Ein nasal applizierter Antikörper, eine neue Substanzklasse und ein anderer Anwendungsweg für Ocrelizumab – in der MS-Forschung hat sich einiges getan. Die Highlights vom ECTRIMS-Kongress auf einen Blick.
Beim diesjährigen Kongress des European Committee for Treatment and Research in Multiple Sclerosis (ECTRIMS) in Mailand waren sämtliche Forscher, die in der MS-Forschung Rang und Namen haben, anwesend. Entsprechend hoch waren die Erwartungen an die vorgestellten Ergebnisse – und es finden sich einige hochinteressante und vielversprechende neue Erkenntnisse und Therapieansätze. Ein Blick auf die Highlights.
Die SPMS gilt weiterhin als schwer behandelbare Spätform der Multiplen Sklerose und ist meist nur noch symptomatisch zu therapieren. Wegweisende verlaufsmodifizierende Therapien existieren bislang nicht. Ein neuer nasal applizierter Anti-CD3-Antikörper – Foralumab – soll dies nun ändern. Eine kleine Kohorte von 6 Patienten wurde über etwa ein Jahr lang untersucht. Bei allen untersuchten Patienten konnte eine Verbesserung in wenigstens einer klinischen MS-Funktionsskala (u. a. EDSS) beobachtet werden. Zudem zeigten PET-Untersuchungen, dass inflammatorische Mikroglia-Aktivität in 5 von 6 Patienten zurückging. Das Medikament wurde von allen Patienten gut und ohne relevante Nebenwirkungen vertragen. Diese vielversprechenden Ergebnisse ebnen nun den Weg für größere klinische Studien (ECTRIMS, Abstract Number: 1868/P281).
Neu auf dem Spielfeld der MS-Therapien sind die BTK-Hemmer – gleich zwei neue Substanzen wurden bei RRMS erfolgreich getestet und auf dem ECTRIMS vorgestellt. Zum einen Fenebrutinib, welches an 106 Patienten über drei Monate untersucht wurde. Hier zeigte sich eine Reduktion des Auftretens neuer entzündlicher Läsionen um etwa 69 % im Vergleich zur Placebogruppe. Zudem zeigten Liquoruntersuchungen, dass sich die Substanz nach vorheriger oraler Einnahme in ausreichender Konzentration im Nervenwasser ansammelt, sodass ein antiinflammatorischer Effekt auf das ZNS postuliert werden kann. Relevante Nebenwirkungen, wie etwa eine erhöhte Infektanfälligkeit, traten nicht auf (ECTRIMS, Abstract Number: 3075/O187).
Bereits länger untersucht wird die verwandte Substanz Tolebrutinib, deren 3-Jahres-Daten hinsichtlich Effektivität und Sicherheit vorgestellt wurden. Im Schnitt soll Tolebrutinib in der höchsten Dosierung von 60 mg täglich das Auftreten neuer Läsionen um 85 % im Vergleich zum Placebo reduzieren können. Die jährliche Schubrate (ARR) betrug 0,23 im Vergleich zu 1,23 in der Placebogruppe. Relevante Nebenwirkungen waren eine erhöhte Infektanfälligkeit (insb. COVID-19) und Rückenschmerzen (ECTRIMS, Abstract Number: 1478/P684, 1470/P278).
Vermutlich werden die Substanzen in die Kategorie 2 der verlaufsmodifizierenden Therapien einzuordnen sein. So weist etwa Ponesimod (Kategorie 2) eine ARR von 0,2 auf, während Ocrelizumab (Kategorie 3) bei einer ARR von 0,15 anzusiedeln ist.
Die hocheffektive Antikörpertherapie mit Ocrelizumab stand bisher nur als halbjährliche Infusionsbehandlung zur Verfügung. Dies stellt viele MS-Zentren und -Praxen vor eine große organisatorische und vor allem personalintensive Herausforderung. Eine Phase-III-Studie untersuchte nun einen neuen Applikationsweg von Ocrelizumab an 236 Patienten. Statt 600 mg als halbjährliche Infusion erhielten die Probanden 920 mg als subkutane Injektion über 10 Minuten verabreicht. Die gemessene Plasmakonzentration war in beiden Gruppen identisch, was für eine gleichwertige Bioverfügbarkeit der subkutanen Anwendung gegenüber der Infusionstherapie spricht. Auch bezüglich der B-Zell-Reduktion gab es keine signifikanten Unterschiede. Auch Untersuchungen hinsichtlich klinischer Aspekte, wie das Auftreten neuer Läsionen oder Schübe sowie eine Verschlechterung im EDSS zeigten keinen Nachteil der subkutanen Therapie gegenüber einer Infusion. Jedoch war die Rate an Komplikationen während der Verabreichung in der subkutanen Gruppe höher. Hierbei handelte es sich meist um mild bis moderate lokale allergische Reaktionen (ECTRIMS; Abstract Number: 3140/P370).
Viele der auf dem ECTRIMS 2023 vorgestellten Therapieansätze werden ihre Daseinsberechtigung noch in großen klinischen Studien belegen müssen. Doch die vielversprechenden Ergebnisse machen Hoffnung auf eine Erweiterung der therapeutischen Möglichkeiten bei MS.
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