Urologen behandeln nur Männer mit Prostataproblemen? Dieser Irrglaube hält sich hartnäckig. Welche Patienten darunter am meisten leiden und wen ihr öfter mal zum Facharzt schicken solltet, lest ihr hier.
Das Bild des Urologen, der nur alte Männer mit Prostataproblemen behandelt, hält sich unter Patienten hartnäckig. Doch auch junge Männer und Frauen benötigen oft urologische Unterstützung. Den Weg zum Facharzt finden sie aber nicht immer. Mögliche Gründe dafür sind fehlende Kostenübernahme, mangelnde Aufklärung und unzureichende Überweisung anderer Ärzte. Habt ihr immer auf dem Schirm, wann ihr eure Patienten zum Urologen schicken solltet?
Die Pubertät ist bekannterweise eine schwierige Zeit – für alle Beteiligten. Die Jugendlichen suchen Abstand und Unabhängigkeit von den Eltern, sind damit aber auch mit viel Verantwortung konfrontiert, der sie sich nicht immer bewusst sind. Das zeigt sich auch bei den Arztbesuchen: Während die U-Untersuchungen für Kinder bis 6 Jahre zu 98–99 % wahrgenommen werden, liegt die Inanspruchnahme der J1 für 12–14-Jährige nur noch bei rund 50 %. Und mit der J1 endet das reguläre Programm der Früherkennung bei Heranwachsenden. Es gibt noch die J2 für 16–17-Jährige, die ist allerdings eine Zusatzleistung, die nicht von allen Krankenkassen übernommen wird. Es liegen auch keine offiziellen Zahlen vor, wie viele Jugendliche die J2 wahrnehmen.
Wie geht es also weiter mit den Jugendlichen? Mädchen suchen einen Gynäkologen auf, wenn sie ihre erste Periode bekommen oder wenn sie sexuell aktiv werden und dann oft die Pille einnehmen wollen. Ab dem 20. Lebensjahr wird eine jährliche zytologische Untersuchung von den Krankenkassen übernommen – spätestens dann werden junge Frauen also angehalten, regelmäßig Vorsorgeuntersuchungen beim Gynäkologen machen zu lassen. Und die Jungen und jungen Männer? Die bleiben zu Hause. Es gibt kein gesetzliches Programm für Früherkennungen für diese Altersklasse. Männer müssen warten, bis sie 45 Jahre alt sind, bevor sie Anspruch auf eine gesetzliche Krebsfrüherkennung beim Urologen haben. Dabei wird auf Prostata- und Hodenkrebs gescreent. Vor allem Hodentumore treten aber durchaus schon bei jüngeren Männern auf.
Wäre es deshalb wichtig, dass auch junge Männer regelmäßig zum Urologen gehen? Was sollten Urologen und Hausärzte in Bezug auf diese Gruppe beachten? Darüber haben wir mit dem Urologen und Andrologen Prof. Frank König gesprochen. Er ist Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Urologie und arbeitet in einer urologisch-andrologischen Praxis in Berlin.
König bestätigt, dass junge Männer selten für eine Früherkennung in seine Praxis kommen, „denn sie haben ja keine Beschwerden.“ Dabei sei gerade bei pubertierenden Jungen eine gründliche Aufklärung entscheidend, sowohl in Bezug auf Geschlechtsverkehr und den assoziierten Krankheiten, als auch über Hodenkrebs. Denn besonders beim Thema Hodenkrebs sei es wichtig zu vermitteln, dass er auch bei jungen Männern auftreten kann. Deshalb sagt König, das Teenager-Alter ist „das perfekte Alter, um Männern da einzuschärfen: Auch du kannst Krebs kriegen!“ Den Jugendlichen sollte gezeigt werden, wie sie ihren Hoden regelmäßig abtasten können und verdeutlicht werden, dass sich die Hodentumore auch dadurch auszeichnen, dass sie eben nicht wehtun. Denn König sagt: „Da ist man manchmal schon erstaunt, mit welch großen Hodentumoren manche kommen, denn es hat ja nicht weh getan. Und deswegen treibt es den jungen Mann dann halt erst spät zum Arzt.“
Dann fügt König noch hinzu: „Eine Sache neben dem Hodentumor wäre auch noch wichtig: Es gibt ja nicht so viele Notfälle in der Urologie, aber ein Notfall wäre die Hodentorsion.“ Denn bei einer Hodenverdrehung „tickt die Uhr.“ Innerhalb von ca. 4 Stunden muss diese behandelt werden, da sonst ein Hodenverlust droht. Deshalb sei wichtig, dass Jugendliche und Männer einordnen können, dass ein Schmerz zusammen mit einer Überbeweglichkeit des Hoden sofort einen Gang zum Arzt erfordert. Auch hier ist also wieder Aufklärung entscheidend.
