Patienten haben keine Zeit und wenig Lust, beim Arzt oder Apotheker zu warten. Online-Praxen wie DrEd setzen auf digitale Prozesse. Deutschland zieht die juristische Notbremse. Zu spät? Jeder zweite befragte Deutsche befürwortet Online-Verordnungen.
Nach Feierabend in einer Kölner Apotheke. Patienten warten in der Schlange auf ihre Beratung und auf ihre Medikamente. „Erst eine halbe Stunde beim Arzt und dann eine viertel Stunde in der Apotheke die Zeit totschlagen“, ärgert sich Kerstin N. Für ihr orales Kontrazeptivum muss sie jedes Quartal in ihre Praxis und dann in ihre Apotheke. „Berufstätige können eben nur zu Stoßzeiten einkaufen.“ Genau hier setzen Online-Praxen wie euroClinix oder DrEd an. Sie beraten und verordnen, ohne dass Patienten Termine vereinbaren müssen. Wartezimmer gibt es auch nicht.
Ein Blick auf den Workflow am Beispiel von DrEd. Im ersten Schritt füllen Patienten verschiedene Online-Formulare zu ihrer Krankheit aus. Dabei beschränken sich Ärzte auf Aspekte zur Männergesundheit (Erektionsstörungen, vorzeitiger Samenerguss, Haarausfall, Präexpositionsprophylaxe), zur Frauengesundheit (Verhütung, Vaginose, Blasenentzündung, Hirsutismus), zur Reisemedizin (Malaria oder Durchfall) oder zur inneren Medizin (Asthma, Sodbrennen, Hypertonie, Hypercholesterinämie). Sexuell übertragbare Erkrankungen wie Chlamydien, Genitalwarzen, Genitalherpes oder Gonorrhoe sind ein weiterer Schwerpunkt. Für die virtuelle Sprechstunde inklusive Verordnung fallen Kosten zwischen neun und 29 Euro an. Wartezeit auf einen Arzttermin und Zeitverlust im Wartezimmer selbst. Nicht erfasst wurde der Zeitaufwand in der Apotheke, um ein Arzneimittel zu erhalten © DrEd Patienten schätzen die Zeitersparnis, gefolgt von zeitlicher beziehungsweise räumlicher Flexibilität und von Diskretion.© DrEd Ein Blick auf den Workflow am Beispiel von DrEd. Im ersten Schritt füllen Patienten verschiedene Online-Formulare zu ihrer Krankheit aus. Dabei beschränken sich Ärzte auf Aspekte zur Männergesundheit (Erektionsstörungen, vorzeitiger Samenerguss, Haarausfall, Präexpositionsprophylaxe), zur Frauengesundheit (Verhütung, Vaginose, Blaenentzündung, Hirsutismus), zur Reisemedizin (Malaria oder Durchfall) oder zur inneren Medizin (Asthma, Sodbrennen, Hypertonie, Hypercholesterinämie). Sexuell übertragbare Erkrankungen wie Chlamydien, Genitalwarzen, Genitalherpes oder Gonorrhoe sind ein weiterer Schwerpunkt. Für die virtuelle Sprechstunde inklusive Verordnung fallen Kosten zwischen neun und 29 Euro an. „Nicht jede Krankheit kann aus der Ferne behandelt werden“, sagt DrEd-CEO David Meinertz. „Wir behandeln zum Beispiel kein Bauch- oder Kopfweh. Das sind Symptome, bei denen eine körperliche Untersuchung für eine Diagnose notwendig ist.“ Wegen des hohen Missbrauchspotenzials würden auch keine starken Schmerzmittel oder Schlaftabletten aufgeschrieben. Meinertz: „Wir behandeln nur dann, wenn Fernbehandlung Sinn macht.“ Warum das derzeit in Deutschland nicht möglich ist, zeigt ein Blick auf die verworrene Rechtslage.
