Seit einiger Zeit zeichnet sich ein beunruhigender Trend ab: Die Inzidenz verschiedener Tumorerkrankungen bei jüngeren Patienten steigt – auch beim Kolonkarzinom. Woran liegt’s?
Krebs wird im Allgemeinen als eine Erkrankung des Alters angesehen, weswegen u. a. auf Grund des demographischen Wandels für die kommenden Jahrzehnte auch weiterhin von einer steigenden Inzidenz von Krebserkrankungen ausgegangen wird. Daneben gibt es einige Krebsarten, die typischerweise (auch) einen Altersgipfel im jungen Lebensalter haben, z. B. Keimzelltumore oder Hodgkin-Lymphome – onkologische Erkrankungen des Kindesalters einmal ganz außen vorgelassen. Aber auch die Inzidenz anderer Tumorerkrankungen steigt bei Jüngeren deutlich an, beispielsweise für Kolonkarzinome.
Sogenannter Early-Onset Colorectal Cancer (EOCRC), definiert als Darmkrebs bei onkologisch jungen Patienten unter 50 Jahren, stellt eine große Herausforderung sowohl in der Diagnostik als auch der Behandlung dar. In den vergangenen 20–30 Jahren ist die Inzidenz von EOCRC in Ländern mit hohem Einkommen um jährlich ca. 1,3 % gestiegen. Bezogen auf Deutschland liegt sie derzeit bei etwa 8–9/100.000. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Ebenso wie in der Karzinogenese des „normalen“ Kolonkarzinoms spielen Umwelt- und Lebensstilfaktoren sowie genetische Prädisposition eine große Rolle. Unterschieden werden müssen auch hier sporadisch auftretende Erkrankungen sowie solche, die im Rahmen eines erblichen Syndroms auftreten.
Jene Risikofaktoren, die im Allgemeinem für das kolorektale Karzinom gelten, werden auch mit EOCRC in Verbindung gebracht, hierunter v. a. eine westliche Diät, Adipositas, Konsum von Alkohol und Tabak sowie körperliche Inaktivität (sedentary lifestyle). Das Auftreten von EOCRC ist mit dem Vorliegen eines metabolischen Syndroms assoziiert. Verbunden mit den genannten Ernährungsgewohnheiten (westliche Diät, höherer Zuckerkonsum), aber auch weiteren Umweltfaktoren (z. B. Antibiotikaexposition) ist auch eine Veränderung des Mikrobioms der lokalen Darmflora. Dies spielt nach derzeitigem Stand, u. a. über Induktion von Entzündungsreaktionen, ebenfalls eine wichtige Rolle in der Pathogenese von EOCRC.
Bekanntlich gibt es verschiedene erbliche Syndrome, die mit dem Auftreten von frühen Darmkrebserkrankungen in Verbindung gebracht werden, z. B. die familiäre adenomatöse Polyposis coli (FAP) oder das Lynch-Syndrom (auch: hereditäres nicht-Polyposis-assoziiertes kolorektales Karzinom, HNPCC). Letzteres beruht molekulargenetisch auf einer Mutation von Mismatch-Reparatur-Proteinen und geht mit einem deutlich erhöhten Risiko für verschiedene Tumorerkrankungen einher, neben dem kolorektalen Karzinom unter anderem für Endometrium-, Ovarial- und Magen-, aber auch Urothelkarzinome.
In diesen Tumoren liegt im Rahmen des Lynch-Syndroms häufig eine sogenannte Mikrosatelliteninstabilität vor, welche ein positiver prädiktiver Faktor für ein Ansprechen auf eine Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren ist. Allerdings gehen nur etwa 10–20 % aller EOCRC auf ein erbliches Syndrom wie das Lynch-Syndrom zurück, die überwiegende Mehrzahl an Fällen tritt sporadisch auf.