Um Jugendliche für diese Themen zu sensibilisieren, hat die Deutsche Gesellschaft für Urologie zusammen mit der Ärztlichen Gesellschaft zur Gesundheitsförderung eine Broschüre herausgebracht, die über die Veränderungen während der Pubertät, die wichtigsten Geschlechtskrankheiten und andere Erkrankungen im Genitalbereich aufklärt. Darin rufen sie auch Jungen auf, sich bei Fragen im Rahmen einer „Jungensprechstunde“ Rat vom Urologen zu suchen. Auch König hält dies für einen wichtigen Vorstoß, gibt aber auch zu: „Das ist eigentlich keine Kassenleistung. Das wäre möglicherweise schon der IGeL-Bereich.“ Die Kosten müssten also selbst getragen werden.
Aus diesem Grund appelliert er an die Kinder-, Jugend- und Hausärzte, die U- und J-Untersuchungen zu nutzen, um die Jungen aufzuklären. Neben der reinen Aufklärung sei auch wichtig, zu untersuchen, ob es bei der Entwicklung irgendwelche Auffälligkeiten gibt, ob etwas mit dem Hoden nicht in Ordnung ist, oder ob beispielsweise eine Phimose besteht. Auch Schwierigkeiten mit der ersten Sexualität sollten thematisiert werden. Zudem sollten die Untersuchungen zum Anlass genommen werden, um über eine HPV-Impfung zu sprechen. Denn diese Impfungen werden sowohl für Mädchen als auch für Jungen empfohlen, allerdings am besten schon vor dem ersten Geschlechtsverkehr. „Also eigentlich Aufgabe des Kinderarztes.“
Wenn Jungen und junge Männer einordnen könnten, wann etwas auffällig ist, würden sie auch rechtzeitig zum Urologen gehen. Und dann ist die Bezahlung auch wieder geklärt: „Die Behandlung einer – wenn auch nur vermuteten – Erkrankung ist natürlich Kassenleistung, das ist gar keine Frage“, so König.
Und dann gibt es da noch eine zweite Gruppe, die oft zu spät zum Urologen geht: Frauen. Wenn Frauen beispielsweise den Verdacht auf eine Harnwegsinfektion haben, suchen sie meist zuerst ihren Gynäkologen oder Hausarzt auf. Doch König erinnert: „Eigentlich sind wir der erste Anlaufpunkt bei Problemen mit der Miktion, also mit Wasserlassen, Harnwegsentzündungen und so weiter.“ Gynäkologen und Hausärzte „sind ja auch nicht dafür ausgebildet und darauf ausgelegt.“ Urologen hingegen könnten gezielte Diagnostik und gezielte Therapien einleiten. Für eine Urindiagnostik bei Beschwerden brauche man auch keinen Termin, betont er. Man könne einfach vorbeikommen. „Das ist oft so ein Aha-Effekt, wenn die Damen zu uns kommen.“
Zudem sei Frauen oft nicht bewusst, dass es noch viel mehr Möglichkeiten gebe, als nur eine Antibiotika-Therapie bei akuten Beschwerden. Man könnte zum Beispiel auch eine Expositions-Prophylaxe einnehmen, um zu verhindern, dass es überhaupt zu einer Infektion kommt. Zudem gibt es eine Impfung gegen Harnwegsinfektionen, mit der man eine aktive Immunisierung betreibt. „Das wissen auch die wenigstens“, meint der Urologe. „Und das sind so Dinge, die man einer Frau erzählen kann, wenn sie verzweifelt vom Gynäkologen kommt. Gerade bei langfristig rezidivierenden Blasenentzündungen kann man immer noch einiges mehr tun.“
Schließlich äußert König noch einen Wunsch an seine Kollegen: „Man sollte vorsichtiger sein, gerade was die unkontrollierte oder ungezielte Antibiotika-Therapie betrifft.“ Dazu zählen die genannten Frauen, die ohne genaue Diagnose mit Antibiotika gegen eine Harnwegsinfektion behandelt werden. Aber auch bei Männern wird oft zu schnell zu einem Antibiotikum gegriffen. „Wenn sie von Kollegen kommen und wochen- oder monatelang mit Antibiotika behandelt werden bei Verdacht auf eine Prostatitis und die Grundlage ist zum Beispiel einfach nur ein Spermiogramm, wo Bakterien drin sind, dann ist mit das schon ein Dorn im Auge“, sagt König. „Denn wir wissen, dass Spermiogramme mit Vorsicht zu genießen sind und Bakterien in Spermiogrammen nicht automatisch heißen müssen, dass es eine Prostataentzündung ist.“
Wir wissen heute immer mehr über die Auswirkungen von Antibiotika auf den Darm: „Das Thema Mikrobiom des Darms, Leaky Gut Syndrome – diese ganzen chronischen Schädigungen durch Antibiotika. Da haben wir sicherlich auch unseren Anteil daran und das muss besser werden in der Zukunft. Durch gezielte Diagnostik und gezielte Therapien.“ Und dazu gehört, das Fachwissen eines Urologen zu nutzen, wenn Patienten – Männer wie Frauen – Probleme oder Unsicherheiten mit ihrem Harntrakt haben. König bringt es auf den Punkt: „Wir sind ja die Experten und wir haben dann die Chance, die Sache einzuordnen, die Patienten aufzuklären, zu beruhigen und zu gucken, was dahintersteckt.“
Bildquelle: Hal Gatewood, Unsplash