Deutschland ist Spitzenreiter: Kein anderes europäisches Land steht mehr auf vegane Ersatzprodukte. Doch wie gut schlagen sich die hochverarbeiteten Alternativen aus ernährungsmedizinischer Sicht – und tuts etwas mehr Grünzeug nicht auch?
Die vegane Werbetrommel wird von Lebensmittelproduzenten laut geschlagen. Aber wie gut nehmen Verbraucher das an – und können die Alternativprodukte in puncto Nährwerte mithalten?
… um reichlich Pflanzliches zu verzehren. Entgegen dem Eindruck, den die lautstarke Vermarktung neuer veganer Verzehrprodukte vermittelt, ist der Bevölkerungsanteil jener, die sich selbst als vegan bezeichnen, hierzulande mit einem Anteil von etwa 1,52 Millionen (Statista, 2023), entsprechend ca. 1,8 Prozent der Gesamtbevölkerung, sehr überschaubar und im Vergleich zu 2022 (1,58 Millionen) auch leicht rückläufig. Man muss beileibe nicht vegan leben, um die Sinnhaftigkeit einer von pflanzlichen Nährstofflieferanten dominierten Ernährungsweise zu erkennen.
Ob Tierwohl, Klimaschutz oder die eigene Gesundheit – eine pflanzenbetonte Ernährung punktet. Aber es darf kein Schwarz-Weiß-Dogmatismus sein, der einzig den Totalverzicht auf alles tierischer Provenienz als Heilsbringer proklamiert. Denn das gibt gerade im Hinblick auf die Humangesundheit die Studienlage nicht her. Insofern ist der nervige Streit zwischen der kleinen Gruppe allzu dogmatisch daherkommender Veganisten, die jeden humanen Mischköstler als carnivoren Pflanzenkostverächter diffamieren und der Gruppe XXL-Fleischberge vertilgender „Fleisch-ist-mein-Gemüse“-Esser, die jede vegetarische Ernährungsweise als „Grasfresserei“ verhöhnen, völlig obsolet.
Diskutabel ist die Frage, ob es wirklich notwendig ist, Menschen mit veganen, industriell produzierten Tierprodukt-Imitaten zu ködern, um sie zur Reduktion ihres Konsums tierischer Produkte zu bewegen. Veganes Hühnerfrikassee, Calamari oder Bacon lassen doch sehr paradoxe Empfindungen aufsteigen, die durch den Blick auf die Ingredienzien am gesundheitlichen Wert zweifeln lassen. Und ob das Alleinstellungmerkmal von „Chili sin Carne“ – die Benennung des Fehlenden – einen Sinn ergibt, darf auch bezweifelt werden.
Bei einer Gruppe von Ersatzprodukten besteht das Namensgebungsproblem nicht – zumindest nicht offiziell. Das, was der vegane Volksmund als Soja-, Hafer-, Reis- oder Mandelmilch bezeichnet, darf allerdings lebensmittelrechtlich nicht so genannt werden. Gemäß EU-Verordnung 1308/2013 sowie deutschem Milch- und Margarinegesetz steht die Bezeichnung „Milch“ exklusiv für Erzeugnisse der „normalen Eutersekretion von Milch erzeugenden Tierarten, ohne jeglichen Zusatz oder Entzug“. Auf Basis dieser Gesetzeslage erscheinen die in Konsistenz und Aussehen, aber nicht geschmacklich echter (Kuh-)Milch ähnelnden pflanzlichen Trinkflüssigkeiten als Soja-, Hafer-, Mandel-DRINK im Handel.
An der Universität Hohenheim hat sich der Arbeitskreis Business Excellence and Sustainability Transformation im Fachgebiet Agrarmärkte für die Akzeptanz von pflanzlichen Milchersatzprodukten im europäischen Vergleich interessiert. Wie gut werden Hafer-, Mandel-, Reis- und Sojadrinks als Alternative zu echten Milchprodukten in kulturell unterschiedlich geprägten Staaten Europas angenommen? Welche Gründe bestimmen jeweils die Akzeptanz oder Ablehnung der pflanzlichen Alternativen? Welche Rolle spielt die Vorbildung über ökologische und gesundheitliche Aspekte und wie wirken sich ökonomische Faktoren (Produktpreis, Konsumenteneinkommen) in verschiedenen Ländern auf den Absatz pflanzlicher Milchalternativen aus?