Hierbei weisen EOCRC in der Regel ein deutlich unterschiedliches Mutationsprofil im Vergleich zu Darmkrebs im späteren Leben auf. Neben einem geringeren Auftreten von BRAF-Mutationen beim Kolonkarzinom junger Patienten sind hier u. a. vor allem die deutlich höhere Inzidenz von POLE-Mutationen sowie eine damit verbundene höhere tumor mutational burden (TMB) zu nennen. Die Bestimmung Letzterer gehört für gewöhnlich nicht zum diagnostischen Standardrepertoire. Da sie allerdings ebenfalls positive prädiktive Faktoren für eine Immuntherapie darstellen, sollte bei jungen Patienten mit Kolonkarzinomen, insbesondere in der metastasierten Situation, frühzeitig eine umfassende molekularpathologische/-genetische Diagnostik, bspw. via Next Generation Sequencing (NGS), erwogen werden.
Das Kolonkarzinom ist auf Grund seiner Pathogenese im Rahmen der Adenom-Karzinom-Sequenz eine Modellerkrankung für den Nutzen einer systematischen Vorsorge zur Krebsfrüherkennung. Und sicherlich sind auch Fortschritte in der Diagnostik sowie ein verstärktes Bewusstsein für die Notwendigkeit von regelmäßigen Screenings z. B. bei Risikopatienten (bspw. auf Grund positiver Familienanamnese) mögliche Faktoren für vermehrte Krebsdiagnosen bei jungen Patienten.
Auf der anderen Seite werden EOCRC aktuell häufig erst in fortgeschritteneren Stadien diagnostiziert. Ursächlich hierfür mag u. a. ein fehlendes Bewusstsein für die Möglichkeit einer Darmkrebserkrankung – sowohl auf Seiten von Patienten als auch Behandlern – insbesondere in den ganz jungen Kohorten sein. Auch bei einem 20-jährigen Patienten sollten typische Symptome, wie bspw. rektale Blutabgänge oder anhaltende abdominelle Beschwerden, eine entsprechende Diagnostik nach sich ziehen.
Grundsätzlich steht die Darmkrebsvorsorge (in Deutschland) angesichts von EOCRC aber vor dem Problem, dass eine Vorsorgekoloskopie im Allgemeinen erst ab 50 Jahren empfohlen wird. Lediglich Patienten mit z. B. familiärer Belastung wird bereits eine Koloskopie zehn Jahre vor dem Alter des erkrankten Familienmitglieds empfohlen (bei Patienten mit FAP oder HNPCC sogar noch deutlich früher). Zudem übernehmen auch einige Krankenkasse frühere Koloskopien für ihre Versicherten.
In Österreich hingegen wird bereits ab 40 Jahren zumindest ein jährlicher Test auf okkultes Blut im Stuhl (iFOBT) im Rahmen der Darmkrebsvorsorge angeboten. Österreich ist damit neben Italien und Litauen eine der wenigen Industrienationen mit einer sinkenden Inzidenz an EOCRC (Stand 2019 mit Daten zur Inzidenz bis 2012). Darüber hinaus hat eine rezente Simulation aus Kanada zeigen können, dass eine frühere Vorsorge mittels iFOBT ab 40 oder 45 Jahren nicht nur die Darmkrebs-Inzidenz, sondern möglicherweise auch die finanzielle Belastung für das Gesundheitssystem senken würde, da Krebsvorstufen oder frühe Stadien mit geringeren Behandlungskosten verbunden sind als fortgeschrittene Karzinome.
Somit liegen eigentlich ausreichend gute Argumente dafür vor, früher mit der Darmkrebsvorsorge zu beginnen. Letztlich werden jedoch spezifische empirische Daten notwendig sein, die eine Reduktion der Darmkrebs-bedingten Mortalität durch ein früheres Screening belegen und angesichts damit verbundener Risiken, Kosten und Ressourcen rechtfertigen. Ein weiterer Weg eines risikoadaptierten Screenings anhand prognostischer Scores wurde unlängst von Chen et al. aufgezeigt. Vielleicht ist auch dies im Zeitalter der personalisierten Medizin eine zukunftsfähige Lösung.
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Bildquelle: Kimson Doan, unsplash