Essen kochen, Autofahren, Sex haben: Schlafwandler vollführen teils erstaunliche Dinge. Das kann gefährlich werden. Welche besonderen Schlafstörungen es gibt und wie man sie behandelt, lest ihr hier.
Wir Deutschen verbringen im Schnitt 24 Jahre unseres Lebens mit Schlafen. Häufig erinnern wir uns maximal an kleine Traumfetzen. Viele drehen und wenden sich im Schlaf, andere wachen in derselben Position auf, in der sie eingeschlafen sind. Es gibt aber auch Menschen, die im Schlaf deutlich mehr machen als sich nur herumzuwälzen. Schlafwandeln, nächtliches Reden oder mehr – die Rede ist von Parasomnien. Dabei handelt es sich um Störungen, die beim Wechsel zwischen Schlafstadien oder einem Schlafstadium und dem Erwachen auftreten können. Aber wie kommt es dazu und wie können Parasomnien behandelt werden?
Mit dem Einschlafen beginnt nach Definition der Schlaf – naheliegend. Darauf folgen verschiedene Phasen, in denen der Körper unterschiedliche Charakteristika aufweist. Insbesondere beim Wechsel in ein anderes Schlafstadium treten Parasomnien häufig auf. Grob unterteilt man Schlaf in 4 Phasen:
Einschlafphase (N1)
- leichter Schlaf
- Muskulatur ist leicht angespannt
- langsame, rollende Augenbewegung
NREM
Leichter Schlaf (N2)
- Muskeln entspannen sich
- Körpertemperatur sinkt
- Puls und Atmung sind gleichmäßig
Tiefschlaf (N3)
- Muskeln sind entspannt
- Herzschlag und Atmung verlangsamen sich
- Blutdruck sinkt
Traumschlaf
- schnelle Augenbewegung
- geringe Muskelaktivität
- Frequenz und Tiefe der Atmung erhöht
- intensive Träume
REM
Wann die Parasomnien auftreten, hängt häufig mit der Ursache der Schlafstörungen zusammen. Betreffen Schlafstörungen die Rapid-Eye-Movement-Phase (REM), liegen oft neurologische Erkrankungen zugrunde. NREM-Parasomnien, also in der Non-REM-Phase, haben hingegen öfter andere Ursachen. „Bei Parasomnien handelt es sich um ein Veranlagungs-Stress-Modell, was bedeutet, dass eine Veranlagung, wahrscheinlich mit Besonderheiten beim Schlaf – wie etwa besonders tiefer Tiefschlaf – als auch Stressfaktoren eine Rolle spielen“, so Prof. Michael Schredl vom Schlaflabor des Zentral Instituts für Seelische Gesundheit Mannheim im Gespräch mit DocCheck.
Parasomnien, die den NREM-Schlaf betreffen, werden auch Disorders of Arousal genannt, wörtlich übersetzt also Erregungs-Störungen. Üblicherweise ist Arousal ein Zustand, der durch Wachheit, erhöhte Aufmerksamkeit und Reaktionsbereitschaft gekennzeichnet ist. Das rührt daher, dass das zentrale Nervensystem, genauer das sympathische Nervensystem, in erhöhtem Erregungszustand ist. Im Schlaf ist das Arousal-Level üblicherweise also sehr gering – nicht aber bei NREM-Parasomnien.
Schlafstörungen im NREM-Schlaf können verschiedene Personengruppen betreffen. Zwar sind manche im Kindesalter häufiger, jedoch können auch Erwachsene an diesen Parasomnien leiden. „Das Auftreten einer Episode kann durch einen internen oder äußeren Weckreiz ausgelöst werden. Das Gehirn versucht, aufzuwachen, wird aber nicht ganz wach“, so Schredl. „Es befindet sich dann in einem Zwischenzustand, bei dem manche Hirnareale wach sind, andere jedoch nicht.“ Die Muskelspannung und Gehirnareale, die etwa mit Bewegung und Sehen zu tun haben, seien dabei aktiv, so der Traumforscher. „Im normalen Schlaf ist die Muskelspannung aber so weit reduziert, dass man sich gar nicht bewegen könne. Das Motorsystem ist also im Wachzustand, bzw. verhält es sich, als wäre es wach, andere Teile befinden sich jedoch noch im Schlafzustand“, erklärt Schredl. Reflektives Denken ist in diesem Zustand jedoch nicht möglich, da z. B. auch der Präfrontalkortex inaktiv ist.
Folgendes Beispiel ist ein Extremfall von Somnambulismus und klingt wie ein Horrorfilm: Der junge Student Kenneth Parks steht mitten in der Nacht auf, fährt mit dem Auto zu seinen Schwiegereltern, verletzt seinen Schwiegervater schwer und tötet seine fliehende Schwiegermutter mit einem Küchenmesser. Er stellt sich selbstständig der Polizei, hat aber keine Erinnerung an die Tat. Ein Schlaflabor bestätigt: Zur Tatzeit hat der junge Mann geschlafwandelt. Aufgrund von Unzurechnungsfähigkeit wurde er freigesprochen. Das Beispiel zeigt deutlich: Betroffene können während des Schlafwandelns einfache, gelernte Tätigkeiten wie Kochen oder Autofahren (und im schlimmsten Fall Menschen verletzen) ausführen, ohne dabei wirklich wach zu sein.
