Wissenschaftler untersuchten bei Prostatakrebs simultan die genetische und epigenetische Entwicklung der Tumoren. Dazu analysierten sie in einem parallelen Ansatz das Erbgut und die DNA-Methylierung verschiedener Gewebeproben eines Tumors und seiner Metastasen.
Die strukturellen Erbgutveränderungen, die sich im Laufe der Krebsentstehung ansammeln, führen zu einer „Evolution“ der Krebszellen, so dass sich ein fortgeschrittener Tumor aus einer Gruppe von verschiedenen „Tochterklonen“ zusammensetzt. Das bedeutet, dass nicht nur jeder Prostatatumor einzigartig ist, sondern auch, dass derselbe Tumor aus verschiedenen Klonen besteht, die sich in klinischen Aspekten unterscheiden können, etwa in der Therapieresistenz. Wissenschaftler um Christoph Plass im Deutschen Krebsforschungszentrum und Mitglieder des deutschen ICGC Konsortiums „Early onset prostate cancer“ untersuchten nun, ob sich auch anhand der epigenetischen Veränderungen die Evolution des Tumors und somit auch die Zusammensetzung der verschiedenen Tochterklone nachvollziehen lässt. Dazu analysierten sie bei fünf Fällen von Prostatakrebs simultan sowohl die Gene als auch deren Methylierung. Die Forscher verglichen Gewebeproben von verschiedenen Stellen eines Tumors mit noch nicht völlig entartetem Gewebe aus der Tumorumgebung und mit Lymphknotenmetastasen. Sie zeigten, dass sowohl die strukturellen Genomveränderungen als auch die Änderungen im Methylierungsmuster gleichermaßen die Evolution der einzelnen Tumorklone abbildeten. Offenbar verläuft die Evolution des Epigenoms parallel mit dem Auftauchen neuer struktureller Erbgutveränderungen.
Wichtig ist die Beobachtung, dass Metastasen nicht zwangsläufig am „Ende“ der Entwicklung eines Tumors entstehen: So fehlen in einem Fall den Metastasen die Chromosomendefekte, die alle anderen Gewebeproben dieses Tumors kennzeichnen, was auf eine frühere Entstehung der Tochtergeschwülste schließen lässt. Bei einigen der untersuchten Fälle entwickelten sich die Metastasen aus einem gemeinsamen Vorfahren, bei anderen hingegen aus verschiedenen Tochterklonen. Allgemein gilt, dass Metastasen immer Merkmale tragen, die den anderen Tumorklonen fehlen. In der Regel betreffen diese epigenetischen oder genetischen Veränderungen Gene, die metastasierenden Krebszellen ihre typischen Eigenschaften verleihen. Die epigenetischen Unterschiede zwischen den Tochterklonen sind nicht gleichmäßig über das gesamte Tumorerbgut verteilt. In den meisten Fällen betreffen sie besonders solche Bereiche, die für prostataspezifische Prozesse wichtig sind. Dazu zählen etwa diejenigen „Gen-Verstärker“ (Enhancer), die von den Rezeptoren für das männliche Geschlechtshormon Androgen gesteuert werden. Da sich die verschiedenen Methylierungsmuster auf die Genaktivität auswirken, ist es naheliegend, dass sich die Tochterklone in der Art und Weise, wie sie Androgensignale verarbeiten, stark unterscheiden.
„Die genetische und die epigenetische Evolution der Prostatatumoren verläuft unabhängig voneinander, kommt aber zu demselben Ziel“, erklärt Dr. Clarissa Gerhäuser. „Deshalb kann der technisch weniger aufwändige Nachweis der epigenetischen Evolution einzelner Tumorklone dabei helfen, schnell und genau funktionelle Informationen zu erhalten, die für klinische Entscheidungen relevant sein können.“ Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass durch genaueres Verständnis der genetischen und epigenetischen Vielfalt innerhalb eines Tumors bessere Behandlungserfolge erzielt werden können. Originalpublikation: Epigenetic Intratumor Heterogeneity reflects Clonal Evolution in Aggressive Prostate Cancer David Brocks et al.; Cell Reports, doi: 10.1016/j.celrep.2014.06.053; 2014