Eindringen nicht möglich: Vaginismus ist eine der häufigsten sexuellen Störungen bei Frauen. Trotzdem sind viele Ärzte nicht ausreichend aufgeklärt. Wisst ihr Bescheid?
Das Einführen eines Tampons – ein Ding der Unmöglichkeit. Penetrativer Sex kommt gar nicht erst in Frage. Frauen mit Vaginismus leiden unter Kontraktionen der Vaginalmuskulatur, die ihnen ein „normales“ Sexualleben erschweren. Es ist eine der häufigsten Sexualstörungen bei Frauen und führt bei Betroffenen zu einem hohen Leidensdruck. Eine genaue Prävalenz dieser Störung ist schwierig festzusetzen, da auch kulturelle Hintergründe ein häufiger Faktor sind. Eine Studie in Ghana stellte beispielsweise eine Prävalenz von bis zu 68 % fest, während eine niederländische Studie nur eine Prävalenz von 4,2 % ermittelte. Die Heilungschancen sind jedoch hoch, laut Studienlage sind theoretisch Remissionsraten von 100 % möglich.
Beim Vaginismus kommt es bei Berührung zu Kontraktionen der Becken- und Vaginalmuskulatur von Betroffenen. Meist ist diese Störung psychisch bedingt, ausgelöst durch z. B. Traumata wie sexuellen Missbrauch, Stress oder der Tabuisierung von Sex durch das Umfeld. Auch ob andere Frauen in der Familie unter Vaginismus leiden, kann einen großen Einfluss auf das Auftreten haben. Nur selten liegen körperliche Ursachen zugrunde. Schmerzhafte Harnwegsinfekte oder Verletzungen durch eine Geburt können z. B. Auslöser sein, aber selbst nach Abheilung des Infekts oder der Verletzungen kann der Vaginismus bestehen bleiben, obwohl die physiologische Ursache abgeheilt ist.
Viele Frauen nehmen – auch aus Gründen der Scham oder Schuld – keine professionelle Hilfe in Anspruch, obwohl diese Störung sehr gut behandelbar ist. Eine aktuelle Übersichtsstudie konnte außerdem zeigen, dass Frauen, die aktiv nach Hilfe suchen, diese häufig nicht erhalten. Das liegt unter anderem vor allem an der mangelnden Ausbildung von Ärzten im Bereich von weiblicher sexueller Dysfunktion. Aber auch kulturelle und religiöse Hintergründe können zu einer mangelhaften Beratung führen.
Die Diagnose ist häufig schon der erste Schritt zur Besserung, denn: bereits die Aufklärung von Patientinnen über diese Sexualstörung kann einiges Bewirken und möglicherweise Scham und Schuld reduzieren. Wird der Vaginismus diagnostiziert, so kann auch eine entsprechende Therapie eingeleitet werden.
Viele Symptome des Vaginismus überschneiden sich aber auch mit denen von Dyspareunie. Dabei handelt es sich ebenfalls um eine Sexualstörung, bei der Frauen Schmerzen beim Eindringen in den Genitalbereich empfinden. Die Schmerzen gehen nicht zwangsläufig mit einem Verkrampfen der Muskulatur einher, was im Unterschied zum Vaginismus steht. Ist jedoch nicht eindeutig zwischen den beiden Störungsbildern zu unterscheiden, führt das nicht zwangsläufig zu einer erfolglosen Therapie, da die Behandlungsansätze bei beiden sehr ähnlich sind. Vaginismus und Dyspareunie werden auch unter dem Begriff Genito-Pelvine-Schmerz-Penetrationsstörung (GPSPS) zusammengefasst.
Eine häufig zur Diagnose von Vaginismus verwendete Methode ist die Lamont Skala. Mithilfe dieser Skala kann die Stärke der Ausprägung ermittelt werden. Insbesondere zur Überwachung von Fortschritten ist diese hilfreich, jedoch besagt die Schwere der Ausprägung nichts darüber aus, ob der Vaginismus bei einer Patientin behandelbar ist.
Lamont 1: Die Patientin kann sich für die Untersuchung des pelvo-genitalen Bereichs nach gutem Zureden und positiver Bestärkung entspannen.
