MED-MYTHEN | Urin ist steril und Restharn ist gefährlich – sind das nur Märchen oder steckt doch mehr dahinter? Wir haben für euch 10 Behauptungen über Urin unter die Lupe genommen.
Der wohl älteste Urin-Mythos ist der seiner angeblich heilenden Kräfte. Heute wissen Ärzte, dass Urin weder getrunken werden sollte noch zur Desinfektion von Wunden geeignet ist. Und selbst wenn Hollywood-Filme es gerne immer wieder zeigen – man sollte auch nicht auf Quallenstiche pinkeln. Mittlerweile wurde nachgewiesen, dass Urin nicht steril ist – denn auch im Urin gesunder Menschen finden sich oft Bakterien. Verglichen mit anderen Körperflüssigkeiten ist die Menge allerdings immer noch relativ gering.
Diese Richtlinie ist auch heute noch weit verbreitet. Dabei wissen wir inzwischen, dass der Bedarf an Flüssigkeit stark schwankt, abhängig von Faktoren wie Umgebungstemperatur, körperlicher Aktivität und der Einnahme bestimmter Medikamente. Und zu viel zu trinken, kann sogar schädlich sein: Es kann zu Inkontinenz und einer überaktiven Blase führen. Es hilft aber auch nicht, wenn man bereits unter Inkontinenz leidet, besonders wenig zu trinken, weil das nur wieder zu neuen Problemen im Harntrakt führt – was schlussendlich die Inkontinenz weiter verschlimmert. Wenig trinken begünstigt beispielsweise die Entstehung von Nierensteinen. Um diese auszuscheiden, ist eine ausreichende Hydration wichtig. Allerdings kommt es auch hier wieder auf das richtige Maß an – trinkt man zu viel, kommt es zu einer Distension der Niere.
Es stimmt, dass die Farbe des Urins ein Indikator für das Hydrationslevel sein kann. Hellgelber bis gelber Urin zeigt dabei eine ausreichende Hydration an, während dunkelgelber Urin ein Zeichen für Dehydration sein kann. Aber: Die Urinfarbe wird auch noch durch andere Faktoren beeinflusst. Bestimmte Medikamente und Lebensmittel wie Karotten, rote Beete, Beeren und Rotwein können alle die Farbe des Urins verändern. Ein dunklerer Urin ist also nicht zwangsläufig ein Grund zur Sorge.
Unter Männern kursiert immer wieder das Gerücht, dass es gesünder ist, im Stehen zu pinkeln. Es gibt allerdings keine Belege dafür, dass es einen gesundheitlichen Unterschied zwischen Sitzen und Stehen beim Wasserlassen gibt. Patienten, die aufgrund einer vergrößerten Prostata Probleme bei der Miktion haben, kann es allerdings helfen, sich zu setzten, da in dieser Position die Bauchmuskeln besser eingesetzt werden können und so der Druck erhöht werden kann.
Das Internet bietet eine schier unendliche Liste an Hausmitteln gegen Harnwegsinfektionen. Die wissenschaftliche Datenlage ist hingegen eher dürftig. Eine Metaanalyse ergab, dass Cranberrys tatsächlich einen nachweisbaren Effekt haben in der Vorbeugung und Behandlung. Auch zeigte in anderen Studien der regelmäßige Verzehr von verschiedenen Fruchtsäften – besonders, wenn sie aus Beeren hergestellt wurden – prophylaktische Wirkungen. Verschiedene Kräuter zeigten ebenfalls vorbeugende Wirkungen, darunter Bärentraubenblätter, Löwenzahn, Liebstöckelwurzel, Rosmarinblätter und Tausendgüldenkraut. Den größten Effekt zeigen die Kräuter allerdings in Kombination mit einem Antibiotikum. Zudem herrscht weiterer Forschungsbedarf, was die genaue Zusammensetzung der Kräuter angeht. Bei anderen Lebensmitteln wie Fleisch oder Gemüse sowie Nahrungsergänzungsmitteln konnte bisher kein positiver Einfluss nachgewiesen werden.