„Schlafwandler können in der Regel gut auf ihr Umfeld reagieren. Sie weichen Objekten aus und verletzen sich dabei meist nicht“, sagt Schredl. Das Schlafwandeln reicht vom einfachen Aufsetzen im Bett bis hin zum aktiven Umherlaufen. Häufig tritt diese Form der Parasomnie bei Kindern und Jugendlichen auf, aber auch Erwachsene können Episoden mit Schlafwandeln haben. Treten diese häufig auf, sollten gewisse Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden. Denn während Schlafwandler auf ihr Umfeld zwar reagieren können, können sie trotzdem auch im Schlafzustand im Dunkeln nichts sehen. Daher kann es schnell zu kleineren oder größeren Unfällen kommen. Das liegt zum Teil auch daran, dass reflektives Denken in diesem Zustand nicht möglich ist. Laut Schredl ist daher auch ein sicheres Schlafumfeld wichtig, wie etwa abgeschlossene Fenster, um Unfälle zu vermeiden.
Gefährlich kann es gerade dann werden, wenn der Schlafwandler mitten in der Nacht in der Küche steht, Tomaten schnibbelt und Zwiebeln anbrät. Was absurd klingt, ist für manche Realität. Bei der SRED (Sleep Related Eating Disorder) essen und kochen Betroffene ganze Mahlzeiten, während sie eigentlich schlafen. Das ist nicht nur gefährlich, sondern auch ungesund. Schlaf-Esser nehmen nämlich im Schnitt etwa die Hälfte ihres Kalorienbedarfs zusätzlich in der Nacht zu sich, was auf Dauer ordentlich auf die Hüften schlagen kann. Nicht zu verwechseln ist die SRED mit dem Night Eating Syndrom, bei dem Betroffene wach sind und auch am nächsten Morgen Erinnerung an das nächtliche Essen haben. Auch die SRED tritt im Übergang zwischen zwei Schlafphasen im NREM-Schlaf auf. Hier kann es hilfreich sein, Kühlschränke und Lebensmittel unzugänglich zu machen, indem beispielsweise die Küche abgeschlossen wird.
Eine andere kuriose Schlafstörung ist die Sexsomnie: Der Partner stöhnt im Schlaf, stößt mit dem Becken und versucht, zu fummeln – lässt sich davon aber auch nicht abbringen. Am nächsten Tag damit konfrontiert, ist er sich keiner Schuld bewusst. Das könnten Anzeichen für Sexsomnie sein. Zwar gibt es wenige gesicherte Fälle, eine Studie ermittelte eine Prävalenz von ca. bis zu 7 %. Dazu befragten die Forscher jedoch ausschließlich Patienten, die sich in Schlaflaboren untersuchen oder behandeln ließen. Gesamtgesellschaftlich ist dieser Wert wohl eher nicht repräsentativ – dennoch zeigt er, dass diese Form der Schlafstörung nicht so selten ist, wie man vielleicht denkt.
Betroffene mit Sexsomnie haben im Übergangszustand zwischen Tiefschlaf und dem Wachsein Sex, masturbieren oder haben Oralsex. Dabei können sie Mitschlafenden oder Partnern gegenüber übergriffig werden. Sie versuchen, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen, auch wenn sich das Gegenüber wehrt. Bei der Sexsomnie kann es auch zur Kombination mit Schlafwandeln kommen. Ganz klar abzugrenzen ist diese Störung allerdings von „feuchten Träumen“, die nicht mit motorischen Symptomen einhergehen. Nach dem Aufwachen bestehen bei der Sexsomnie häufig keine Erinnerungen an Handlungen.
Bei Kindern ist vor allem der Nachtschreck (Pavor nocturnus) weit verbreitet, etwa 20 % der Kinder unter 15 erleben in ihrem Leben mindestens einmal dieses Phänomen. „Kinder leiden häufiger unter einem Pavor nocturnus als Erwachsene, da sich ihr Gehirn noch in der Reifung befindet. Bei einem vollständig entwickelten Gehirn führen die leichten Weckreize üblicherweise leichter zum vollständigen Aufwachen, bei Kindern ist das Gehirn noch in der Entwicklung, sodass diese Weckreize schneller zu einem Zwischenzustand führen“, so der Experte.
