Alle meckern über unser Gesundheitssystem. Ich wage zu träumen – und zeige euch, wie ich mir die perfekte Hausarztpraxis vorstelle. Spoiler: Abrechnungen pro Quartal gibt’s nicht mehr.
Es ist besser, eine Kerze anzuzünden als über die Dunkelheit zu fluchen. Das ist ein Spruch, den ich meinen Kindern oft sage. Ich möchte ihnen damit direkt beibringen, dass wir nicht immer nur schimpfen können und sagen, was alles NICHT sein soll, sondern es auch immer konstruktive Vorschläge braucht. Klar, damit macht man sich auch angreifbarer, als wenn man nur kritisiert, aber wenn sich niemand aus der Deckung wagt, wird auch nie ein Problem gelöst.
Also los: Statt nur zu meckern, gehen wir mal zur Frage „Wie stelle ich mir denn ein ‚gutes‘ Gesundheitssystem vor?“ Ein System, in dem man arbeiten möchte, ohne in Scharen auszubrennen, das finanzierbar ist und gleichzeitig zu einer möglichst langen Lebensdauer und guten Lebensqualität für die Patienten beiträgt.
Ich versuche mal anhand eines fiktiven Tagesablaufs zu zeigen, wie ich mir das vorstelle.
Wir haben ein Primärarztsystem. Das heißt, es muss nicht ein spezifischer Arzt sein, sondern der Patient schreibt sich in einer von ihm gewählten Praxis ein und das ist seine primäre Anlaufstelle, wenn mal was ist. Wir bekommen dafür eine gewisse Grundpauschale (altersgestaffelt meinetwegen). Und wenn der Patient die Praxisdienste in Anspruch nimmt, gibt es aufwandsgestaffelte Zuschläge.
Das könnte so aussehen: Einen kleineren Zuschlag für Folgerezepte, einen größeren für die Standardversorgung bei kleineren Erkrankungen und Extra-Zuschläge bei aufwändigeren Untersuchungen wie Sono oder z. B. die Behandlung von Palliativpatienten. Die quartalsweise Abrechnung ist abgeschafft. Man bekommt das Geld monatlich zugewiesen – mit nicht mehr als sechs Wochen Verzögerung – zwischen Ende des Monats und der Abrechnung. Damit wird dann endlich der große Andrang am Anfang des Quartals beendet sein.
Für einen Standard-Schnupfen muss der Patient nicht in die Praxis kommen, weil er bis zu fünf Tage ohne offizielle AU zu Hause bleiben kann. Für Arbeitgeber gibt es eine Möglichkeit, eine AU-Pflicht für einzelne Mitarbeiter zu erwirken. Aber das geht nur, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind (z. B. bei einer besonders hohen Zahl an Fehltagen pro Jahr).
In der Praxis selbst haben wir MFA, deren Rolle auch endlich offiziell so weit gestärkt worden ist, dass sie zum Beispiel standardmäßige Auffrischimpfungen komplett selbstständig durchführen können und nur bei Problemen – und nicht nur für Unterschriften – den Arzt holen müssen.
Die Praxisverwaltungssysteme sind so konzipiert, dass man einfach dokumentieren kann und mit einer simplen Passwortabfrage auch Zugriff auf die ePA hat, in der Arztbriefe, Impfausweis, Medikationsplan, eingelöste Rezepte und auch die Dauer- und Quartalsdiagnosen des Hausarztes mitgespeichert werden. Die Speicherung erfolgt automatisch und muss nicht mühselig separat erfolgen. So kann jeder Arzt, der darauf zurückgreift, die wichtigsten Punkte direkt sehen.
Auch die mitbehandelnden fachärztlichen Kollegen, Krankenhäuser und auch der Rettungsdienst können sich entsprechend einloggen. Damit entfällt die ewige Faxerei und Kopiererei. AU laufen wirklich elektronisch und müssen nicht für jeden zweiten Arbeitgeber ausgedruckt werden.
Der Patient kann die AU mit seiner ePA-App, die auch bei allen Krankenkassen untereinander kompatibel ist, nochmal einsehen, wenn er unsicher ist, bis wann die AU ging. Dort kann er auch sehen, welche Ärzte bzw. Institutionen innerhalb der letzten sechs Monate auf seine Akte zugegriffen haben, um etwaige unautorisierte Zugriffe zu bemerken – damit auch die Datenschützer zufrieden sind.
Ein „Mini-Notfall-Datensatz“ (Mediplan, Diagnoseliste, letzter Krankenhausentlassungsbericht) wird beim Einstecken der Krankenkassenkarte automatisch auf der Karte selbst gespeichert, um auch bei Ausfall der Internetverbindung dem Rettungsdienst die Basisinformationen zur Verfügung zu stellen.
Rezepte werden ebenfalls elektronisch übermittelt und können vom Apotheker bei Lieferschwierigkeiten selbständig angepasst werden. Da die Information der eingelösten Rezepte auf der ePA gespeichert ist, sieht der Hausarzt auch, was der Patient genau bekommen hat.
Das System ist so konzipiert, dass es sich als Arzt nicht lohnt, nur „Scheine zu machen“, sondern der Hausarzt wird auch darauf hingewiesen, wenn man überdurchschnittlich viel überweist. Damit entsteht ein Anreiz, die Leute gut selbst zu versorgen und in der Folge werden auch wieder Facharzttermine frei.
Was die fachärztliche Versorgung angeht, wäre meine Idee, dass auch dort ein „Grundpauschale-plus-aufwandsabhängigem-Aufschlag“-System eingeführt wird, das dafür sorgt, dass es eine solide Finanzierung gibt. Patienten, die gesehen werden müssen, können auch zeitnah zu ihrem Facharzt. Aber die Standard-Kontrollen laufen über den Hausarzt, so dass die Patienten maximal alle ein bis zwei Jahre zum Facharzt müssen, außer bei größeren Problemen oder sehr komplexen Verläufen.
Die DMP werden entschlackt – gerade bei KHK und COPD gibt es am Anfang eine intensivere Betreuung. Treten aber längerfristig keine Probleme auf, wird das Intervall bis auf maximal einen Besuch jährlich gestreckt. Stattdessen gibt es für uns einfachere bzw. niederschwellige Möglichkeiten für Ernährungsberatungen oder Zugang zu Physiotherapeuten. Es wird also weniger nur „am“ Patienten gemacht, sondern der Patient soll besser gecoacht werden, wie er selbst etwas für sich tun kann.
Es gibt eine Werbeeinschränkung für hochverarbeitete Lebensmittel, wie etwa Produkte mit hohem Zuckergehalt. Stattdessen sehen wir Werbung für einen gesunden Lebensstil – etwa von Krankenkassen, die durch angebotene Präventionsprogrammen auch noch Geld sparen können. Im besten Fall sinkt die Krankheitslast in der Bevölkerung insgesamt.
Das sind jetzt erstmal einige Ideen –und sicher nicht die Lösung aller Probleme. Aber so sehen die Konzepte aus, die ich mir vorstellen könnte und die unsere Arbeit wieder angenehmer und letztlich das Gesundheitssystem auch wieder finanzierbar machen würden. Denn noch teurer können wir uns es als Gesellschaft schlichtweg nicht leisten.
Ich würde mich freuen, wenn – neben vermutlich reichlicher Kritik an meiner Version der Dinge – auch konkrete neue Ideen kommen. Denn nur dann bekommen wir endlich Licht in die Sache. Auch wenn es vielleicht erstmal nur eine kleine Kerze ist.
Bildquelle: Josue Michel, Unsplash