Long und Post Covid zu diagnostizieren, ist kompliziert. Auch Laborwerte können nur bedingt weiterhelfen – wozu das Ganze dann überhaupt?
Über die Ursachen postakuter Beschwerden einer Corona-Infektion wird in der Fachwelt hitzig diskutiert. Kürzlich sorgte ein DocCheck-Interview mit Prof. Christoph Kleinschnitz zu dem Thema für aufgeregte Gemüter. Seine These: Long bzw. Post Covid ist eher psychosomatisch denn organisch bedingt. Er betont zwar, dass er die Symptome nicht für eingebildet hält, aber eben auch nicht körperlich verursacht. Damit trifft Kleinschnitz einen Nerv und widerspricht so ziemlich allen derzeit diskutierten Hypothesen zur Ursache von Post Covid, zu denen Autoimmunreaktionen, persistierende Virusinfektionen und Organschäden gehören.
Der Großteil der Long-Covid-Ambulanzen und Unikliniken, die sich mit Long Covid in Deutschland beschäftigen, halten eher wenig von Kleinschnitz These, wie ein Bericht von Riffreporter zeigt. Von 36 angefragten Kliniken widersprachen immerhin 26 sehr deutlich der Psychosomatik-These, sechs antworteten neutral und nur vier stimmten der These zu. „Die Hypothese, dass bei den allermeisten Patienten eine psychosomatische Genese evident ist, ist nicht belegt“, meint etwa Andreas Stallmach, Chef der Post-Covid-Ambulanz am Universitätsklinikum Jena. Die Tatsache, dass wir die genaue Ursache nicht kennen, mache es nicht zu einem psychosomatischen Krankheitsbild, so Stallmach weiter.
Auch Kleinschnitz Meinung, dass man bei der Untersuchung von Patienten nur selten etwas finden könne, wie er im DocCheck-Interview sagt, findet wenig Anklang. Konkrete organische Befunde nennt etwa Dr. Wolfgang Neumeister, Chefarzt Pneumologie und Ärztlicher Direktor der Hufeland-Klinik Bad Ems: „Fast alle unserer Patienten leiden unter einer postinfektiösen unspezifischen bronchialen Überempfindlichkeit. Dies ist als Vorstufe eines Asthma bronchiale zu verstehen.“ Dr. Cordula Koerner-Rettberg, Chefärztin vom Marien Hospital Wesel, erklärt: „Auch wenn Patienten – ungewohnt für einige Ärzte angesichts der Schwere der Symptome, zumindest was das ME/CFS angeht – oft relativ wenig pathologische Befunde in der Diagnostik zeigen, so gibt es sie aber.“ Darunter seien Labor-Biomarker, gewisse Auffälligkeiten in der Gerinnung, oder auch Auffälligkeiten in schlafmedizinischen Untersuchungen und Kreislauf-Testungen.
Bei dem Stichwort Biomarker werden wohl einige hellhörig: Der Traum eines jeden Klinikers, der sich mit Long-Covid-Patienten beschäftigt, mag wohl die Diagnosestellung anhand einer Laboruntersuchung sein. Es gibt zwar – wie Dr. Koerner-Rettberg erwähnt – Biomarker, die auf eine Post-Covid-Erkrankung hindeuten können. Eine Diagnose aufgrund einzelner oder auch mehrerer Laborwerte ist aber nicht zulässig. „Leider gibt es bislang keinen Laborwert mit dem ein Post-Covid-Syndrom belegt bzw. ausgeschlossen werden kann“, sagt Dr. Christian Gogoll, Oberarzt an der Evangelischen Lungenklinik Berlin und Co-Autor der S1-Leitlinie Post-COVID/Long-COVID, gegenüber DocCheck. Um die ganze Sache noch zu verkomplizieren, können Post-Covid-Patienten auch überhaupt keine auffälligen Laborwerte zeigen, wie Andreas Stallmach im Interview mit DocCheck aufzeigt: „Patienten legen häufig Befunde von Laboruntersuchungen vor, die völlig normal sind oder grenzwertige Abweichungen von der Norm anzeigen. Und trotzdem sind die Patienten schwerkrank.“
Gogoll erklärt, welche Parameter bei Post Covid überhaupt eine Rolle spielen: „In der Praxis untersuchen wir ähnlich wie bei einem Check-Up insbesondere auf anhaltende Entzündung, Gerinnungsananomalitäten, Stoffwechselaktivität sowie kardiale Marker.“ In Speziallaboren lassen sich auch weitere Marker bestimmen – die werden allerdings nicht durch die Kassen vergütet. „Dieses betrifft infektiologisch relevante Untersuchungen, Analyse von Autoantikörpern (GPCR), Cytokinen und Chemokinen sowie vaskulärer, neurologischer, biochemischer und weiterer Marker.“ Doch auch hier besteht das Problem der fehlenden Spezifität, betont Gogoll. Inflammationsmarker finden sich schließlich auch bei anderen Infekten und „auch der Nachweis von Autoantikörpern gegen Rezeptoren des vegetativen Nervensystems sind im Kontext unspezifisch und belegen weder die Diagnose, noch führen sie zu einem Ausschluss derselben.“
Trotzdem ist die Labordiagnostik bei Post Covid wichtig – nämlich für die Differentialdiagnose. Immerhin könne man mit dem hausärztlichen Panel begleitende und bislang unerkannte Erkrankungen diagnostizieren. Gogoll: „Ein Mangel an Eisen, Vitamin B und Vitamin D kann ebenso zu Fatigue führen. Gut 1/10 der Fatigue-Patienten leidet auch an einer Hypothyreose.“
Zwar gibt es bislang nicht den einen Laborwert, mit dem sich Post Covid sicher diagnostizieren lässt. Ein paar Biomarker haben sich aber zumindest in Studien dahingehend schon als nützlich erwiesen. So konnten Forscher in einer Studie in Nature Medicine zeigen, dass bei Post-Covid-Patienten ein Anstieg von Fibrinogen und D-Dimere mit einer Zunahme von kognitiven Störungen („Brain Fog“) assoziiert war – bei ersterem sogar sowohl subjektiv als auch objektiv betrachtet.