Wenn auch selten, können auch Erwachsene einen Nachtschreck erleben. Dabei handelt es sich nicht um simple Albträume – Betroffene haben häufig Kaltschweiß, Tachykardie und Tachypnoe und lassen sich nur schwer wecken. In den meisten Fällen verschwinden Phasen mit Nachtschreck von alleine. „Eltern müssen darüber aufgeklärt werden, dass es sich um eine Parasomnie und keine gravierende psychische Erkrankung handelt“, sagt Schredl. „Wenn Eltern das wissen, sind sie häufig schon beruhigt. Sie sollten ihre Kinder nicht wachrütteln, sondern ihnen gut zureden und sie ins Bett zurückbegleiten, bis die Kinder wieder ruhig schlafen.“ Das ist auch wichtig, da Betroffene, die eine Episode erleben, Gesichter häufig nicht erkennen können. Schütteln dann die Eltern das Kind, um es zu wecken, erlebt das Kind es, als würde sie ein Fremder rütteln. Das bestärkt in der Situation nur die Angst und führt häufig nicht zum Erwachen.
Bestärken und beruhigen die Eltern jedoch das Kind, kann es zu einer vollständigen Remission des Pavor nocturnus kommen, wie eine aktuelle Übersichtsstudie herausfand.
Bei NREM-Parasomnien ist das Bestimmen der genauen Ursache schwierig. Häufig kommen mehrere Faktoren zusammen. Schredl erklärt: „Da es sich bei Parasomnien um ein Veranlagungs-Stress-Modell handelt, gibt es viele Faktoren, die eine solche Episode auslösen können. Diese sind nicht nur psychologisch, wie etwa Stress auf der Arbeit, Einschulung oder ähnliches, sondern auch physiologisch. Fieber oder die Einnahme bestimmter Medikamente können solche Stressoren sein.“ Der Schlaf-Wach-Rhythmus spielt hier laut Schredl auch eine entscheidende Rolle. Unzureichender oder z. B. alkoholbedingter leichter Schlaf kann das Auftreten von Parasomnien begünstigen, wenn er in der darauffolgenden Nacht zu einem verlängerten Tiefschlaf führt.
Einen besonders tiefen Tiefschlaf weisen auch Personen mit Pavor nocturnus auf. „Das führt wahrscheinlich dazu, dass leichte, interne Weckreize leichter zum nicht vollständigen Erwachen führen und es zu einer Episode kommt. Eine Person mit normalem Schlaf würde wahrscheinlich aufwachen, sich umdrehen und weiterschlafen, bei Betroffenen kommt es jedoch zu einem Halb-wach-halb-Schlaf-Zustand.“
Eine Übersichtsstudie analysierte 72 Studien zu Parasomnien, um Behandlungsempfehlungen konkretisieren zu können. Viele dieser Studien waren jedoch einzelne Case-Reports, bei anderen handelte es sich um Case-Series. Die Natur der Störungen macht es schwierig, groß angelegte Studien durchzuführen, da Parasomnien nicht jede Nacht auftreten und auch individuell in unterschiedlichem Ausmaß.
Bei der Behandlung oder Therapie von NREM-Parasomnien werden häufig parallel mehrere Ansätze verfolgt. Für einige dieser Behandlungsoptionen konnten die Autoren der Übersichtsstudie gute Remissionsraten herausarbeiten. Sie unterstreichen vor allem die Wichtigkeit einer multifaktoriellen Behandlung. Zwar konnten auch einigen Ansätzen in Monotherapie Wirksamkeit nachgewiesen werden, jedoch waren Remissionsraten bei kombinierten Behandlungen höher. Insbesondere eine gründliche Aufklärung, gute Schlafhygiene, Verhaltenstherapie und Entspannungsübungen zeigten sich effektiv. Das bestätigt auch der Experte: „Das Erste, was man zur Behandlung macht, ist, einen regelmäßigen Schlaf-Wach-Ryhtmus herzustellen, das Zweite eine Entspannungsübung vor dem Zubettgehen.“ Er betont, dass es besonders wichtig ist, diese Entspannungsübungen nicht im Bett durchzuführen, da die Gefahr, dabei einzuschlafen, zu hoch ist. Schon zehn bis 15 Minuten können das Risiko des Auftretens von Parasomnien deutlich reduzieren. „Auch kognitive Verhaltenstherapie kann helfen, um mit Stressoren besser umgehen zu können.“
Es gibt auch die Möglichkeit, mit Medikamenten zu behandeln, die den Tiefschlaf weniger tief machen und damit das Auftreten von Parasomnien vermeiden können. Eingesetzt werden dabei allerdings Benzodiazepine – aufgrund des Risikos einer Abhängigkeit sollten sie nur selten und bei sehr extremen Fällen verwendet werden, so Schredl.
Betroffene sollten auf ein sicheres Schlafumfeld achten, Partner aufklären und bei wiederholtem Auftreten an Experten verwiesen werden. Auch die Aufklärung der Patienten selbst kann positive Effekte erzielen. Häufig können Entspannungsübungen und Stressreduzierung bereits hilfreich sein, wobei auch hier die Anleitung von Schlafmedizinern sinnvoll ist. Auch zu einer kognitiven Verhaltenstherapie kann geraten werden, um Stressoren besser zu vermeiden und zu bewältigen.
Bildquelle: erstellt mit Midjourney