Dahinter steht die übergeordnete Frage, ob der in den letzten Jahren gesteigerten Umsatz mit pflanzenbasierten Lebensmitteln – zwischen 2020 und 2022 um 21 % in Europa und um 42 % in Deutschland – den Beginn eines langfristigen europaweiten Trends zum fortschreitenden Ersatz tierischer durch neu kreierte pflanzenbasierte Lebensmittel signalisiert. Oder handelt es sich doch nur um einen Hype von gern als „öko“ bezeichneten und materiell besser gestellten Untergruppen der Gesellschaft?
Die Forschungsgruppe wertete für ihre Akzeptanzstudie 3.086 Verbraucherantworten zur Konsumhäufigkeit (nie bis täglich) und zur Konsummotivation pflanzlicher Milchersatzprodukte aus. Die Daten wurden in sechs europäischen Ländern erhoben. Mit Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, Polen und Spanien sollte das Spektrum verschiedener kultureller Identitäten aus Nord-, Mittel-, Süd-, Ost- und Westeuropa möglichst umfassend abgedeckt werden.
Tierschutz, Umwelt/Klima, Gesundheit, Mundgefühl und Geschmack. Eine bedeutende Erkenntnis aus der Studie war, dass Akzeptanz-bestimmende Prioritäten in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich gesetzt werden. Das zweite, aus deutscher Sich vielleicht nicht ganz unerwartete Ergebnis, war die hierzulande mit Abstand größte Akzeptanz der verschiedenen nicht-milchigen Pflanzendrinks. Hier sehen die Studienautoren auch das größte Marktpotenzial.
Mit einer laut GFI erfolgten Umsatzsteigerung von 43 % zwischen 2020 und 2022 wurden die veganen Getränke in keinem anderen europäischen Land auch nur annähernd so gut angenommen wie in Deutschland. Dies muss allerdings eingeschränkt werden – denn ein großes Manko der Studie verbietet es, Aussagen über Akzeptanz in der Gesamtbevölkerung zu treffen. Es wurden nämlich ausschließlich Personen in die Studie einbezogen, die entweder bereits Konsumerfahrungen mit pflanzlichen Milchersatzprodukten oder ohnehin eine Verkostung geplant hatten. Personen ohne Interesse an den pflanzlichen Drinks blieben außen vor.
Ein Alleinstellungsmerkmal für die deutschen Pflanzendrink-Konsumenten sehen die Studienautoren in deren „besonders kritischer Einstellung zum Thema Tierschutz“. Dieser Aspekt bestimme vor den Faktoren Umwelt, Klima und (eigene) Gesundheit, wie oft Menschen in Deutschland pflanzliche Milchersatz konsumieren. Zudem ergab die Analyse, dass Personen, die bereits vor der Datenerhebung vegetarisch oder vegan lebten, mit einer um 34 % höheren Wahrscheinlichkeit häufiger milchartige Pflanzendrinks konsumieren. Bereits manifestierte Ernährungsgewohnheiten nehmen offenbar maßgeblich Einfluss auf die Bereitschaft, sich auf die rein pflanzlichen Milchimitate einzulassen.
„Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht“, hieß das früher einmal. Für die pflanzlichen Ersatzprodukte dürfte das in weiten Bevölkerungskreisen durchaus von Belang sein, da mit der Milch ein hochwertiger Multinährstofflieferant mit langer Tradition verfügbar ist, der nicht nach Verdrängung schreit. Für jene Deutschen, die Milchersatzprodukte konsumieren, sind kulturelle landwirtschaftliche Traditionen der Milchtierhaltung im Vergleich zu anderen europäischen Staaten kaum von Belang.
