn eine übergeordnete Institution, die Regelungen für das Prozedere bei einer Körperspende festlegt oder eine zentrale Kartei aller Körperspender führt, gibt es nicht. Ebenso gibt es keine Statistik über die Zahl der Körperspender oder der verwendeten Leichen pro Jahr. „Im Moment gibt es an den meisten anatomischen Instituten mehr Körperspender als tatsächlich benötigt werden“, berichtet Martina Plaschke, Prosektorin im Bereich Körperspende an der Berliner Charité. Zur Zeit seien mehrere 10.000 Personen als zukünftige Körperspender an den Instituten registriert. „Gleichzeitig werden in Deutschland pro Jahr schätzungsweise 700 bis 1.000 Leichen benötigt“, so Plaschke. Je nach Größe der Universität bzw. nach Zahl der Medizinstudenten sei der Bedarf sehr unterschiedlich: So werden an der Charité oder an vergleichbar großen Universitäten etwa 100 Verstorbene pro Jahr benötigt, an kleinen Unis oft weniger als 50. „Es liegt deshalb im Ermessen der einzelnen Institute, zu entscheiden, ob sie weitere Körperspender annehmen“, sagt die Ärztin.
Wer seinen Körper spenden will, muss zu Lebzeiten eine Vereinbarung mit dem gewünschten Institut treffen und dabei in einer „letztwilligen Verfügung“ schriftlich seinen Willen zur Körperspende erklären. Er erhält dann einen Spenderausweis, aus dem hervorgeht, dass im Todesfall möglichst rasch das anatomische Institut verständigt werden soll. Die Vereinbarung kann der Spender jederzeit widerrufen – und bekommt dann auch eventuell gezahlte Gelder zurück. Generell richten sich die Abläufe und Rahmenbedingungen einer Körperspende nach den gesetzlichen Vorgaben, wobei gleichzeitig nationale und internationale Standards berücksichtigt werden. „Darüber hinaus hat jedes Institut seine eigene Prosektur und legt auch die Bedingungen für die Körperspende fest“, erläutert Plaschke. „Das betrifft zum Beispiel die Entfernung des Wohnorts vom Institut, die finanzielle Beteiligung an den Bestattungskosten, das Alter, ab dem Körperspender angenommen werden oder die Wahl des Bestattungsverfahrens und des Friedhofs.“ Wer Interesse an einer Körperspende hat, sollte sich an die Universität wenden, die seinem Wohnort am nächsten liegt. Hintergrund: Der Verstorbene muss nach seinem Tod rasch an das anatomische Institut überführt werden. „Wer sich genauer informieren möchte, kann auch einen Beratungstermin am anatomischen Institut vereinbaren“, sagt Plaschke. „Und falls man aus Versehen am falschen Institut anfragt, werden die Mitarbeiter dort behilflich sein, den Kontakt zum richtigen Ansprechpartner herzustellen.“
Doch was passiert genau nach dem Tod eines Körperspenders? „Zunächst muss der Tod durch einen Arzt bestätigt werden und ein Totenschein ausgestellt werden“, erläutert Plaschke. „Gleichzeitig sollte das anatomische Institut verständigt werden, das den Leichnam dann so bald wie möglich abholt. Am Institut wird der Körper etwa sechs Monate lang so konserviert, dass er für die Präparationskurse verwendet werden kann.“ Für diese Kurse wird etwa ein Jahr in Anspruch genommen, anschließend folgt eine Verwendung für Prüfungen. Die Arbeit an den Leichen darf dabei nur von Studenten unter Aufsicht eines ausgebildeten Anatomen durchgeführt werden. Insgesamt vergehen bis zur Bestattung oft zwei bis zweieinhalb Jahre – mit dieser Zeit sollten die Angehörigen rechnen. Schließlich wird die Leiche zur Bestattung freigegeben, eingeäschert und in einer Urne beigesetzt. „Außerdem findet am Institut ein Mal pro Semester eine Gedenkfeier für die Körperspender statt, in der die Studierenden ihren Dank und Respekt gegenüber den Körperspendern zum Ausdruck bringen und die Angehörigen von den Toten Abschied nehmen können“, berichtet Plaschke. Mögliche Einwände gegen die Verwendung von Leichen in der Aus- und Weiterbildung hält Plaschke für unberechtigt. „Man hört immer wieder die Meinung, ein Anatomie-Atlas oder 3-D-Programme seien ausreichend, um die Anatomie des menschlichen Körpers kennenzulernen“, so die Medizinerin. „Aber für angehende Ärzte ist es auch sehr wichtig, einen menschlichen Körper real anzufassen und an ihm Untersuchungen zu üben. Außerdem ist es nur so möglich, die Vielfalt der menschlichen Körper kennenlernen – etwa bei der Größe, Form und Lage der Organe oder anderer Körperstrukturen.“
