Herausforderungen durch den demografischen Wandel und sich verändernde Strukturen treffen auf innovative Therapien: Wie steht es um die aktuelle und zukünftige flächendeckende hämatoonkologische Versorgung in Deutschland? Haben alle Patient:innen einen optimalen Zugang zur Behandlung? Und wie stellt sich die Situation speziell in Bezug auf das Therapiemanagement maligner Lymphome dar? Zeit für eine Bestandsaufnahme.
Dass sich die Bevölkerungsstruktur in Deutschland verändert, ist schon seit Jahren ein viel diskutiertes Thema. Aktuell ist die Entwicklung dadurch gekennzeichnet, dass es immer mehr ältere Menschen mit einer höheren Morbiditätslast gibt – mit entsprechend erhöhtem medizinischem Bedarf. Speziell in Hinblick auf die zukünftige (hämato-)onkologische Versorgung bedeutet dies, dass mit deutlich steigenden Krebsfallzahlen gerechnet werden muss.1 Auch die Ärzteschaft ist von Veränderungen betroffen. Rund ein Viertel der Behandler:innen mit dem Schwerpunkt Hämatologie und Onkolgie sind über 60 Jahre alt und stehen kurz vor der Rente.1 Gleichzeitig stagniert die Zahl der Nachwuchs-Mediziner:innen unter 35 seit mehreren Jahren.2 Ob der Nachwuchs ausreichen wird, ist fraglich.3 Ein weiteres großes Problem: Es fehlt qualifiziertes Pflegepersonal, das für die Versorgung hämatoonkologischer Patient:innen unerlässlich ist.4
Hinzu kommen Umbrüche in den medizinischen Versorgungsstrukturen. Im Median versorgte eine hämatoonkologische Schwerpunktpraxis im Jahr 2018 rund 1.500 Patient:innen. Dies ist ein deutlicher Zuwachs um über 50 % im Vergleich zu 2008. Diese Zunahme hängt vermutlich damit zusammen, dass immer mehr Patient:innen in größeren Praxen oder medizinischen Versorgungszentren (MVZ) betreut werden und immer weniger in kleineren Einzelpraxen5 – ein Indiz dafür, dass sich die Versorgungslandschaft im niedergelassenen Bereich wandelt und konzentriert. Die geografische Verteilung niedergelassener Fachärzt:innen mit Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie bzw. mit vergleichbarer Tätigkeit weist zwar auf eine gute Versorgung in großen Ballungsräumen sowie entlang wichtiger Verkehrsachsen hin. Lücken zeigen sich jedoch insbesondere in ländlichen Gebieten.6
Auch die Versorgung durch Kliniken ist einem starken Wandel unterworfen. Schließungen von Krankhäusern und wichtigen Kliniken oder Abteilungen drohen vielerorts, was vor allem die Versorgungslage auf dem Land verschlechtern und zu längeren Anfahrtswegen führen kann.
Was bedeutet dies für Patient:innen? Registerdaten deuten bereits jetzt darauf hin, dass die flächendeckende Versorgung nicht überall in Deutschland gleichermaßen gewährleistet ist. Hinsichtlich des Überlebens bei Krebserkrankungen zeigt sich sowohl ein Nord-Süd- als auch ein West-Ost-Gefälle. Außerdem wurden höhere Überlebensraten im Einzugsgebiet von Großstädten ermittelt.4
Erfreulich ist hingegen, dass sich Therapielandschaft in den letzten Jahren deutlich erweitert hat, so zum Beispiel bei den malignen Lymphomen wie dem diffusen großzelligen B-Zell-Lymphom (DLBCL) oder dem follikulären Lymphom (FL). Innovative Therapien wie bispezifische Antikörper und CAR-T-Zelltherapien sind wichtige Säulen für die Versorgung von bestimmten Patient:innen und werden in Leitlinien empfohlen.7,8
Da der Einsatz solcher Therapien spezielle Expertise erfordert, sind eine flächendeckende Fachkenntnis und die Zusammenarbeit von ambulantem und stationärem Sektor von hoher Bedeutung. Die damit verbundenen Chancen und Risiken wurden im Rahmen eines von Roche ausgerichteten Symposiums auf der Jahrestagung 2023 der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) diskutiert.
Vor allem für Patient:innen mit geringem Einkommen bestehe bei langen Anfahrtswegen ein Risiko, dass eine Therapie abgebrochen werde, so Dr. Silke Schirrmacher-Memmel, niedergelassene Hämatoonkologin aus Aschaffenburg. Grund dafür seien hohe Kosten, da zum Beispiel Taxifahrten nicht im gesamten Verlauf der Behandlung, sondern nur für bestimmte Fahrten zum versorgenden Zentrum von Krankenkassen bezahlt werden. Frau Dr. Schirrmacher-Memmel berichtet:
„Patient:innen kommen dann leider erst mit einem Rezidiv wieder zu uns […] Es ist daher auch wichtig, dass es vor Ort Strukturen gibt, die sich mitkümmern.“
Einig waren sich die teilnehmenden Expert:innen darin, dass vor allem in der frühen Phase der Behandlung eine stationäre Aufnahme sowie die Möglichkeit einer zeitnahen intensivmedizinischen Betreuung mit entsprechenden Fachkenntnissen gegeben sein müsse. Grund dafür seien unter anderem mögliche seltene Fälle von schwerwiegenden Nebenwirkungen wie dem Zytokinfreisetzungssyndrom (CRS, Cytokine Release Syndrome). Es sei wichtig, dass bei vorhandenem Versorgungsangebot die heimatnahe Versorgung mit innovativen Behandlungsansätzen genutzt wird, berichtete Prof. Dr. Angela Krackhardt vom Malteser-Krankenhaus St. Franziskus-Hospital in Flensburg:
„Die Expertise sollte in der Peripherie nicht verloren gehen, damit das Qualitätsniveau der Versorgung nicht sinkt.“
Darüber hinaus sei eine enge Zusammenarbeit von niedergelassenen Fachärzt:innen und Kliniken notwendig. Neben dem Aufbau eines regionalen Netzwerks und einer intensiven Kommunikation seien insbesondere gemeinsame Tumorboards gut geeignet, um Fälle patientenindividuell zu besprechen und eine optimale Versorgung sicherstellen zu können.
Wie lautet ihre Meinung? Reichen die bestehenden Versorgungsstrukturen aus, um Patient:innen flächendeckend und adäquat auch mit innovativen Therapien zu versorgen? Stimmen Sie ab!
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