Karen Abel
53 Jahre, 47 Jahre bei der Diagnosestellung
Metastasiertes Lungenkarzinom mit diagnostizierter Treiberalteration
Bewegung in der Natur, spazieren, wandern, Mountainbiken, Lesen, Meditieren, Yin Yoga
Podcast „Let’s talk about cancer”
YouTube-Kanal
Interview-Geberin (z. B. in der FAZ & der ÄrzteZeitung)
Aufgeben ist keine Option
Nein, auf den ersten Blick sieht und merkt man mir das meist nicht an und doch ist es so: Ich habe ein metastasiertes Lungenkarzinom. Aber ich bin viel mehr als meine Krankheit: Mein Name ist Karen, ich bin 53 Jahre alt, und wohne mit meinem Partner und meiner Tochter in Bayern. (Zur Erklärung: Mein Partner und unsere gemeinsame Tochter sind Bayern, ich lebe als Norddeutsche seit 1994 in / bei München.) Ich liebe die Nähe zu den Bergen, denn ich bin dort gerne – sofern es der gesundheitliche Zustand erlaubt – unterwegs, egal ob beim Wandern oder mit dem Rad: die Bewegung an der frischen Luft macht mich einfach glücklich. Eines meiner Highlights war die Alpenüberquerung mit dem Mountainbike – was natürlich vor der Geburt meiner Tochter war; aber auch mit Kind ist meine Passion für das Radfahren geblieben. Ich reise auch unheimlich gern, denn unterwegs ist das Leben einfach spannend, man lernt Menschen, Orte und andere Lebensweisen kennen – das Reisen eröffnet mir stets neue Perspektiven, die ich zuhause so nicht wahrnehmen würde. In meinem Arbeitsleben gab es immer eine Konstante: Meine Flexibilität. Ursprünglich habe ich – Überraschung – Reiseverkehrskauffrau gelernt – ich glaube, den Begriff gibt es schon gar nicht mehr. Danach habe ich mich an vielen Stellen im kaufmännischen Bereich ausprobiert, war in verschiedenen international tätigen Unternehmen. Was andere als stressig bezeichnen würden, brauche ich: Immer eine neue Herausforderung, eine neue Aufgabe, in die ich mich einarbeiten kann – ich würde sagen, dass mich diese Fähigkeit auszeichnet. Ein weiterer Aspekt, der mich ausmacht, ist meine direkte Art – die mich oft zwar weiterbringt, manchmal jedoch auch zu Schwierigkeiten führt. Aber weshalb sollte ich nicht direkt sagen, was ich denke und für richtig halte? Ich glaube, dass wir für ein gutes Miteinander diesen offenen, direkten und ehrlichen Austausch brauchen. Ich bin schon immer eine Person, die gern Projekte anpackt und Dinge in Bewegung setzt – geradlinig, ohne viel darüber nachzudenken. All das sieht man mir auf den ersten Blick vielleicht nicht an – so wie meine Krankheit, mit der ich und in gewisser Weise auch meine Familie seit 6 Jahren leben.
Meine Diagnose war eher ein Zufall: Ich hatte starke Rückenschmerzen und stellte mich damals bei meiner Hausärztin vor, die mich direkt an einen Orthopäden überwies – zum Glück noch Prä-Pandemie, da war es noch deutlich einfacher. Nach der akuten Schmerzbehandlung besserte sich allerdings nichts, also wurde ich ins MRT geschickt. Hier wurde ein angebrochener Wirbel entdeckt. Im darauffolgenden CT wurden dann Metastasen gefunden und der Primärtumor in der Lunge wurde schlussendlich im PET-CT entdeckt. Bis zur Diagnosestellung vergingen insgesamt lediglich 6 Wochen – damit hatte ich großes Glück -wenn man in einem solchen Fall makabererweise noch davon sprechen kann- denn oftmals dauert es deutlich länger. Auch, wenn ich damals noch nicht wusste, was es bedeutet – heute bin ich so dankbar dafür, dass bei mir auch direkt molekulargenetisch getestet wurde. Das war 2018 noch keine Selbstverständlichkeit und im Nachhinein wirklich ein Segen, denn nur so konnte und kann ich zielgerichtet behandelt werden, was auch bedeutet, mit weniger bis keinen Nebenwirkungen konfrontiert zu sein, wie bei einer Chemo. Die Auswertung der Biopsie dauerte 3 Wochen, in dieser Zeit wurde mein Lendenwirbel operativ stabilisiert und bestrahlt, wegen der Metastase, die die Rückenschmerzen verursacht hat. Da man eine gewisse Zeit braucht, die Diagnose zu realisieren und zu verarbeiten, kann ich mich kaum noch an diese Zeit erinnern. Alles passierte wie in Trance: Die Diagnose metastasierter Lungenkrebs war selbstverständlich ein unsäglicher Schock. Ich war erst 47 Jahre alt – und auf einmal unheilbar krank bzw. palliativ.
