Wie lange seht ihr eure Patienten durchschnittlich? Im Europavergleich fällt Deutschland hier in zweierlei Hinsicht auf. Was deutsche Ärzte anders machen, erfahrt ihr hier.
Wenige längere Arzttermine, oder viele und dafür kürzere Termine? Über die optimale Arzt-Patienten-Zeit lässt sich streiten. Natürlich ist ein Arzt-Patienten-Kontakt immer individuell und in seiner Länge vom jeweiligen Patienten sowie dessen Krankheitsbild und Bedürfnissen abhängig, aber auch die soziale Komponente und eventuelle Sprachbarrieren spielen eine wichtige Rolle. Aber wie viel Zeit verbringen Patienten im Durchschnitt bei ihren Ärzten? Dieser Frage ist jetzt eine aktuelle Studie des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) nachgegangen. In der Studie wurden Hausärzte aus Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien, Spanien und Estland qualitativ befragt und Literaturrecherchen durchgeführt.
Die Studie soll die unterschiedlichen Ansätze des Arzt-Patienten-Kontaktes in Europa aufzeigen. Allerdings war die Anzahl der befragten Ärzte sehr gering und wurde als Stichprobe behandelt. Insgesamt wurden 10 Ärzte mit einer durchschnittlichen Berufserfahrung von 17 Jahren (7–36 Jahre) befragt – unter ihnen waren neun Hausärzte und ein HNO-Facharzt. Acht Teilnehmer arbeiteten in einer Gruppenpraxis oder einem MVZ, zwei in einer Einzelpraxis. Die Anzahl der behandelten Patienten schwankte zwischen den Ländern. Während in Österreich 150–200 Patienten pro Woche behandelt wurden, waren es in Frankreich nur etwa 100 Patienten. In Deutschland lag die Anzahl zwischen 100 und 250 Patienten pro Woche. Natürlich ist bei so wenigen Angaben keine Übertragbarkeit auf die Gesamtsituation zulässig, aber die Literatur bestätigt den Eindruck der befragten Ärzte. Zudem unterschieden sich die Kontaktzeiten zwischen Arzt und Patient ebenfalls erheblich zwischen den Ländern.
Eigentlich würde man denken, je weniger Patienten ein Arzt hat, desto länger beschäftigt er sich mit ihnen. Einige der Länderergebnisse bestätigen diese Vermutung auch. In Österreich beträgt die durchschnittliche ärztliche Kontaktzeit zu einen Patienten 10–15 Minuten und das bei einer vergleichsweise hohen Schlagzahl an Patienten. In Frankreich – bei deutlich weniger Patienten im Durchschnitt – lag diese Zeit bei ca. 20 Minuten. Aber diese Rechnung geht nicht überall auf. In Estland gibt es nämlich beides: eine hohe Patientenanzahl und langen Patientenkontakt mit bis zu 30 Minuten. Rechnet man die Jahreskontaktzeit aus, so führen allerdings kürzere, öftere Besuche zu einer insgesamt höheren Arzt-Patientenzeit, als längere, weniger häufige Arztbesuche.
Ein weiteres Ziel der Studie war es, herauszufinden, wie sich unterschiedliche Abrechnungsverfahren auf die Verweildauer beim Arzt auswirken und ob die betroffenen Ärzte die jeweilige Zeit mit den Patienten als ausreichend empfinden.
„Die Fachleute sind sich einig, dass sie grundsätzlich nicht mehr Zeit benötigen“, so das Ergebnis der Befragung. Wenn die Zeit doch mal knapp wird, würden die befragten Ärzte „weniger eigenständige Diagnostik betreiben und zeitintensive Tätigkeiten auslagern.“ Das könne dann aber zu einer zunehmenden Patientenunzufriedenheit führen – oft auf Kosten der sozialen Komponente. „Vorteile einer längeren Kontaktzeit wären die bessere Fähigkeit mit komplexen Fällen umzugehen, eine daraus resultierende bessere Entscheidungsfindung und weniger Stress, sowie mehr Zeit, um mit dem Patienten über potentielle Interventionen zu sprechen“, so die Studienautoren. „Ärzte fürchten aber auch, dass weniger Termine zur Verfügung stehen würden, wenn sich die Dauer der einzelnen Termine verlängern würde.“
Interessant: Entgegen gängiger Literatur hatte die Erfahrung und die bereits geleisteten Praxisjahre der befragten Ärzte wenig Einfluss auf die Länge des Patientenkontakts. Laut Literatur würde sich auch die Art, wie Leistungen vergütet werden, auf den durchschnittlichen Patientenkontakt auswirken. „Länder, in denen jede Leistung einzeln abgerechnet wird, haben im Schnitt die längsten Kontaktzeiten, Länder mit leistungsunabhängiger Vergütung die kürzesten Kontakte“, so eine Pressemitteilung des ZEW. Das konnte in den qualitativen Interviews aber so ebenfalls nicht unbedingt bestätigt werden.
In Deutschland verbringen Patienten im Durchschnitt weniger als 15 Minuten beim Arzt. Sie besuchen ihre Hausärzte also bei einzelnen Terminen kürzer, dafür aber häufiger als in einigen der Vergleichsländer. „Für die gesundheitspolitische Diskussion über die Weiterentwicklung der ambulanten Versorgung muss geklärt werden, ob diese Form der Leistungserbringung gesellschaftlich gewünscht und wirtschaftlich nachhaltig ist“, sagt Prof. Simon Reif, Co-Autor der Studie.
Für die Patienten scheint es allerdings auch einen zu langen Arztbesuch zu geben. Die Literatur ist sich hier ebenfalls uneins. Jedenfalls sollte die Zeit, die Patienten und Ärzte miteinander verbringen, dem Krankheitsbild angemessen sein. Das bestätigen auch die befragten Ärzte: „Eine angemessene ärztliche Kontaktzeit führe vor allem über die gesteigerte Zwischenmenschlichkeit und das Gefühl als Patientin und Patient nicht abgefertigt zu werden zu einer höheren Zufriedenheit laut der Ärzteschaft.“ Was angemessen ist, bleibt aber wohl wie bisher eine Einzelfallentscheidung zwischen Arzt und Patient.
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