„Ich bin zwar frei von Lungenkrebs, doch merke ich ihn jeden Tag.“ Mein Name ist Uwe, ich bin 62 Jahre alt. Ich bin seit vielen Jahren ein leidenschaftlicher Saxophonspieler – ich übe mich in der Improvisation, mache das aber mehr für mich. Ich bin schon immer eher der sportliche Typ: In Berlin mache ich alles, was möglich ist, mit dem Fahrrad. Ich gehe auch sehr gerne joggen, erst vor kurzem habe ich beim 10-Kilometer-Lauf mitgemacht. Gemeinsam mit meiner Frau gehe ich außerdem einmal die Woche tanzen – Standard und Latein. Das ist eine hervorragende Kombination: Musik und Bewegung – das macht mich quasi aus. Auch in meinen anderen Freizeitaktivitäten bin ich viel unterwegs: Ich bin ehrenamtlich beim Blindenwerk Berlin tätig und begleite Menschen im Alltag beim Einkaufen oder auch beim Sport. Die Geschichten der Menschen und ihren Umgang mit den Herausforderungen zu erfahren, gibt mir sehr viel. Außerdem bin ich seit kurzem ambulanter Sterbebegleiter und durfte hier bereits Jemanden begleiten. Ich bin grundsätzlich ein positiver Mensch, doch bekam mein frohes Gemüt im letzten Jahr einen Dämpfer: Bei mir wurde Lungenkrebs diagnostiziert. Zwar gelte ich als geheilt, doch werde ich täglich sowohl physisch als auch psychisch an meine Erkrankung erinnert.
Leider war das Lungenkarzinom nicht meine erste Krebsdiagnose: Seit 2009 war mein PSA-Spiegel erhöht, 2020 fand man dann Prostatakrebs. Anfangs zwar noch sehr klein, doch schon 2022 war er deutlich größer – das hat mich ziemlich niedergeschlagen. Im Zuge dessen musste ich im letzten Jahr für eine Prostatabiopsie ins Krankenhaus. Das seltsame an der Situation: Meine Schwester lag zeitgleich mit mir im Krankenhaus, denn bei ihr wurde ein Bronchialkarzinom diagnostiziert. Lungenkrebs hat in unserer Familie leider eine traurige Vorgeschichte: Wir haben zwei ältere Schwestern im Jahr 2012 und einen Bruder im März dieses Jahres an Lungenkrebs verloren. Jedenfalls nahm ich unseren gemeinsamen Krankenhausaufenthalt zum Anlass und ließ nach der Prostatakrebsbiopsie auch ein CT der Lunge machen. Und tatsächlich wurde ein Bronchialkarzinom festgestellt – dank der frühen Diagnose noch im operablen Stadium. So furchtbar meine familiäre Vorbelastung auch ist, verdanke ich ihr quasi die rechtzeitige Diagnose mit kurativem Anspruch. Klar – Lungenkrebs wird mit Rauchen verbunden. Ich habe auch geraucht, allerdings 2004 damit aufgehört. Jeder Arzt, jede Ärztin, hat mich im Laufe des Gesprächs gefragt, ob ich denn geraucht habe. Und ich blieb jedes Mal mit dem Gefühl zurück, dass mein Gegenüber es darauf geschoben hat. Auch im Bekanntenkreis habe ich diese Art von Stigmatisierung erlebt. Da fühlt man sich schon schnell in die Ecke gestellt, der Satz „Du bist selbst schuld“ schwebt über einem, auch wenn es niemand so ausgesprochen hat. Doch was nützt es mir die genaue Ursache meiner Erkrankung zu kennen? Sei es – wie in unserem Fall möglicherweise – die Genetik, Umweltverschmutzung oder Rauchen? Ich blicke jedenfalls lieber nach vorne als zurück und nehme diese Stigmatisierung nicht so auf die schwere Schulter.
Nachdem die Diagnose gestellt war, legten mir Ärzte und Ärztinnen eine OP dringend nahe… Zunächst wehrte ich mich noch dagegen, wollte meine Situation nicht akzeptieren. Am Ende entschied ich mich für das notwendige PET-CT und im Oktober letzten Jahres wurde mein Lungenkrebs im Frühstadium IA dann operiert. Erst einmal wurden 2 Segmente entfernt. Allerdings war die Empfehlung der Tumorkonferenz, aufgrund der familiären Belastung und der aggressiveren Tumorart, die identifiziert wurde, den gesamten linken oberen Lungenlappen zu entfernen. Ich stand vor einer äußerst schwierigen Entscheidung: Kann ich den drastischen Verlust an Lungenvolumen und somit Leistungsfähigkeit akzeptieren? Meine Frau, meine Familie und meine Freunde sagten: „Tu es!“ Und auch alle Ärzte und Ärztinnen rieten mir dazu, weshalb ich mich schließlich dazu entschied, mich im November ein zweites Mal operieren zu lassen. Die Aussage eines Arztes ist mir besonders im Ohr geblieben: Er meinte, ein halbes Jahr nach der OP sei alles wieder wie vorher. Das habe ich damals geglaubt, doch finde ich diese Behauptung retrospektiv einfach nur schlimm, denn dem ist nicht so! Die Narbe, das fehlende Lungenvolumen, nicht richtig durchatmen zu können, all diese Beschwerden waren auch nach einem halben Jahr noch da. Ich muss 70 Treppen hoch in meine Wohnung steigen. Ich bin heute noch außer Atem, wenn ich oben ankomme. Jeden Tag werde ich so an meinen Lungenkrebs erinnert, von dem ich theoretisch geheilt bin. Ich trainiere zwar mein Lungenvolumen durch Sport und merke auch Fortschritte bei