Ein junger Mann stellt sich in der Sprechstunde vor: Er hat unstillbaren Durst. Obwohl er fast 7 Liter täglich trinkt, zeigt er Symptome eines Volumenmangels. Wie kommt’s und was hat seine bipolare Störung damit zu tun?
Unsere Nieren gelten nicht zu Unrecht als hochkomplexes Wunderwerk der Natur. Sie produzieren täglich rund 180 Liter Primärharn. Nur ein bis zwei Liter werden als Harn über die Blase ausgeschieden.
Ähnlich wie in einem Klärwerk funktionieren die Filtration und Rückgewinnung der noch benötigten Stoffe wie Wasser und Elektrolyte über verschiedene Methoden: Zum einen physikalisch als Druckfiltration und physikalisch-chemisch über Osmose, und andererseits gibt es aktive Transportprozesse und spezifische Regulation der Funktionen über Prostaglandine und andere Hormone.
Und wie jedes komplexe System sind auch die Nieren anfällig gegenüber Einschränkungen der Funktion. Störungen durch Pharmaka sind bestenfalls reversibel. Im ungünstigsten Fall stören Wirkstoffe die Funktion der Niere dauerhaft.
Erschwerend kommt hinzu, dass sich Funktionseinschränkungen der Nieren nicht unmittelbar durch Schmerzen bemerkbar machen. Außerdem wirken viele Substanzen nicht generell nephrotoxisch, sondern erst ab einer bestimmten Dosis, nach einem längeren Zeitraum oder aufgrund von Interaktionen mit anderen Substanzen.
So berichten Ärzte von einem 36 Jahre alten, übergewichtigen Mann. Er stellt sich in der Sprechstunde vor und klagt, dass er permanent Durst habe, viel Urin ausscheide und sich allgemein schwach fühle. Er trinkt eigenen Angaben zufolge rund fünf bis sieben Liter am Tag. Seit 15 Jahren erhält der Patient aufgrund einer bipolaren Störung Lithium.
Physiologisch hat er Symptome eines Volumenmangels sowie einen erhöhten Kreatinin-Wert. Die Beschwerden waren einige Wochen vor dem Arztbesuch aufgetreten. Erst die Nieren-Biopsie zeigte die Ursache: eine chronische interstitielle Nephritis, also eine Entzündung des Nierengewebes, ausgelöst durch die jahrelange Einnahme von Lithium.
Als Ärzte dem Patienten raten, das Lithium-Präparat abzusetzen und ihm alternativ Olanzapin verordnen, verbessert sich die Funktionalität der Nieren wieder. In dem Fall war Lithium nephrotoxisch – aber erst chronisch durch die langfristige Anwendung. Umso wichtiger ist, bei Dauertherapien die Medikation regelmäßig zu evaluieren.
Nephrotoxizität tritt vor allem in diesen vier Strukturen auf:
Nephrotoxische Effekte sind dabei entweder:
Vaskuläre, tubulo-toxische und tubulo-obstruktive Effekte sind meist dosisabhängig. Sie können akut auftreten, etwa durch eine kurzfristige Gabe von Arzneimitteln oder – wie im oben beschriebenen Fall – chronisch durch längerfristigen Gebrauch. Allergisch-immunologisch bedingte Hypersensitivitätsreaktionen sind dosisunabhängig. Die schwerste Form der Nephrotoxizität ist das akute Nierenversagen.
Forscher kennen für den überwiegenden Teil der Pharmaka, auch für Phytopharmaka, eine mögliche nephrotoxische Wirkung. Welche Dosis den Effekt hervorruft oder wann eine Substanz eine immunologische Reaktion auslöst, lässt sich schwer prognostizieren. Oft überwiegt der Nutzen den Schaden oder es kommt gar nicht zu einer Schädigung. Auch die individuelle Konstitution oder etwa Vorerkrankungen spielen dabei eine Rolle.
Schon lange ist bekannt, dass Antibiotika wie Penicillin oder Ampicillin eine akute nephrotoxische Wirkung haben können. Das äußert sich unter Umständen in vermehrtem Wasserlassen. In seltenen Fällen kann es aber auch zum akuten Nierenversagen kommen.
Wichtige Beispiele für Arzneimittel mit einer nephrotoxischen Wirkung sind:
Auch Phytopharmaka wie Wermutkraut, Frauenminze oder Yohimbe sind nierenschädigend. Das gilt selbst für echtes Lakritz (Glycyrrhiza glabra) in höherer Dosis. Für Ärzte bleibt als Problem bei der Anamnese: Viele dieser pflanzlichen Zubereitungen sind nicht rezeptpflichtig, teilweise nicht einmal apothekenpflichtig. Medikationspläne bilden nur einen Teil der Wahrheit ab, wenn es darum geht, Gründe für Nephrotoxizität zu finden.
In allen Fällen, in denen sich Symptome einer Nierenschädigung zeigen, empfehlen Experten, die Medikation nach Möglichkeit umzustellen und gezielt wenig bis nicht nephrotoxische Pharmaka einzusetzen. Müssen Ärzte zur Akuttherapie kurzfristig Medikamente mit bekannter Wahrscheinlichkeit für nephrotoxische Ereignisse verordnen, bleibt als Empfehlung, drei Tage nach der Exposition die Nierenfunktion insbesondere über die Kreatininwerte zu überprüfen.
Weitere Quellen:
D. Czock et al.: Nephrotoxische Arzneimittel. Dtsch Med Wochenschr 2005;130:2579-2584
O. Scherf-Clavel: Wenn Arzneimittel an die Nieren gehen. PZ 06/2022
C. Müller: Arzneimittel-Attacken auf die Nieren. DAZ 08/2020
Bildquelle: Robina Weermeijer, Unsplash