Als ich wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, war ich auch sehr verwundert, denn ich habe nie viel geraucht. Und nur starke Raucher bekommen doch Lungenkrebs, oder? Erst jetzt ist mir klar, wie tief dieses Stigma in mir und in der Gesellschaft verankert ist – und dass es völliger Quatsch ist: Jeder Mensch mit einer Lunge kann Lungenkrebs bekommen! Dennoch kam von meinem Umfeld nach meiner Diagnosestellung ständig die Frage nach dem Rauchen. Das gab mir das Gefühl, selbst schuld an meiner Situation zu sein. Doch viel schockierender finde ich, dass mir das Stigma auch im ärztlichen Umfeld immer wieder begegnete – müsste das medizinische Personal es nicht besser wissen? Hier wünsche ich mir einen sensibleren Umgang mit diesem Thema – für die betroffenen Menschen hört sich das oft nämlich nach einem Vorwurf an, als wären sie selbst schuld an dem Krebs in der Lunge. Gerade bei Ärztinnen und Ärzten kann diese Denkweise sogar gefährlich sein: Noch immer wird die Diagnose Lungenkarzinom schnell frühzeitig verworfen, wenn die Person weder stark geraucht hat noch unter starkem Husten leidet – und das kostet wertvolle Zeit, bis die richtige Therapie möglich ist. (Der Krebs kostet Menschenleben.)
Als junge Patientin – ich war ja erst 47 – habe ich mich mit der Diagnose sehr allein gefühlt. Es kam mir so vor, als hätte außer mir niemand unter 60 diesen Krebs. Es gab keine große Lobby oder Vorbilder – wie auch, wenn die Menschen vor der Einführung zielgerichteter Therapien viel zu früh verstorben sind. Deshalb habe ich quasi über Nacht einen Podcast gestartet – hätte ich diese Diagnose nicht, hätte ich nie den Mut dazu gehabt: Einfach machen. Damit wollte ich anderen Personen mit Krebs begegnen und mit ihnen über ihre Diagnose, ihre Therapie und ihr Leben mit der Erkrankung sprechen. Nach und nach meldeten sich auch immer mehr junge Menschen mit Lungenkrebs, wodurch ich lernte, dass oft gerade junge Frauen betroffen sind, die häufig nie oder sehr wenig geraucht haben. Mit meinem Podcast „Let’s talk about cancer“, meinem YouTube-Kanal und Engagement auf anderen sozialen Medien gebe ich Krebspatienten*innen, die sonst keine Lobby haben, die Möglichkeit sich zu zeigen, insbesondere um über Lungenkarzinome aufzuklären, zu entstigmatisieren und vor allem auch eine Stütze für Neudiagnostizierte zu sein – quasi das Vorbild zu sein, das mir damals fehlte. Es ist eine sinnerfüllte Arbeit, in die ich mein ganzes Herzblut stecke und die mir auch selbst viel Kraft gibt. Denn Role Models sind wichtig! Ich selbst habe damals meine Diagnose gegoogelt und fand nur einen Beitrag von einem Mann, dessen Frau acht Monate nach der Diagnose verstarb. Zum Glück konnte mich meine Onkologin damals beruhigen, als ich sie darauf ansprach. Denn was bedeutet schon die Statistik für den einzelnen Menschen? In meinem Fall nicht viel, denn mit meinem ersten Medikament war ich 3 Jahre stabil – statistisch hätte ich unter der Therapie 12 Monate überlebt. Jeder Mensch ist anders und das sollte stets im Hinterkopf behalten werden. Das wünsche ich mir auch von meinen behandelnden Ärztinnen und Ärzten: Sie sollten individuell auf mich eingehen, meine aktuelle private Situation einbeziehen und mich als ganzes Bild sehen. Sie sollten versuchen den Menschen anzugucken und sich fragen: Was ist das für ein Typ, wer sitzt da vor mir? Sie sollten mich vor allem auch ernst nehmen, denn ich kenne meinen Körper am besten und wenn ich irgendwelche Veränderungen wahrnehme, sollten diese nicht direkt auf die leichte Schulter genommen werden. Mein Appell an das Fachpersonal: Lassen Sie die Statistiken raus – zwar versterben immer noch viele, aber es gibt eben auch viele, die überleben.
