Was ist schlimmer als eine Infektion? Zwei Infektionen! Mit Corona und Candida haben sich zwei gefunden – und befeuern sich gegenseitig. Doch das lässt sich für die Therapie ausnutzen.
Warum sorgen Infektionen mit dem gleichen Virus in dem einen Menschen für einen milden Krankheitsverlauf, während ein anderer schwer erkrankt? Diese Frage treibt Ärzte und Forschende schon lange um. Zum Teil kann man die Ursache auf unterschiedliche Immunsysteme zurückführen. Entscheidend sind aber auch bereits vorhandene Infektionen – selbst wenn die Patienten sie gar nicht bemerken.
Nun haben Forscher des Weill Cornell Medical College, New York, USA, einen neuen Kandidaten identifiziert, der ausschlaggebend für die Schwere einer SARS-CoV-2-Infektion sein könnte: Candida albicans, auch Soorpilz genannt. Er ist der häufigste Auslöser der Kandidose und im Darm von ca. 75 % der gesunden Menschen zu finden. Er ist fakultativ pathogen – so lange man also eine gesunde, ausbalancierte Darmflora hat, ist er nicht gefährlich. Sobald das Gleichgewicht allerdings wankt, zum Beispiel durch die Einnahme von Antibiotika, nutzt er seine Chance und breitet sich aus – er wird krankheitserregend. Aus diesem Grund und wegen seiner weiten Verbreitung hat die WHO ihn auf ihrer Liste der gesundheitsgefährdenden Pilzspezies in die höchste Kategorie „kritisch“ eingeordnet.
Es gab schon länger Hinweise, dass Pilzinfektionen eine wichtige Rolle bei einem COVID-19-Verlauf spielen. COVID-19-Patienten haben oft ein dysreguliertes Immunsystem, was zu einem veränderten Darm-Mikrobiom führt, wodurch die Darmschrankenfunktion eingeschränkt werden kann. Es wurde auch speziell von einer Veränderung in der Pilz-Flora im Darm berichtet. Zusätzlich wurden in einige Fällen Pilzinfektionen in der Lunge von COVID-19-Patienten gefunden. Es stellte sich also die Frage, ob eine chronische Darminfektion mit Pilzen und die daraus folgende ständige Immunantwort die Stärke einer COVID-19-Infektion beeinflusst.
Um das herauszufinden, untersuchten die Forscher in ihrer im Journal Nature Immunology erschienenen Studie 91 COVID-19-Patienten und 36 Patienten ohne SARS-CoV-2-Antikörper. Sie fanden bei den COVID-19-Patienten einen signifikanten Anstieg der Antikörper-Titer gegen drei Darmpilze: Candida albicans, Candida parapsilosis und Saccharomyces cerevisiae. Auch fanden sie eine höhere Pilzlast im Stuhl der COVID-19-Patienten, welche vor allem durch C. albicans verursacht wurde. Gleichzeitig war die Diversität der Pilze im Stuhl niedriger und es konnten weniger anaerobe Bakterien gefunden werden. All das deutet darauf hin, dass eine COVID-19-Infektion mit einem verstärkten Befall von bestimmten Pilzen, besonders C. albicans, zusammenhängt.
Interessanterweise war die Pilzlast bei Patienten mit schweren COVID-19-Verläufen höher, als bei jenen mit moderaten Verläufen. Auch sind im Gegensatz zu den moderaten Fällen bei den schweren Fällen die Antikörper-Titer gegen C. albicans im Verlauf der Krankheit angestiegen. Das ist ein weiterer Hinweis dafür, dass C. albicans die Schwere der COVID-19-Erkrankung beeinflusst.
Um besser zu verstehen, wie C. albicans und andere Pilze eine SARS-CoV-2-Infektion beeinflussen, stiegen die Forscher auf ein Maus-Model um. Dabei lag der Fokus auf zwei Komponenten des Immunsystems: Neutrophile und Interleukin-6 (IL-6). Neutrophile sind mit schweren COVID-19-Verläufen assoziiert. Die Forscher konnten zeigen, dass eine C. albicans Infektion in Mäusen die Neutrophil-Titer erhöht, nicht nur in der Region des Darms, sondern auch im peripheren Blut und in der Lunge. Sie vermuten, dass die Neutrophile durch IL-6 aktiviert wurden, denn Pilz-Infektionen sorgen meist für einen erhöhten IL-6-Titer. Und in der Tat konnten die Neutrophil-Level im Maus-Model reduziert werden, indem IL-6-Blocker verabreicht wurden. Zusätzlich wurden auch menschlichen COVID-19-Patienten IL-6-Blocker verabreicht, woraufhin die Antikörper-Titer gegen C. albicans sanken.
Somit stellten die Forscher folgende Hypothese auf: Eine Candida spp. Infektion führt zu einem Anstieg des IL-6-Levels, welche ihrerseits Neutrophile aktivieren. Dieser Neutrophil-Anstieg ist systemisch, das heißt, es gibt auch eine erhöhte Neutrophil-Präsenz in der Lunge. Dort interagieren die Neutrophile mit SARS-CoV-2, was zu einem schwereren Verlauf der Erkrankung führt. Als Marker kann man die Titer der Candida spp.-Antikörper, IL-6 oder Neutrophile nutzten. Wir haben euch die Hypothese nochmal anschaulich in der Abbildung zusammengefasst.
Hypthese der Forscher, wie eine Candida-Infektion eine SARS-CoV-2-Infektion verstärt. Credit: DocCheck, erstellt mit BioRender.com
Sollte sich ihre Hypothese bestätigen, würden sich neue Behandlungsmöglichkeiten eröffnen. Anstatt sich nur auf SARS-CoV-2 zu konzentrieren, könnte zusätzlich auch die Pilz-Infektionen bekämpft werden, zum Beispiel durch IL-6-Blocker. Dafür sind allerdings noch weitere Studien nötig. Zuletzt merken die Autoren noch an, dass es wahrscheinlich ist, dass dieses Interaktions-Prinzip sich nicht auf SARS-CoV-2 beschränkt. Es ist gut möglich, dass ähnliche Prozesse auch andere virale Infektionen beeinflussen. Auch diese könnte man dann mithilfe von antimykotischer Therapie unterstützend behandeln.
Bildquelle: erstellt mit Midjourney