Lauterbach will die STIKO radikal umbauen. Kritiker befürchten, dass damit ein großer Teil der Expertise plötzlich wegbricht. Oder ist das alles halb so wild – und der Umbau längst überfällig?
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will die STIKO fast komplett neu aufstellen – und polarisiert damit. Viele Ärzte schütteln darüber den Kopf, manche werfen ihm einen „unterirdischen Stil“ vor. Andere freuen sich hingegen über frischen Wind. Der Plan ist, die Amtszeit der ehrenamtlichen STIKO-Mitglieder zu begrenzen. Eine Höchstzahl an Amtsperioden gab es bisher nicht. Nun soll die Anzahl der Amtsperioden auf drei Zeitperioden – also neun Jahre – begrenzt werden. Konkret bedeutet das: Zwölf der jetzigen 17 ehrenamtlichen Mitglieder müssen ab Februar 2024 gehen. Wie der Übergang aussehen soll, ist derzeit nicht bekannt.
„Dieser radikale Umbau ist für uns nicht nachvollziehbar“, kritisiert die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM), „denn dabei geht wichtige praktisch-wissenschaftliche Expertise verloren“, heißt es in einer Stellungnahme. Deutschland leiste sich mit der STIKO zurecht ein unabhängig agierendes Gremium für Impfempfehlungen – die darin enthaltene Erfahrung und Kontinuität sollte nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Insbesondere die Pandemie-Jahre hätten gezeigt, wie wichtig ein beständiges Team ist.
Nach der Pandemie stehen auch im kommenden Jahr nicht gerade Kleinigkeiten auf der To-Do-Liste der STIKO – wie die Bewertung des RSV-Antikörpers Nirsevimab, der RSV-Impfung für Schwangere oder Empfehlungen zu Impfungen gegen Meningokokken und Influenza. Dass sich die Arbeit daran nach dem Umbau verzögert, ist nicht auszuschließen. Denn die aktuelle STIKO hatte mit der Bearbeitung der Themen zwar schon begonnen, fertigstellen müssen die Empfehlungen aber jetzt andere.
Kritik kommt auch aus Reihen der Ampel-Koalition: Der Plan sei einer von Lauterbachs „wiederholten Alleingängen“, so Andrew Ullmann, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Er bewertet den angekündigten Personalumbau als „nicht ungefährlich“. Denn dem Gremium werde so die wissenschaftliche Arbeitsgrundlage entzogen, die STIKO verliere zumindest zeitweise deutlich an Substanz.
Fast noch schärfer als für die Pläne an sich, wird Lauterbach für seinen Kommunikationsstil kritisiert. Die STIKO-Mitglieder seien nach Angaben der Augsburger Allgemeine wenige Tage vor einer Sitzung Anfang November informiert worden: nicht persönlich, sondern von einer Mitarbeiterin per Telefon. Es bleibe außerdem „unklar, warum genau ein Umbau nötig ist, was war vorher nicht gut, was jetzt besser werden soll. Das bleibt intransparent, genauso wie das Berufungsverfahren. Die Intransparenz verspielt gleich zu Beginn Vertrauen. Das wäre aber gerade hier von großer Bedeutung“, schreibt Hans-Otto Wagner, Mitglied der DEGAM, auf der Plattform X. Denn bisher hat das BMG noch keine transparenten Regeln dazu veröffentlicht, wie die Berufung der STIKO-Mitglieder genau ablaufen soll.
Auf Anfrage der DocCheck News Redaktion heißt es vom BMG, die Neuberufung der STIKO werde aktuell vorbereitet. Der Berufungszeitraum laufe turnusmäßig im Februar 2024 aus. „Eine Begrenzung der Berufungshäufigkeit ist international bei Impfkommissionen üblich“, erklärt das BMG. Viele aktuellen Mitglieder seien länger – teilweise deutlich länger – als 10 Jahre dabei. „Wir modernisieren das Gremium also. Dass die Mitglieder im Februar berufen werden müssen, ist der normale Gang der Dinge.“
Dem BMG geht es also offiziell um frisches Wissen – dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. So sieht es auch Thomas Mertens, der derzeit noch amtierende STIKO-Vositzende. Er hat bereits im September 2022 angekündigt, nicht mehr für eine weitere Amtsperiode anzutreten. Das habe nichts mit Unzufriedenheit oder Zwistigkeiten zu tun. „Ich bin jetzt 73, nun sollen es mal andere machen“, erklärt er gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Er begrüßt die Begrenzung der Amtszeit prinzpiell: „Das machen viele internationale Impfkommissionen so, ich finde das okay.“
Dass die STIKO neu organisiert werden soll, war bereits länger bekannt. Wie drastisch der Personalumbruch jetzt ist, hat allerdings viele STIKO-Mitglieder überrascht. Die Mitglieder hätten sich „nicht so einen großen Schritt gewünscht“, sagt der ebenfalls im Frühjahr ausscheidende Kinderarzt Martin Terhardt. So verabschieden sich aus der STIKO inklusive Terhardt bald vier Kinderärzte. „Dabei geht sehr viel Wissen auf einmal verloren, es kommt zu Reibungsverlusten, die neuen Mitglieder müssen sich zurechtfinden“, so Terhardt. Er hätte es besser gefunden, wenn nicht direkt so ein großer Teil der jetzigen STIKO wegbricht, sondern vielleicht erstmal nur sechs Mitglieder.
Gemunkelt wird jetzt, ob Lauterbach sich mit der Ad-hoc-Aktion einer ungeliebten Kommission entledigen will. Auf unsere Nachfrage sind aus dem BMG andere Töne zu hören: „Die STIKO hat insbesondere im Rahmen der Pandemie Höchstleistungen vollbracht. Sie arbeitet national und international auf hohem Niveau. Das Bundesgesundheitsministerium dankt insbesondere Prof. Mertens stellvertretend für die gesamte STIKO für die hervorragende Arbeit.“
Ganz klar ist, dass Karl Lauterbach mit seiner Aktion vielen STIKO-Mitgliedern auf den Schlips getreten hat. Und sich damit eventuell selbst ein Beinchen stellt – denn er ist weiterhin auf die Mitglieder der STIKO angewiesen, ob sie nun in Fach- oder Berufsverbänden oder an Universitäten sitzen. Wenn der Umbau der STIKO dafür genutzt wird, das Gremium zu modernisieren und Entscheidungsprozesse transparenter zu machen, kann der Gesundheitsminister wieder einiges gut machen.
Bei den künftigen Berufungen werden ihm nicht nur Ärzteverbände aber erstmal sehr genau auf die Finger schauen. Damit nicht nur Lauterbachs Liebste, sondern vor allem auch praktisch impfende und ambulant tätige Ärzte ins Boot geholt werden, die mit ausreichend Abstand von der Politik arbeiten.
Bildquelle: erstellt mit DALL-E