Als ich damals meine Diagnose erhielt, dachte ich, dass ich noch maximal ein Jahr lebe. Meine Tochter war zu dem Zeitpunkt erst 10 Jahre alt. Ich wollte und will immer noch unbedingt gemeinsame Erinnerungen für sie schaffen. Damals war mein erster Impuls, eine Reise mit der Familie zu unternehmen. Mittlerweile befinde ich mich im 6. Jahr nach meiner Diagnose – damit bin ich quasi eine Art statistisches Wunder. Die ersten drei Jahre habe ich sehr lebenswert gelebt, die Therapie schlug gut an, doch dann wurde ich bzw. der Krebs resistent gegen das Medikament. Als es dann zu meinem ersten Progress kam, war ich noch einigermaßen entspannt. Mir ging es ja soweit gut und ich habe von dem Fortschreiten der Erkrankung nichts gemerkt. Außerdem gab es ein Nachfolgemedikament, das hat mich beruhigt. Allerdings stellte sich nach einem CT heraus, dass dieses Medikament bei mir nicht wirkte. Gegen die vorgeschlagene Alternative – Chemotherapie – habe ich mich allerdings stark gewehrt, denn zu diesem Zeitpunkt wusste ich ja schon um die Bedeutung der molekulargenetischen Testung und hatte Angst vor den Nebenwirkungen einer Chemo – und ich hatte am eigenen Leib bereits erfahren, was mit einer zielgerichteten Therapie alles möglich ist. Meine Ärztin und ich entschieden uns daher zunächst für eine Bestrahlung. Allerdings war diese eine merkliche Belastung für meinen Körper und ich wurde immer schwächer. Kurz darauf kam der nächste Progress, ich landete in der Notaufnahme – um die Chemo kam ich jetzt nicht mehr herum. Da wurde mir ein neues Leben geschenkt, alle Metastasen und der Primärtumor verschwanden. Die Überraschung (Kommentar: Jetzt schmeicheln wir der Schulmedizin, ich habe die Chemo in einer ganzheitlichen Klinik gemacht): Ich hatte bis auf eine Gürtelrose keine Nebenwirkungen. Und dann kam der vierte Progress: Zu meinem Glück kam kürzlich ein neues Medikament auf den Markt, mit dem ich derzeit lebe. Ich bin also ein gutes Beispiel: Forschung rettet Leben!
Seitdem ich meine Diagnose erhalten habe, hat sich im Grunde alles verändert – doch ich bin in vielerlei Hinsicht immer noch dieselbe Frau geblieben. Nach wie vor ist meine größte Kraftquelle die Bewegung in der Natur. Natürlich ist mittlerweile einiges nicht mehr in dem Maße möglich wie früher. Doch mache ich immer noch Fahrradtouren – nur nicht mehr so lang und mit dem E-Bike. Und auch das Wandern kann ich nicht sein lassen. Im Frühling ging ich mit Unterstützung meines Partners einen Teil des Jakobsweges. Auch wenn mein Zustand zurzeit größere Wanderungen nicht zulässt, so kann ich immer noch Spazieren gehen. Auch schon vor der Diagnose war meine Familie das Wichtigste für mich. Seit der Diagnosestellung hat sich mein Blick auf das Leben natürlich verändert und ich nehme vieles viel bewusster wahr. Ich versuche auch stets positiv zu bleiben und immer das Gute zu sehen – egal wie schlecht es mir geht. Ganz nach meinem Lebensmotto „Aufgeben ist keine Option“ – und das wünsche ich mir auch von meinen Behandlerinnen und Behandlern: Gebt nicht auf – weder mich noch andere mit Lungenkarzinom!
Karen erzählt ihre Geschichte innerhalb unserer Initiative mit dem Bundesverband Lungenkrebs e.V. zum Lungenkrebs-Awareness Monat im November. Gemeinsam möchten wir so auf die Gesichter und Geschichten hinter Lungenkarzinomen aufmerksam machen. In Karens Verlauf spielt vor allem das Thema Treiberalterationen und Testung eine große Rolle, mehr Informationen für Fachkreise zu dem Thema finden Sie auch hier.