Ein Mann wird nach einem Krampfanfall in die Notaufnahme eingeliefert. Hatte er einen epileptischen Anfall? Zunächst bleibt der Patient stabil, doch dann machen die Ärzte eine Entdeckung, die sie stutzen lässt.
Ein 50-jähriger Patient wird durch den Rettungsdienst mit V.a. epileptischen Anfall in die Notaufnahme gebracht. Der Patient hat bis auf einen schlecht eingestellten Hypertonus keine relevanten Vorerkrankungen. Er nimmt lediglich jeweils 5 mg Amlodipin und Ramipril. Die Ehefrau des Patienten berichtet, dass ihr Mann im Sitzen mit den Armen beidseits schätzungsweise wenige Sekunden gezuckt habe. Dabei habe er die Augen nach oben verdreht, sei danach schlaff zusammengesackt und mit dem Kopf auf den Tisch geprallt. Er sei kurz bewusstlos (Sekunden bis maximal eine Minute), dann jedoch schnell wach und prompt reorientiert gewesen.
Bei Ankunft in der Notaufnahme ist der Patient neurologisch unauffällig. Äußere Traumazeichen zeigen sich nicht. Auch ein Zungenbiss fehlt. Es fällt eine nasse Hose auf. Die Vitalparameter und der Blutzucker sind im Normbereich, im Blutbild und der klinischen Chemie zeigen sich keine Auffälligkeiten, insbesondere die Leukozyten und die Kreatinkinase sind normwertig. Ebenso ist ein cCT ohne wegweisenden Befund. Es erfolgt eine Aufnahme auf die Notaufnahme-Überwachungsstation.
Am Folgetag zeigt sich der Patient symptomfrei und weiterhin ohne relevante Laborauffälligkeiten. Beim Auslesen der Monitorüberwachung fällt ein intermittierender AV-Block Grad III auf, weshalb der Patient unverzüglich den Ärzten der Rhythmologie vorgestellt und durch diese erfolgreich mit einem Herzschrittmacher versorgt wird.
Dieser exemplarische Fall zeigt uns, wie wichtig die Differenzierung zwischen epileptischen Anfällen und konvulsiven Synkopen ist. Vielen Kollegen ist der Begriff einer konvulsiven Synkope nicht geläufig. Zu Konvulsionen, also kurzen unrhythmischen krampfartigen Entäußerungen im Rahmen von Synkopen, kommt es aufgrund einer globalen Hirnperfusionsminderung, wie in diesem Fallbeispiel, wegen einer Herzrhythmusstörung. Konvulsionen treten bei Synkopen häufig und unabhängig von der Ätiologie der Synkope auf, können also bei orthostatischen, kardialen und vasovagalen Synkopen oder beim posturalen Tachykardie-Syndrom vorkommen. Die Ursachen der Synkopen können harmlos sein. Bei Red Flags (Synkopieren im Liegen oder bei körperlicher Belastung, prolongierte Bewusstlosigkeit, Begleitsymptome wie Schmerzen thorakal, abdominell oder kranial, Atemnot, Palpitationen vor der Synkope, bekannte Herzinsuffizienz, Z. n. Myokardinfarkt, nicht erklärbarer niedriger Blutdruck, persistierende Bradykardie, bisher unbekanntes Systolikum, ausgeprägte Laborabnormitäten) sollte nach der Basisdiagnostik in der Notaufnahme jedoch unbedingt eine erweiterte internistische/kardiologische Abklärung erfolgen, da die 1-Jahres-Mortalität insbesondere bei kardial bedingten Synkopen hoch ist (bis zu 30 %).
Leider ist die klinische Differenzierung zwischen konvulsiver Synkope und epileptischem Anfall oft nicht einfach, zumal die Diagnose häufig lediglich anhand der Anamnese durch die Angehörigen gestellt wird bzw. oft nicht einmal eine Anamnese zu erheben ist, da das Ereignis unbeobachtet stattgefunden hat. Kann eine Anamnese erhoben werden oder wird das Ereignis sogar direkt beobachtet, so spricht hierbei für eine Synkope eine kurze Dauer des Ereignisses sowie eine kurze Reorientierungszeit, ein schlaffes Zusammensacken, nach oben verdrehte oder geschlossene Augen und unrhythmische Zuckungen ohne den klassischen Verlauf eines generalisierten tonisch- klonischen Anfalls.
Für einen epileptischen Anfall spricht eine Dauer von bis zu 2 Minuten, ein Herdblick zu einer Seite oder starr geradeaus, ein Zungenbiss, ein Initialschrei, Todd’sche Paresen oder neurologische Ausfallserscheinungen nach dem Anfall, ein über mehrere Minuten anhaltender Dämmerzustand und eine länger anhaltende Desorientiertheit nach dem Ereignis (siehe Tabelle am Ende des Artikels).
Eine Enuresis ist sowohl bei einem epileptischen Anfall als auch bei einer Synkope nicht ungewöhnlich und somit für diese Differenzialdiagnose nicht wegweisend. Bei der Differenzialdiagnose eines dissoziativen Anfalls ist eine Enuresis jedoch eher ungewöhnlich. Die Labordiagnostik ist lediglich wegweisend und nicht beweisend, denn Prolaktin beispielsweise kann auch bei einer Synkope erhöht sein. Eine Leukozyten-Erhöhung am Ereignistag und eine CK-Erhöhung am Folgetag sind suggestiv für einen epileptischen Anfall, können jedoch auch durch andere Ursachen z.B. ein Liegetrauma oder eine Infektion bedingt sein.
Sowohl ein epileptischer Anfall als auch eine konvulsive Synkope können im Rahmen von schwerwiegenden auch lebensbedrohlichen Erkrankungen vorkommen. Daher ist eine ausführliche Anamnese zur Einordnung und Einleitung der notwendigen Diagnostik essenziell. Im Zweifel oder bei nicht vorhandener Anamnese empfiehlt sich eine zweigleisige Abklärung.
Konvulsive Synkope
Generalisiert tonisch-klonischer Anfall
Dauer der Entäußerungen
Bis zu 30 Sekunden
30 Sekunden bis 2 Minuten (klonische Phase)
Lid-/Augenstellung
Nach oben verdreht/ geschlossen
Herdblick zur Seite oder starr geradeaus
Reorientierung
rasch
verzögert
Begleitsymptome/- Befunde
Palpitationen, Schwarz werden vor Augen (Tunnelblick), Sternchensehen
Neurologische Ausfallserscheinungen im Anschluss, Initialschrei, Zungenbiss lateral
Rhythmik der Entäußerungen
unrhythmisch
rhythmisch
Tonus des Körpers
schlaff
steif
Quellen:
Serum prolactin concentrations are elevated after syncope. E Oribe , R Amini, E Nissenbaum, B Boal; Neurologie. 1996 Jul.; 47(1)
Syncope in advanced heart failure: high risk of sudden death regardless of origin of syncope. H R Middlekauff , W G Stevenson, L W Stevenson, L A Saxon, J Am Coll Cardiologie. 1993 Jan.; 21 (1); PMID 8417050
S1-Leitlinie Synkopen 2020
S2k-Leitlinie Erster epileptischer Anfall und Epilepsien im Erwachsenenalter 2020
Bildquelle: Erstellt mit Midjourney