Obwohl in direkter geografischer Nachbarschaft, könnte die Akzeptanz für pflanzlichen Milchersatz in Polen kaum gegensätzlicher sein als hierzulande. Besonders Befragte, für die gesundheitliche Faktoren weit oben auf der Prioritätenliste stehen, sind in Polen für pflanzliche Milchalternativen kaum zu erwärmen. Von Milch-kritischen Kampagnen, die in Deutschland in den letzten Jahren hochgekocht sind, zeigen sich polnischen Konsumenten weitgehend unbeeindruckt. Milch gilt hier nach wie vor als gesundes und finanziell erschwingliches Nahrungsmittel.
Für Alternativen, die zudem im Empfinden eines Großteils der in Polen Befragten im Geschmackserlebnis („zu süß, zu fettig“) nicht mit Milch konkurrieren können, fehlt der Bedarf. Dafür auch noch mehr Geld auszugeben, ist für viele Polen keine Option.
Auch ohne das La-dolce-Vita-Klischee zu bedienen, kann es nicht überraschen, dass in Italien wie auch in Spanien besonders geschmackliche und sensorische Faktoren sowie das Mundgefühl großen Einfluss auf das Verzehrinteresse haben. Auf breiter Linie überzeugen können da die Pflanzendrinks bislang so gar nicht. Doch bestehe durchaus die Bereitschaft, sich durch Verbesserung der Produkteigenschaften, Erhöhung der Sortenvielfalt und ein für gerechtfertigt gehaltenes Preisniveau überzeugen zu lassen.
„Wie unsere Ergebnisse zeigen, werden insbesondere Interessenten, die erst mit dem Gedanken spielen, pflanzliche Molkereiprodukte zu konsumieren, von deren wenig überzeugenden Produkteigenschaften abgeschreckt. Sie wünschen sich mehr Sorten und einen besseren Geschmack bzw. ein besseres Mundgefühl“, resümiert Erstautorin Rebecca Hansen.
Dass Genuss, Geschmack und Sensorik im Heimatland von Haute Cuisine und Paul Bocuse einen hohen Stellenwert einnehmen, steht außer Frage. Zudem haben Käseherstellung und -verzehr in Frankreich eine lange, tief verwurzelte Tradition. Rein pflanzliche Konkurrenz kann der hohen Wertschätzung von Milchprodukten dort kaum etwas anhaben. Dementsprechend bescheiden nimmt sich das Kaufinteresse für Pflanzendrinks bei den im Rahmen der Studie befragten Franzosen aus.
Dass schlechte Ernährung oft mit einem niedrigen Bildungsniveau und Sozialstatus assoziiert ist, wird in Medizin und Wissenschaft viel diskutiert. Daher kam es für das Hohenheimer-Team etwas überraschend, dass sich in ihrer Studie kein derartiger Zusammenhang erkennen ließ. „Entgegen unserer Erwartungen haben das Bildungsniveau und andere soziodemografische Faktoren keinen statistisch gesicherten Einfluss auf die Konsumhäufigkeit von pflanzlichen Molkereiprodukten“, so Arbeitsgruppenleiterin Dr. Beate Gebhardt.
In der Conclusio ihrer Studienauswertung sehen die Forscher für die pflanzlichen Milchersatzprodukte einen deutlichen Verbesserungsbedarf geschmacklicher und sensorischer Natur. Zudem sei es eher kontraproduktiv, die Pflanzendrinks am Vorbild der Milch auszurichten. Warum zur Kopie greifen, wenn man (sogar günstiger) das Original haben kann?
Würden die pflanzlichen Produkte nicht ständig als Milch-Alternative, sondern als völlig eigenständige Produktpalette gehandelt, die der echten Milch nicht den Rang ablaufen soll, ließen sich bestehende Vorbehalte reduzieren. Die Menschen haben Interesse an etwas, das gut schmeckt und nicht an etwas, das wie Milch schmeckt. Zudem haben Konsumenten zunehmend hohe Anforderungen an Inhaltsstoffe und deren klare Deklarierung auf Verpackungen. Sind das nicht alles Gedanken, die man auch mal an die Hersteller von veganen Fleisch- und Fischprodukten adressieren sollte?
