Rauchen ist ungesund – so weit, so bekannt. Doch wie steht es um die vielen Ersatzprodukte? Alles Problemverschiebung oder echte Lösung? Lest mehr dazu im Experten-Interview.
Vaping, E-Zigaretten, Nikotinbeutel – Wege weg vom klassischen Rauchen gibt es viele. Doch welcher Ersatz eignet sich für welche Patienten? Und was ist eigentlich mit dem Vorwurf, dass die neuartigen Produkte neben der intendierten Rauchentwöhnung auch die Süchtigen von Morgen schaffen? Dazu spricht DocCheck mit Dr. Bernhard-Michael Mayer, österreichischer Pharmakologe und Professor an der Universität Graz.
DocCheck: Herr Mayer, Sie engagieren sich sehr in Sachen Rauch-Stopp, vor allem vom Vaping sind Sie ja offen begeistert. Wie passt das mit Ihrem Wissen um die Schädlichkeit der Produkte zusammen?
Mayer: Über alternative Nikotinprodukte aufzuklären, weg vom Rauchen, das ist meine Mission. Nikotinbeutel sind derzeit aktuell, auch wegen der vielen Medienberichte dazu. Die große Gefahr ist, dass sie nicht reguliert werden und da stellt sich natürlich für viele direkt die Frage: Was ist mit den Kindern?
Als die ersten E-Zigaretten damals auf den Markt kamen, dachte ich: „Jetzt rotten wir das Rauchen aus!“ Und wenn ich jetzt aber sehe, wie viel dagegen gewettert wird und wie viel Unwissen herrscht – wenn Sie einen Dampfer auf der Straße ansprechen, wird er sicher selbst davon überzeugt sein, dass es schädlicher als Rauchen ist – dann muss ich sagen, es ist dieser Gegenwind zum Dampfen, der den Rauchern ihre Chance auf einen Wechsel und damit auf ein Abgewöhnen nimmt. Als Toxikologe kann ich sagen, die Verbrennung, der Rauch ist das Schlimme. Alternativen, die nicht verbrennen, sind im Vergleich ok.
DocCheck: Sie haben es schon angesprochen, die Regulierung ist ein großes Thema. Da wird oft auf Kinder und Jugendliche verwiesen, die durch Vapes und E-Zigaretten erst an das Rauchen herangeführt werden, heißt es. Denn neben den vielen Geschmacksrichtungen ist ja nun mal auch Nikotin zugesetzt, bei Nikotinbeuteln natürlich auch. Wie bewerten Sie dieses Risiko?
Mayer: Nikotin ist für Raucher irrelevant, das haben sie über Jahre gehabt. Und das ist bei den Beuteln und E-Zigaretten nicht anders. Interessanterweise wird das aber nur im Kontext der E-Zigarette so problematisiert, da ist es plötzlich ein Nervengift, die Nutzer werden mit Junkies verglichen. Es herrscht eine regelrechte Hysterie, besonders bei den Eltern und vor allem in den USA. In Texas hat beispielsweise eine Schule nun ein Gericht etabliert, da werden Schüler, die dampfen, verurteilt – die regulären Raucher nicht. Hier stimmt was nicht. Es heißt dann z. B., dass das eine Karriere verhindere, da möchte ich am liebsten sagen: „Nehmt mich, ich bin mit 38 Uni-Professor geworden und habe geraucht wie ein Schlot!“ Da wird also sehr viel Unsinn verbreitet.
Das Argument, dass die Alternativen den Weg zum klassischen Rauchen ebnen – das war schon bei den E-Zigaretten so und das gilt im verstärkten Maß für die Nikotinbeutel jetzt – ist Quatsch. Warum sollte jemand, der sich einen Beutel unter die Lippe schiebt, mit dem Rauchen beginnen? Das ist völlig unplausibel und da gibt es auch keine Evidenz für. Das hatten sie auch mit Snus in Schweden, das wird seit Jahrzehnten dort verwendet und es gibt keine Evidenz, dass die Leute dadurch eher zurückgehen zum Rauchen oder anfangen.
DocCheck: In Schweden gab und gibt es dazu ja auch immer wieder Diskussionen um die Müllproblematik. Mit Blick auf die Nachhaltigkeit sind Nikotinbeutel keine echte Alternative, oder?
