Wie effektiv ist die Koloskopie zur Darmkrebs-Früherkennung? Aktuelle Daten zeigen – nicht sehr. Doch jetzt widersprechen DKFZ-Experten.
Die Screening-Koloskopie galt seit ihrer Einführung als Erfolgsgeschichte: In den USA sank die Krebsneuerkrankungsrate der älteren Bevölkerung nach flächendeckender Einführung der Darmspiegelung etwa um die Hälfte, obwohl Risikofaktoren wie etwa Fettleibigkeit im gleichen Zeitraum eher zunahmen. Doch die ersten publizierten Langzeit-Ergebnisse einer prospektiven, randomisierten, kontrollierten Studien (RCT) zur Wirksamkeit der Screening-Koloskopie (NordICC-Studie) deuteten im vergangenen Jahr auf eine eher bescheidene Reduktion des Darmkrebsrisikos hin.
„Die in dieser Arbeit ermittelte Risikoreduktion von 18 Prozent innerhalb von zehn Jahren wirkt auf den ersten Blick enttäuschend. Doch bei genauerer Betrachtung wird klar, dass das Ergebnis eher die Studienbedingungen reflektiert als die Situation im wirklichen Leben“, erklärt Hermann Brenner, Epidemiologe vom Deutschen Krebsforschungszentrum. Brenner und Kollegen stellen in zwei Publikationen nun Schwachstellen der Studie zusammen und stellen gleichzeitig alternative Berechnungen vor.
Ein bekanntes Problem von Screening-Studien ist die oftmals geringe Teilnahmerate. Das Studiendesign einer RCT sieht vor, dass eine Gruppe von Probanden, denen die Untersuchung angeboten wird, mit einer Kontrollgruppe verglichen wird, die keine Einladung zum Screening erhält. Doch in der Screening-Gruppe nehmen längst nicht alle Probanden das Untersuchungsangebot wahr. Bei der NordICC-Studie lag die tatsächliche Teilnahmerate bei nur 42 Prozent. Bei der Auswertung jedoch wird diese geringe Beteiligung nicht berücksichtigt, sondern es werden einfach Eingeladene mit Nicht-Eingeladenen verglichen. „Das verwässert die beobachteten Effekte erheblich“, erklärt Brenner.
Einen weiteren Beitrag zur Unterschätzung des Screening-Effekts leistet das sogenannte graue Screening: Im Verlauf des teilweise sehr langen Nachbeobachtungszeitraums von zehn Jahren nahm auch ein erheblicher Teil der Teilnehmer eine Darmspiegelung außerhalb der Studie wahr – z. B., um verdächtige Symptome abklären zu lassen. Auch bei solchen Darmspiegelungen werden natürlich Darmkrebsvorstufen entdeckt und entfernt, wodurch die beobachteten Unterschiede zwischen den Gruppen weiter verwässert werden.
Die DKFZ-Epidemiologen weisen außerdem auf eine dritte, bislang wenig beachtete Ursache für eine Verzerrung der Ergebnisse hin: In die Risikoschätzungen der Screening-Gruppe wird ein erheblicher Anteil von Darmkrebsfällen einbezogen, die schon beim Studieneintritt der Probanden vorhanden waren. Trotzdem werden sie als neu aufgetretene Fälle gewertet. „Das verletzt einen zentralen Grundsatz randomisierter Präventionsstudien, wonach nur Personen, die noch nicht an der Krankheit leiden, die man verhindern will, in die Messung der Präventionswirkung einbezogen werden sollten“, erklärt Brenner. Die Experten sprechen bei diesem Phänomen von einer Prävalenz-Verzerrung. Berechneten die DKFZ-Epidemiologen die NordICC-Daten unter Berücksichtigung dieser Prävalenz-Verzerrung und der tatsächlichen Teilnahmeraten der Screening-Gruppe, so kamen sie auf eine Risikoreduktion von über 50 Prozent. „Damit liegen wir in einem Bereich, der mit den Ergebnissen aus Beobachtungsstudien übereinstimmt“, sagt Michael Hoffmeister, Mitautor der Berechnungen der Heidelberger Epidemiologen.
Die Autoren plädieren daher dafür, neue Berechnungsarten für künftige Studien zu etablieren, die solche Verzerrungen vermeiden und sowohl Fachleuten als auch der breiten Öffentlichkeit das Potenzial der verschiedenen Screening-Untersuchungen verdeutlichen. Neben der Darmspiegelung stellen insbesondere auch die Tests auf verborgenes Blut im Stuhl eine sehr gute Möglichkeit der Früherkennung und Prävention von Darmkrebs dar. „Die Prävention von Darmkrebs hat hohe Priorität für die öffentliche Gesundheit. Prävention ist die einzige Möglichkeit, Anstiege bei der Neuerkrankungsrate und der Sterblichkeit einzudämmen, der ansonsten aufgrund der demografischen Entwicklung und der Entwicklung der Risikofaktoren zu erwarten wäre“, resümiert Brenner.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung des Deutschen Krebsforschungszentrums.
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