Mit der Einschränkung, dass die Studie aufgrund des Ausschlusses uninteressierter Konsumenten nicht als repräsentativ für die jeweilige Gesamtbevölkerung gelten kann, liefert sie momentan keine Anzeichen dafür, dass vor allem außerhalb der Grenzen Deutschlands der vegane Milchersatz der Kuhmilch den Rang ablaufen kann. Neben traditionellen und kulturellen Prägungen, dürften sowohl die geschmacklichen Unterschiede, aber auch die qualitativen wie quantitativen Unterschiede im Makro- und Mikronährstoffgehalt eine große Rolle spielen.
Insbesondere beim Kalzium-, Jod-, und Eiweißangebot können die Pflanzenprodukte nicht mithalten. Mit Ausnahme der Sojavariante sind die pflanzlichen Drinks mit einem Eiweißgehalt im Bereich zwischen 0,3 und 0,6 % gegenüber der Kuhmilch (ca. 3,5 %) bescheiden bestückt. Selbst im Mandeldrink bleibt vom hohen Proteingehalt der Mandel aufgrund des starken Verdünnungsgrads nicht viel Eiweiß übrig (~ 0,5 %).
Zudem ist gerade das Milcheiweiß mit der Kombination von biologisch hervorragend nutzbarem Molkenprotein (20 %) und dem durch seine Micellen-Bildung als Biotransporter für Calcium, Phosphat und hydrophobe Substanzen fungierenden Casein (80 %) besonders hochwertig. Viele pflanzliche Drinks werden etwa mit Kalzium-, Vitamin-, aber auch Zuckerzusätzen nährstofflich wie geschmacklich aufgepeppt, doch scheiden sich gerade in diesem Punkt die Geister.
Wer sich für eine vegane Lebensweise entscheidet, muss aufgrund der Supplementierungsnotwendigkeit (mindestens B12) eine grundsätzliche Akzeptanz für artifizielle Ernährungskomponenten zeigen. Wem hingegen eine Ernährung mit möglichst naturbelassenen Produkten am Herzen liegt, tut sich mit der Akzeptanz von Zusatzstoffen in Lebensmitteln schwerer – auch wenn es sich um Spurenelemente und Vitamine handelt.
Aus dem eruierten europaweit geringen Kaufinteresse an pflanzlichen Milchersatzprodukten lässt sich selbstredend nicht auf eine insgesamt niedrige Bereitschaft der Europäer schließen, verstärkt pflanzliche Produkte in die alltägliche Ernährung einzubauen. Doch zeichnet sich klar ab, dass unzureichende geschmackliche Qualität, zu viele naturferne Zusatzstoffe, ein Mangel an für hochwertig erachteten Komponenten und nicht zuletzt ein aufdringliches Vegan-Marketing Bremsklötze für die Steigerung des Konsuminteresses an neuen pflanzlichen Nahrungskreationen sind.
Besonders außerhalb der deutschen Mentalitätsgrenze reichen Tierwohlaspekte, Umwelt- und Klimaargumente nicht aus, um den Absatz veganer Ersatzprodukte zu steigern, die den Qualitätserwartungen hinsichtlich Geschmack, Mundsensorik und natürlichen Zutaten nicht entsprechen. Überdies darf die derzeit boomende Nachahmungsstrategie, tierische Produkte mit veganen „Plant-Art-Attrappen“ zu kopieren, mehr als infrage gestellt werden. Wer den Menschen einmal außerhalb der kleinen, aber lautstarken Social-Media-Blasen „aufs Maul schaut“ (pardon), wird erkennen, wie sehr die Contradictio in adiecto von veganem Fleisch, Fisch oder Milchprodukt viele verärgert und gegen die insgesamt wünschenswerte Entwicklung arbeitet, zu einer pflanzlich dominierten, um hochwertige tierische Produkte ergänzten Ernährungsweise zu gelangen.
Bildquelle: Anita Jankovic, Unsplash