Dies raten Ärzte vor allem Frauen, um Harnwegsinfekten vorzubeugen. Denn nach Genitalkontakten steigt das Risiko einer Harnwegsinfektion um das bis zu 60-Fache. Auch die Nutzung von Verhütungsmitteln, die mit Spermiziden (Nonoxynol-9) beschichtet sind, wie Kondome, Diaphragmas oder Intrauterinspiralen, erhöht das Risiko einer Harnwegsinfektion. Die Miktion direkt nach dem Geschlechtsverkehr hingegen ist mit einem verringerten Risiko assoziiert. Dieser Mythos ist also wahr.
Neben Geschlechtsverkehr gibt es noch eine Reihe weiterer Faktoren, denen man nachsagt, das Risiko einer Harnwegsinfektion zu erhöhen. Eine Studie konnte zeigen, dass eine Unterkühlung der Füße das Wiederkehren einer Harnwegsinfektion begünstigt. Deshalb wird Schwimmen oft in Verbindung mit einem erhöhten Risiko gebracht, weil beim Schwimmen die Gefahr steigen kann, zu unterkühlen. Allerdings ist Schwimmen ohne Kälte nicht mit dem Wiederkehren einer Infektion assoziiert.
Ob Restharn per se gefährlich ist und ab wie viel Milliliter eingegriffen werden soll, wird auch heute noch in Fachkreisen diskutiert. Fakt ist: Hat man bereits eine Harnwegsinfektion, macht Restharn die Behandlung schwieriger, weil sich die Bakterien gut im verbleibenden Urin vermehren können. Dass Restharn aber das Auftreten einer Infektion wahrscheinlicher macht, ist bisher nicht erwiesen.
Ähnlich sieht es mit Funktionsstörungen der Niere aus. Restharn allein beeinträchtigt die Nierenfunktion nicht. Tritt der Restharn aber in Kombination mit einer Harnwegsinfektion, Diabetes oder Hypertonie auf, stieg das Risiko für eine Nierenstörung um 5,9 %. Auch steigt mit Restharn das Risiko für das Entwickeln von Harnverhalt nicht an. Das zeigte eine Studie, die eigentlich Patienten mit benignen Prostatasyndrom (BPS) untersuchte. Dabei wurde aber auch deutlich: Restharn kann die Symptome des BPS verstärken, wie die Nykturie. Insgesamt scheint es, als sein Restharn kein auslösender Faktor für Erkrankungen, wohl aber ein Verstärker der Symptome.
Zuletzt noch zwei Fun Facts zum Thema Urin. Denn auch wenn Urin das Abfallprodukt des Menschen ist, kann er durchaus noch nützlich sein. Im Rahmen eines Forschungsprojekts in Niger wurde verdünnter und sterilisierter Urin beispielsweise erfolgreich als Dünger für Perlhirse verwendet. Der Ertrag stieg um fast ein Drittel. Gerade für Regionen, in denen Kunstdünger oft nicht verfügbar ist, könnte Urin eine gute Alternative darstellen.
Und die Einsatzmöglichkeiten des Urins hören nicht beim Düngen auf. Englische Wissenschaftler haben Urinale entwickelt, in denen aus Urin Storm erzeugt werden kann. Dafür nutzen sie bestimmte Bakterien, die den Urin abbauen und dabei sowohl positiv als auch negativ geladene Moleküle produzieren. Mit Hilfe von Elektroden kann so Strom erzeugt werden. Diese Urinale werden bereits in einigen Schulen in Uganda und Kenia in Regionen eingesetzt, in denen eine durchgehende Stromzufuhr nicht immer gewährleistet ist. Außerdem wurden sie für ein britisches Festival eingesetzt – also einem Ort, an dem große Mengen Urin anfallen.
Bildquelle: erstellt mit Midjourney