den Tests, doch der Druck auf der Brust bleibt– und meine Hoffnung schwindet, knapp ein Jahr nach der OP, die 100 % von früher wieder zu erreichen. Ich hätte mir gewünscht, dass mir die Ärzte und Ärztinnen mit offenen Karten begegnet wären, mir die Risiken und Folgen des Eingriffs deutlicher dargelegt hätten. Ich kann zum Beispiel auch nicht mehr auf der linken Seite schlafen, ich spüre meinen Herzschlag durch das fehlende Gewebe direkt im Hals, das ist sehr unangenehm. Auf solche Beeinträchtigungen, die definitiv eintreten, vorher von den Ärzten und Ärztinnen offen hingewiesen zu werden, das hätte ich mir gewünscht. Ich bin der Meinung, dass das die Betroffenen auch nicht von der OP oder anderen Therapien abhält – es gibt ihnen aber die Chance, sich mental darauf vorzubereiten. Ich selbst habe mich auch tief eingelesen in das Krankheitsbild und die Therapiemöglichkeiten. Ich bin der Typ Mensch, der sich informiert, um zu wissen, was auf mich zukommt – ich kann dabei zum Glück emotional distanziert bleiben. Den Kopf in den Sand zu stecken und zu denken, die Ärztinnen und Ärzte machen das schon, das ist nicht mein Weg. Es stärkt mich, dass ich dadurch auf Augenhöhe mit den Ärzten sprechen kann. Und nur durch die Begegnung auf Augenhöhe fühle ich mich doch als Betroffener ernst genommen: Ich kenne meinen Körper doch am besten. Und die Ehrlichkeit auf beiden Seiten schafft Vertrauen.
Dank meiner Diagnose in einem frühen Stadium stehe ich wieder fest im Leben, bin engagiert, komme raus. Ich bin geheilt. Da muss es einem mental doch gut gehen! Dass eine frühe Diagnose trotz Aussicht auf Heilung eine psychische Belastung sein kann und Kraft kostet, das findet im Behandlungsalltag leider keinen Platz. Dabei wird die Psyche berührt! Ich konnte meine OP-Narbe über ein halbes Jahr nicht ansehen. Ich konnte monatelang überhaupt nicht akzeptieren, dass ich Lungenkrebs habe – obwohl ich mich fachlich haargenau mit der Erkrankung auseinandergesetzt habe, mich einlas. Die Diagnose zu akzeptieren, fällt mir bis heute schwer. Was, wenn es verläuft, wie bei meinem Bruder? Auch er wurde im frühen Stadium diagnostiziert und operiert, galt als tumorfrei. Und dann kamen die Metastasen. Ich fühle mich nicht als geheilt, der Krebs „schwebt“ immer über mir. Wie entwickelt sich mein Prostatakrebs, den ich ja noch habe, weiter? Ab und zu verliere ich auch die Hoffnung und verdrücke schon mal eine Träne – aber Aufgeben ist keine Option! Leider habe ich in keinster Weise im Kontakt mit Ärztinnen und Ärzten – mit denen ich klinisch sehr zufrieden war – Hinweise für einen Umgang mit dieser psychischen Belastung erhalten. Natürlich nicht, ich gelte ja als geheilt. Mir wurde nicht einmal die Frage gestellt, ob es mir psychisch denn gut geht. Zugegeben, die Auswirkungen zeigten sich erst später, Zuhause im stillen Kämmerlein. Hier bekommt es nur meine Frau mit, die in den schweren Zeiten meine größte Stütze ist. Vielen Betroffenen würde es bestimmt helfen, eine Broschüre mit Hilfsangeboten in die Hand gedrückt zu bekommen. Beispielsweise ist für mich die Selbsthilfegruppe eine gute Stütze, die ich seit ein paar Monaten alle 4 Wochen besuche. Ich rede hier zwar wenig über den psychischen Aspekt – ich trage das nicht so gern nach außen – aber Gleichgesinnte zu haben, um das ganze Thema Lungenkrebs ausgiebig zu besprechen, das tut gut.
Von all diesen schweren Themen lenke ich mich ab und an auch gern einfach ab: Beim Saxofon Spielen merke ich zum Glück meine Beeinträchtigung am wenigsten und das Musizieren ist eine gute Zerstreuung, genauso wie der Kontakt mit den Menschen, die ich im Rahmen des Blindenwerks begleiten darf. Was noch eine große Bedeutung in meinem Leben hat, ist mich intensiv um meinen Körper zu kümmern. Ich habe mich gefragt, was ich selbst noch tun kann, um meinen Gesundheitszustand zu unterstützen. Da spielen für mich Sport und Ernährung eine große Rolle. Beides sind auch - neben der Musik und dem Engagement- einfach Herzensangelegenheiten. Gerade meine Ernährung umzustellen, war ein krasser Einschnitt - ich liebe doch Süßkram, Nudeln und Brot! Aber trotz der Aufwände, die sich im Alltag daraus ergeben, und auch des Verzichts ziehe ich so große Motivation aus dem Gedanken „Ich tue selbst etwas gegen meinen Krebs!”
Uwe erzählt seine Geschichte innerhalb unserer Initiative mit dem Bundesverband Lungenkrebs e.V. zum Lungenkrebs-Awarenessmonat im November. Gemeinsam möchten wir so auf die Gesichter und Geschichten hinter Lungenkarzinomen aufmerksam machen. In Uwes Verlauf spielt vor allem das Thema Früherkennung eine große Rolle, mehr Informationen für Fachkreise zu dem Thema finden Sie auch hier.