Jeder EU-Mitgliedsstaat kann in besonders schützenswerten Bereichen wie dem Gesundheitswesen eigene Rechtsnormen erlassen. Apotheker kennen das von fruchtlosen Diskussionen über Rx-Versandverbote. Entschließt sich der Gesetzgeber, bestimmte Bereiche zu regulieren, betrifft das nur Arztpraxen oder Apotheken mit Sitz in Deutschland. Wie unterschiedlich die Betrachtung aber ist, zeigt ein kurzer juristischer Abriss:
Genau das hat der Gesetzgeber mit seinem „Lex DrEd“ getan. In einer Novelle zum Arzneimittelgesetz, § 48, würdigt er die britische Online-Praxis mit eigenen Textpassagen: „Eine Abgabe von Arzneimitteln, die zur Anwendung bei Menschen bestimmt sind, darf nicht erfolgen, wenn vor der ärztlichen oder zahnärztlichen Verschreibung offenkundig kein direkter Kontakt zwischen dem Arzt oder Zahnarzt und der Person, für die das Arzneimittel verschrieben wird, stattgefunden hat. Hiervon darf nur in begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden, insbesondere, wenn die Person dem Arzt oder Zahnarzt aus einem vorangegangenen direkten Kontakt hinreichend bekannt ist und es sich lediglich um die Wiederholung oder die Fortsetzung der Behandlung handelt.“ „Wie sollen wir das bitte erkennen“, sagt die Apothekerin Hanna Breitner aus München. „Bei DrEd ist alles klar, aber bei anderen Ärzten?“ Sie kritisiert: „Das Gesetz hat keinen Bezug zur Praxis.“ Standesvertreter bleiben eher vage. „Wir begrüßen die vorgesehene Regelung, durch die klargestellt wird, dass die Abgabe eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels grundsätzlich nur auf eine Verschreibung erfolgen darf, die nach einem persönlichen Kontakt zwischen der verschreibenden Person und der Person, für die das Arzneimittel verschrieben wird, ausgestellt wurde“, kommentierte die ABDA in einer Stellungnahme.
Vertreter der Ärzteschaft reagierten begeistert. „Schmuddelrezepte über das Internet ohne Arztkontakt sind damit verboten. Und das ist auch gut so“, sagte BÄK-Präsident Frank-Ulrich Montgomery. Generell lehne der Berufsstand die Telemedizin nicht ab. Allerdings müsse es ein Gleichgewicht zwischen Patientenschutz und Wirtschaftsinteressen gewahrt werden. „Deshalb verlangen wir, dass dem Einsatz telematischer Behandlungsmethoden eine persönliche Konsultation vorangegangen sein muss.“ Rein wirtschaftlich ändert sich für DrEd nicht viel. Anstatt Rezepte direkt an Kunden zu liefern, werden diese an eine EU-Versandapotheke jenseits deutscher Grenzen übertragen. Arzt- und Apothekensitz befindne sich außerhalb unserer Grenzen. Damit greifen deutsche Vorschriften nicht. Und die Einfuhr von zugelassenen Arzneimitteln aus anderen Unionsländern ist legitim.
© DrEd Doch was wollen eigentlich Kunden? Mandy K. hatte zwar schon im Fernsehen von DrEd gehört, aber noch nie Rezepte bestellt. Das Konzept gefällt ihr gut, Nachteile sieht sie nicht: „Ich gehe regelmäßig zur Vorsorge. Ansonsten füllen die Arzthelferinnen alles aus, das macht für mich keinen Sinn.“ Mit ihrer Meinung ist sie nicht allein: Jeder zweite repräsentativ befragte Bürger ist für Online-Verordnungen. DrEd knackte eigenen Angaben zufolge im Januar die Millionenmarke bei Beratungen und Behandlungen. Als durchschnittliche Wachstumsrate werden 200 Prozent pro Jahr genannt. Politisch bereitet allerdings der Brexit große Bauchschmerzen. Bleibt die Hoffnung auf einen „weichen Ausstieg“ Großbritanniens. Dann wären Abkommen, wie sie bereits zwischen der EU und Norwegen oder Grönland existieren, denkbar. Ansonsten bleibt noch Irland als Zufluchtsort.
Doch zurück nach Deutschland. Mit Einschränkungen wie dem „Lex DrEd“ doktert der Gesetzgeber nur an Symptomen herum, ohne wirklich Lösungen zu finden. Wir können viel von anderen Ländern lernen, falls wir uns nicht immer nur auf mögliche Risiken konzentrieren:
Althergebrachte und digitale Lösungen schließen sich nicht aus, sie ergänzen sich vielmehr. In Zeiten knapper werdender Ressourcen sollten sich Ärzte besser auf schwerwiegende Erkrankungen konzentrieren, anstatt ihre Zeit mit Bagatellfällen zu verschwenden.