Weil für die Lehre und Forschung weitgehend unversehrte Leichen notwendig sind, werden verstorbene Körperspender in der Regel nicht angenommen, wenn sie eine stark infektiöse Krankheit oder schwere Verletzungen hatten, wenn sie keines natürlichen Todes gestorben sind oder wenn sie bereits gerichtsmedizinisch oder pathologisch obduziert wurden. Teilweise werden auch Leichen, bei denen zuvor eine Organspende durchgeführt wurde sowie stark übergewichtige Leichen von den Instituten abgelehnt. In all diesen Fällen wird der Leichnam stattdessen sofort bestattet. Darüber hinaus können Sonderfälle eintreten: „Wenn der Körperspender zu weit entfernt von dem anatomischen Institut stirbt, mit dem er den Vertrag geschlossen hat, kann dieses veranlassen, dass der Körper stattdessen an das nächstgelegene anatomische Institut überführt wird“, erläutert Plaschke. „Stirbt jemand im Ausland, ist der Körper aus Gründen des Infektions- und Seuchenschutzes und wegen der langen Überführungszeiten für uns jedoch meist nicht verwendbar.“
Andere Dinge gilt es noch zu Lebzeiten zu beachten: Wer innerhalb Deutschlands umzieht, sollte daran denken, seinen Vertrag an ein anderes anatomisches Institut zu übertragen. „Das ist in der Regel möglich, kann aber nicht gewährleistet werden – etwa, wenn das andere Institut im Moment keine Körperspender annimmt“, sagt Plaschke. „Wer jedoch bereits Körperspender ist, hat bei der Annahme an anderen Instituten meist Priorität.“ Auch über den Ablauf der Bestattung kann man sich vorab Gedanken machen. Weil das Bestattungswesen auf Landesebene geregelt ist, gibt es hier je nach Institut teilweise unterschiedliche Regelungen. In vielen Fällen kann der Körperspender jedoch entscheiden, ob die Beisetzung anonym oder im Kreis der Angehörigen stattfinden soll und ob er auf einem für Körperspender vorgesehenen Friedhof oder auf einem Friedhof seiner Wahl bestattet werden möchte. Und dann sind da noch die Kosten: Dass man für die Spende seines Körpers zusätzlich Geld bezahlen soll, erscheint auf den ersten Blick vielleicht unverständlich. Allerdings muss die Universität bei einer Körperspende Behördengänge übernehmen und für die spätere Bestattung aufkommen. Derzeit liegen die Kosten für eine Körperspende an der Charité oder der LMU München bei etwa 1.000 Euro, am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf bei etwa 1.500 Euro. An einigen Unis wie in Heidelberg oder Mainz fallen dagegen keine Kosten an.
Schließlich gibt es noch einen Sonderfall der Körperspende: Wenn jemand seinen Körper dem Institut für Plastination in Heidelberg vermacht. Hier werden menschliche Körper speziell präpariert und anschließend in Ausstellungen wie den „Körperwelten“ gezeigt. „Ein wesentlicher Unterschied zu den anatomischen Instituten besteht darin, dass die Leichen hier nicht bestattet werden“, sagt Plaschke. „Zudem dienen die Körper in diesem Fall eher der Öffentlichkeit als der Wissenschaft.“ So sollen die Plastinate zur Weiterbildung medizinischer Laien dienen, die so die Anatomie des menschlichen Körpers oder bestimmte Erkrankungen kennenlernen können. „Forschung an Plastinaten ist dagegen kaum noch möglich, weil der Körper hier ganz anders konserviert wird und dadurch steif wie Plastik ist“, so Plaschke.