Fibrinogen ist ein Akute-Phase-Protein, das auf Entzündungen hinweist und eine wichtige Rolle bei der Blutgerinnung spielt. D-Dimer ist ein Marker für die Thrombenbildung. Beide Proteine sind wegen ihrer Rolle bei der Blutgerinnung schon länger im Fokus von Post-Covid-Forschern, weil bereits bekannt ist, dass eine COVID-19-Erkrankung mit einer Hyperkoagulabilität einhergeht. Die systemische Entzündung des Endothels und Mikrothromben werden inzwischen auch als eine mögliche Ursache für verschiedene postakute Covid-Beschwerden diskutiert. So können die Durchblutungsstörungen zu einer verminderten Sauerstoffabgabe an das Gewebe führen, was möglicherweise die häufigen Symptome Fatigue, Erschöpfung und reduzierte Leistungsfähigkeit (vor allem nach Anstrengung) erklären könnte.
In einer anderen Nature-Studie fanden Forscher heraus, dass Corona-Patienten mit langanhaltenden Symptomen – neben anderen besonderen Immun-Charakteristika – niedrigere Cortisolspiegel aufwiesen als Personen, die sich von Covid erholt oder nie mit SARS-CoV-2 infiziert hatten. Auch dieser Wert könnte das Symptom der Erschöpfung erklären und wäre ein relativ leicht zu ermittelnder Wert. Die Autoren sind höchst optimistisch, dass sie damit einen entscheidenden Schritt bei der Entwicklung von zuverlässigen Bluttest-Verfahren für Long Covid gemacht haben. Carmen Scheibenbogen, Leiterin des Charité Fatigue Zentrums in Berlin, spricht von einer „wichtigen Studie“ und erklärt: „Die Hauptaussage der Studie ist, dass klare immunologische und weitere biologische Unterschiede zwischen Long Covid und Gesunden gezeigt werden können.“ Allerdings seien die Marker für sich allein nicht geeignet, Patienten von Gesunden diagnostisch abzugrenzen.
Dass man auch in Deutschland dran ist, an der Suche nach geeigneten Biomarkern, zeigt ein vom Bund finanziertes Forschungsprojekt. Darin soll untersucht werden, ob die Analyse von bestimmten Urin-Peptiden Post Covid anzeigen kann. Diese haben sich schon bei der Vorhersage einer schwer verlaufenden COVID-19-Erkankung zu einem frühen Zeitpunkt als nützlich erwiesen.
Allen medizinischen Bestrebungen zum Trotz, lässt sich Long bzw. Post Covid im Labor also nicht sicher diagnostizieren. Dieser unbefriedigende Zustand mag unter anderem erklären, warum die Fachwelt so hitzig über das Thema diskutiert. Bei aller Komplexität des Themas sagt Stallmacher: „Wir müssen den Patienten mit seinen Beschwerden ernst nehmen. Man darf nicht sagen: ‚Das Labor zeigt, es ist alles in Ordnung! Sie sind gar nicht krank.‘ Auf der anderen Seite darf man nicht jeden abnormen Laborbefund als Erklärung für Post Covid verwenden – auch wenn es vielleicht ein ganz überzeugendes Konstrukt dazu gibt.“
Quellen:
S1-Leitlinie Post-COVID/Long-COVID
Klein et al.: Distinguishing features of long COVID identified through immune profiling. Nature, 2023. https://doi.org/10.1038/s41586-023-06651-y
Taquet et al.: Acute blood biomarker profiles predict cognitive deficits 6 and 12 months after COVID-19 hospitalization. Nature Medicine, 2023. https://doi.org/10.1038/s41591-023-02525-y
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