Anhaltende Krampfanfälle sind eine Herausforderung für Tierarzt und Besitzer. Nun gibt es eine neue Empfehlung für die Akut- und Langzeittherapie bei Hund und Katze. Welche, lest ihr hier.
Ein krampfendes Tier versetzt Tierbesitzer oft in Panik. Die Diagnostik und Therapie von krampfenden Notfallpatienten – z. B. mit Status epilepticus oder Cluster-Anfällen – kann auch für Tierärzte sehr komplex sein. Insbesondere der Status epilepticus stellt mit einer Sterblichkeitsrate von 25,3 % bis 38,5 % nach wie vor eine therapeutische Herausforderung dar. Eine neue Guideline soll jetzt dabei helfen, die Versorgung entsprechend dem neuesten Forschungsstand zu vereinheitlichen. Sie beschäftigt sich vor allem mit Akutmaßnahmen und dem Einsatz von Benzodiazepinen bei Hund und Katze.
Die Konsenserklärung des ACVIM (American College of Veterinary Internal Medicine) soll aktuelles Wissen bündeln und für eine einheitliche Therapie von Krampfanfällen bei Hund und Katze sorgen. Bei Interventionen, für die es bisher keine veterinärmedizinische klinische Evidenz gab, wurden für die Empfehlungen Ergebnisse aus pharmakokinetischen Studien am Tier, Grundlagenforschung und der Humanmedizin herangezogen. Obwohl sich die meisten Studien auf die Pharmakotherapie des Status epilepticus konzentrieren, weisen die Autoren darauf hin, dass die Behandlung neurologischer Notfälle auch einer gründlichen Ursachensuche bedarf, um Patienten schnellstmöglich anfallsfrei zu bekommen und wichtige Organe bzw. Gewebe zu schützen.
Teil der Empfehlungen sind daher nicht nur Erst-, Zweit- und Drittlinientherapie-Schemata, sondern auch die Behandlung von Komplikationen wie Hyperthermie, Stoffwechselstörungen und Hypoxämie sowie die Beseitigung der den Anfällen zugrundeliegenden Ursachen (z. B. Hypoglykämie oder Elektrolytstörungen).
Beim Status Epilepticus sind Benzodiazepine der Goldstandard, auch die Autoren der Leitlinie sehen sie sowohl im ambulanten als auch im stationären Setting derzeit als die wirksamste und sicherste Therapie. Während im außerklinischen Setting zur intranasalen Applikation von Midazolam gegriffen werden sollte, kann stationär auch eine i.v. Applikation erfolgen. In ihrer Begründung schreiben die Autoren: „Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Wirksamkeit und Sicherheit des intranasalen Verabreichungsweges bei Hunden gleichwertig oder in einigen klinischen Situationen sogar besser ist als die i.v. Gabe. Das gilt umso mehr, wenn die Zeit für das Legen eines i.v. Katheters bei einem krampfenden Tier berücksichtigt wird. [...] Darüber hinaus ist es unwahrscheinlich, dass rektal appliziertes Diazepam, das Besitzern am häufigsten für die Behandlung zu Hause empfohlen wird, so stark oder schnell wirkt, wie intranasales Midazolam.“ Auch rektales Diazepam könne aber „in einigen Fällen dennoch zu günstigen Ergebnissen führen“.
Für die Zweitlinientherapie empfehlen die Autoren Levetiracetam, Phenobarbital und Fosphenytoin. Sie schreiben: „Phenobarbital und Levetiracetam sind zwei wirksame und sichere Antikonvulsiva, deren Einsatz bei der Behandlung von Epilepsie und Anfallsleiden bei Hunden und Katzen durch zahlreiche Belege gestützt wird. Obwohl sie als Zweitlinientherapie gelten, sollten Kliniker in Erwägung ziehen, sie bei Tieren, die mit Anfallsnotfällen in die Klinik kommen, im Rahmen eines frühen simultanen Polytherapieansatzes einzusetzen (z. B. gleichzeitig mit oder nach wiederholten Benzodiazepin-Bolusgaben und Infusion).“
Phenobarbital, Levetiracetam und Fosphenytoin könnten zusätzliche Vorteile beim Satus epilepticus bieten, da sie u. a. auf andere Gamma-Aminobuttersäure-A (GABAA)-Untereinheiten als Benzodiazepine sowie extra-synaptische GABAA-Rezeptoren wirken und zusätzlich N-Methyl-D-Aspartat (NMDA)- oder α-Amino-3-Hydroxy-5-Methyl-4-Isoxazolpropionsäure (AMPA)-Rezeptoren beeinflussen, eine präsynaptische Glutamatfreisetzung bewirken und spannungsabhängige Natrium- und Kalziumkanäle aktivieren können.
Für eine Drittlinientherapie wird ein vierstufiger Ansatz empfohlen: Zunächst kann ein intravenöser Ketamin-Bolus verabreicht werden. Er kann durch eine Bolusgabe von Dexmedetomidin ergänzt werden. Wenn der Anfall hierdurch nicht beendet wird, sollte intravenöses Propofol verabreicht werden. „Hier ist darauf zu achten, dass bei Katzen wiederholte Propofol-Bolusinjektionen mit Vorsicht erfolgen sollten. Propofol sollte außerdem unter genauer Überwachung und vorzugsweise erst dann verabreicht werden, wenn andere Anästhetika keine Wirkung zeigen“, schreiben die Autoren in ihren Empfehlungen. Im dritten Schritt können Barbiturate (Pentobarbital oder Natriumthiopental) verabreicht werden und im vierten Schritt soll schließlich eine Inhalationsanästhesie eingeleitet werden.
ACVIM-Vorschläge für den therapeutischen Ansatz bei Status epilepticus. Credit: ACVIM
„Die Konsenserklärung soll helfen, komplexe, häufig auftretende neurologische Notfälle besser zu behandeln. Wir haben den aktuellen Stand der Forschung begutachtet und daraus die Empfehlungen abgeleitet. Sie sind allgemein anwendbar und die offizielle Richtschnur für Primär- und Fachtierärzte. Gleichzeitig zeigen sie potenzielle Forschungsansätze in diesem Bereich auf“, sagt Dr. Marios Charalambous, Mitarbeiter in der Klinik für Kleintiere der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo). Er leitete das Gremium internationaler Experten, das sich für die Erstellung klinischer Richtlinien zusammenfand.
Neben dem Handling eines Status epilepticus findet man in den Empfehlungen außerdem weitere, nicht medikamentöse Maßnahmen, um einen Anfall zu kontrollieren, Ratschläge, wann man mit einer medikamentösen Therapie aufhören sollte, wie nach Beendigung eines Anfalls die weitere Behandlung erfolgen kann und was Tierärzte beim Management von Cluster-Anfällen beachten sollten. Wer sein Wissen in Sachen Epilepsie auf den neuesten Stand bringen möchte, der findet die Empfehlungen hier.
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