Mayer: Die Müllproblematik sehe ich eher bei Wegwerf-E-Zigaretten, aber ja, auch bei den Beuteln ist ein Restgehalt Nikotin drin, der dann im Müll landet. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass das schadet, es ist ja kein Tabak drin. Ich bin kein Abfallexperte, aber ich würde vermuten, es landen wesentlich schlimmere Dinge im Müll als Nikotinbeutel.
DocCheck: Nochmal zurück zur Verbindung von süchtig machendem Nikotin und leckerem Geschmack – wo ist hier der Sinn, wenn nicht die Bindung an ein entsprechendes Produkt?
Mayer: Ein wesentlicher Punkt, der oft vergessen wird – und für den es klare Evidenz gibt –, ist die Akzeptanz der Produkte. Die beste Alternative ist nutzlos, wenn sie vom Nutzer nicht geschätzt wird. Bei E-Zigaretten ist beispielsweise der Geschmack ein wichtiger Faktor; wir alle essen ja auch lieber Schokoladeneis, als dass wir Schnee lutschen. Ein Produkt muss schmecken, damit es akzeptiert wird. Und ja, dann mag es sein, dass es Jugendlichen eben auch schmeckt und sie es deswegen nutzen. Aber auch Erwachsene dampfen erwiesenermaßen lieber Liquids mit Frucht- und Dessertgeschmack. Ich spreche da aus eigener Erfahrung. Als ich aufs Dampfen gewechselt habe, habe ich mir gedacht: „Ich hole mir Tabak-Liquids, ich bin ein cooler Typ und dampf doch jetzt nicht Mango!“ Heute dampfe ich am häufigsten Erdbeer-Mango-Liquids, weil es einfach besser schmeckt.
Ein Problem ist auch, dass diejenigen, die darüber reden und Entscheidungsträger in der Sache sind, meistens nie selbst geraucht haben oder E-Zigaretten verwenden. Die kennen sich schlicht nicht aus. Wenn man mit Nutzern redet, werden 99 % sagen, dass Aromen wichtig sind.
DocCheck: Also geht doch eine gewisse Gefahr von diesen Produkten aus, überhaupt erst ein Suchtverhalten zu etablieren, statt es zu durchbrechen? Oder anders: Welcher Punkt überwiegt Ihrer Meinung nach – die Rauchentwöhnung oder das Anfangen?
Mayer: Man führt damit niemanden ans Rauchen, wie viele dampfende Minderjährige gibt es in Deutschland – 5 %? Raucher haben wir 15–20 %. Ich will auch nicht, dass meine Kinder dampfen, aber noch wichtiger ist mir, dass sie nicht rauchen. Wir müssen uns erstmal um die Raucher kümmern und das Rauchen in den Griff kriegen, im nächsten Schritt können wir dann schauen, wie wir das Dampfen verhindern. Der Jugendschutz funktioniert hier anscheinend nicht, die Attraktivität des Rauchens ist da und das wird man auch nicht verhindern, den Nikotingebrauch nicht ausrotten können. Es stellt sich also die Frage: Motiviere ich die Jugendlichen dann eher zum Rauchen oder zu einer weniger schädlichen Alternative, wie es E-Zigaretten und, nochmal weniger, Nikotinbeutel sind?
Die Länder wissen nicht, was sie mit der Regulierung machen sollen. In Deutschland sind Nikotinbeutel als Lebensmittel eingestuft, mit einem homöopathischen Grenzwert an Nikotin – das ist ein de-facto Verbot. Und diese Unregulierung ist ein Risiko, es gibt Produkte im Internet mit sehr hohen Nikotinwerten, die werden überall verkauft, in Kiosken, an Tankstellen. Da ist Jugendschutz schwer umzusetzen. Wir brauchen vernünftige Regulierungen mit einer Begrenzung für den Nikotingehalt und einer Qualitätskontrolle, das muss in den Jugendschutz integriert werden. In Österreich ist es theoretisch besser geregelt, weil man die Beutel dort nur in Tabakläden und Dampfshops erhält, aber wir haben trotzdem 15 % Raucher. Umgekehrt sind rauchende Kinder einfach das Hauptproblem – und wenn man ihnen auch noch Alternativen vorenthält, ist das problematisch.
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