Lamont 2: Die Patientin ist auch nach positiver Bestärkung nicht in der Lage, sich für die Untersuchung zu entspannen.
Lamont 3: Verkrampfung der Vaginalmuskulatur und Abheben des Gesäßes, um Untersuchung zu vermeiden.
Lamont 4: Abheben des Gesäßes sowie Rückzug des gesamten Körpers, um vaginale Untersuchung zu vermeiden, zusammenpressen der Schenkel.
Die gute Nachricht: Vaginismus lässt sich in der Regel gut behandeln. Manche Studien sagen, dass theoretisch eine Remissionsrate von bis zu 100 % möglich ist – jedoch nur, wenn die Behandlung bis zum Ende durchgeführt wird. Die Therapie von Vaginismus beginnt meist mit einer Aufklärung der Patientinnen über das Krankheitsbild. Auch die Klärung der Ursache ist wichtig für den Verlauf der Behandlung, sodass diese möglicherweise angepasst werden kann. Eingeteilt wird der Vaginismus grob in primär und sekundär.
Beim primären Vaginismus konnten Frauen noch nicht erfolgreich penetrativen Sex durchführen oder auch nur ein Tampon einführen. Obwohl es bisher keine wissenschaftliche Evidenz für eine genetisch-vererbbare Komponente gibt, spricht man häufig vom „angeborenen“ Vaginismus. Wissenschaftler argumentieren jedoch, dass es sich vielmehr um eine „erworbene“ Störung handelt. Wird beispielsweise schon in der Erziehung Sex tabuisiert oder leiden Frauen im familiären Umfeld unter dieser Störung, kann das zum Auftreten von Vaginismus und einer gewissen Prädisposition führen. Auch Gewalttätigkeit in der Familie oder dem Umfeld sowie Suchterkrankungen der Eltern werden häufig im Zusammenhang mit Vaginismus festgestellt.
Beim sekundären Vaginismus haben Frauen bereits mindestens einmal erfolgreich penetrativen Sex durchgeführt, sind aber nicht mehr in der Lage dazu. Sexueller Missbrauch, Stress oder sexuelle Störungen des Partners können auslösende Faktoren sein. Diese Form kann auch durch invasive Eingriffe – wie etwa Katheter oder Nadeln – ausgelöst werden, die als schweren Eingriff in den Körper wahrgenommen werden. Dann spricht man von iatrogenem Vaginismus.
Welche Form der Therapie besonders erfolgreich ist, ist individuell. Häufig werden auch verschiedene Ansätze kombiniert. So können Entspannungsübungen und Beckenbodentraining zusätzlich zu einer Sexual- oder kognitiven Verhaltenstherapie eingesetzt werden. Ein gern genutztes Tool ist auch der Einsatz von Dilatatoren. Dabei handelt es sich um „Stifte“ mit verschiedenen Durchmessern, die den Patientinnen dabei helfen sollen, sich an die Berührung im Genitalbereich zu gewöhnen. Es können jedoch auch die Finger genutzt werden. Dabei geht es nicht darum, das Gewebe zu weiten – denn Betroffene sind nicht „zu eng“, sondern verkrampfen bei Berührung.
Auch die Partner von Betroffenen können einen großen Einfluss auf den Erfolg der Behandlung nehmen. So konnte eine Studie zeigen, dass Partner, die Interesse an der Therapie zeigen und ihre Partnerin unterstützen, nicht nur den Heilungserfolg erhöhen könnten, sondern sogar schneller zu Ergebnissen führen. Auch eine Paartherapie kann hilfreich sein, da auch häufig sexuelle Störungen beim Mann Auslöser von Vaginismus sein können. Es ist demnach empfehlenswert bei einer Behandlung von Vaginismus auch den Partner mit einzubeziehen, da so der Behandlungserfolg nachhaltig besteht. Auch die Adhärenz ist nicht zu vernachlässigen. So konnte in der gleichen Studie gezeigt werden, dass Probandinnen, die regelmäßig (teilweise gemeinsam mit ihren Partnern) eine Sexualtherapie wahrnahmen und mit Dilatatoren oder Fingern übten, häufiger den Endpunkt der Studie erreichen konnten: erfolgreichen penetrativen Sex.
Bildquelle: Alexey Elfimov, Unsplash