Intrauterinpessare, Verhütungszäpfchen, Kondome oder „Anti-Baby-Pillen“ waren gestern: Amerikanische Forscher präsentieren jetzt einen Verhütungschip, der über 16 Jahre hinweg vor Schwangerschaften schützen soll. Ihr System eignet sich für etliche Wirkstoffe, falls es gelingt, ein paar Schwachstellen zu beheben.
Technologien jenseits des Computers: Mit seiner Stiftung hat Microsoft-Gründer Bill Gates schon mehrfach innovative Verhütungsmethoden unterstützt, etwa Sino-implant (II), ein effektives und kostengünstiges Implantat mit Langzeitwirkung. Hinzu kommt Sayana Press als neue Version der Dreimonats-Verhütungsspritze. Jetzt sorgt ein Verhütungschip für Aufsehen, der 16 Jahre lang Schwangerschaften zuverlässig verhüten soll. In dieses Projekt flossen umgerechnet 3,4 Millionen Euro an Stiftungsgeldern. Ziel ist, Frauen in Entwicklungsländern bei der Familienplanung zu unterstützen. Das neue Tool könnte jedoch weltweit für Furore sorgen – und nicht nur beim Thema Verhütung.
Als treibende Kraft hat MicroChips, eine Ausgründung des Massachusetts Institute of Technology (MIT), alle Entwicklungen vorangetrieben. Implantate zur Verhütung sind zwei mal zwei Zentimeter groß und bestehen aus separaten Kammern. Hauchdünne Folien aus Platin und Titan verschließen jeden Hohlraum. Ärzte implantieren das System in einem halbstündigen Eingriff unter Lokalanästhesie. Anschließend aktivieren sie einen Mikrocomputer per Fernbedienung. Die Elektronik sorgt in zeitlichem Abstand für Stromimpulse. Ein Siegel schmilzt, und pharmakologisch aktive Stoffe gelangen in den Körper. „Der Verhütungschip enthält einzelne Dosen eines bereits breit eingesetzten Progestins“, sagt Robert Farra von MicroChips. Er bewertet Spuren der Edelmetalle als toxikologisch unbedenklich. Von exakten, zeitlich gesteuerten Dosierungen erhoffen sich Forscher weniger Nebenwirkungen. Andere Systeme wie Intrauterinpessare oder Etonorgestrel-Implantate geben ständig Arzneistoffe ab. Damit nicht genug: Wollen Patientinnen schwanger werden, reicht eine Taste der Fernbedienung aus, um weitere Progestin-Gaben zu stoppen.
Getestet haben die Forscher ihren Verhütungschip bisher nur im Labor. Alle Erfahrungen gehen auf eine Studie mit Osteoporose-Patientinnen zurück. Acht Frauen zwischen 60 und 75 erhielten ein Implantat mit aktiven Fragmenten des Parathormons. Bei einer Probandin traten technische Probleme auf – ansonsten lief alles nach Plan. Das intelligente System gab den Wirkstoff bis zu 20 Tage lang einmal täglich ab. Beim Verhütungschip sind noch etliche Punkte offen. „Es bleibt abzuwarten, ob der Chip in der jetzigen Form wie gewünscht als Minipille wirkt oder als Pille danach“, so Professor Dr. Thomas Rabe, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin (DGGEF). Entscheidend für die Wirkung sei letztlich nicht, wie viel Hormon abgegeben werde, sondern wie es der Körper aufnehme. „Das kann sogar zwischen einzelnen Personen variieren.“ Sollte eine Kapsel aus Bindegewebe um das Implantat wachsen, wird die Abgabe erschwert. Hinzu kommen technische Aspekte: Ingenieure haben das Funksignal zur Steuerung nicht verschlüsselt. Damit könnten Unbefugte Implantate ansteuern und manipulieren – kein erfreulicher Gedanke. Grund genug für die US-amerikanische Food and Drug Administration, Bedenken anzumelden. FDA-Vertreter wollen erst dann grünes Licht für Tests geben, sobald eine sichere Übertragung gewährleistet werden kann.
Das Medizinprodukte ihre Tücken haben, zeigen Erfahrungen mit Etonogestrel-haltigen Implantaten. Seit Mitte 2000 gibt es diese kleinen Stäbchen zum Einsetzen unter die Haut des Oberarms. Problematisch sind Wechselwirkungen mit manchen Antibiotika, Antiepileptika und Psychopharmaka. Patienten verneinen die Frage, ob sie andere Medikamente einnehmen würden, häufig beim Arzt oder Apotheker – ihrer Ansicht nach handelt es sich ja nicht um Pillen. Darüber hinaus begannen Implantate manchmal zu „wandern“, so dass eine chirurgische Entfernung nicht mehr möglich war, falls Patientinnen mit Kinderwunsch in die Sprechstunde kamen. Hersteller der neuen Verhütungschips können von entsprechenden Erfahrungen nur profitieren.
Das neue Tool hat aber noch weitere Potenziale für die Pharmakotherapie von morgen. In einem Übersichtsartikel schreiben Entwickler: „Es gibt keinen Zweifel, das implantierbare Mikrochips herkömmliche Methoden in der nahen Zukunft ablösen werden.“ Sie sprechen von Insulingaben – ein milliardenschwerer Markt. Viele Patienten verabscheuen die täglichen Spritzen, was sich negativ auf ihre Stoffwechsellage auswirkt. Welche Dimensionen entsprechende Chips haben müssten, um jahrelang Insulin abzugeben, muss sich zeigen. Analgetika oder Zytostatika ließen sich vielleicht ebenfalls per Implantat dosieren. Eine Herausforderung: Im Gegensatz zur Osteoporosetherapie oder zur Verhütung muss das Gerät unterschiedliche Mengen abgeben – durch externe Steuereinheiten oder durch die interne Messung von Vitalparametern. Auf Entwickler kommt hier noch viel Arbeit zu. Mit Rescue-Devices gegen gefährliche Hypoglykämien sind sie deutlich weiter, hier laufen bereits Arbeiten zur Entwicklung.