Die gehäuften Lungenerkrankungen im Norden Chinas versetzten die Welt in Aufruhr – dann gab die WHO Entwarnung. Aber müssen wir uns wirklich keine Sorgen machen?
Die Corona-Pandemie scheint gerade erst überstanden, da vermeldet China einen starken Anstieg an Lungenerkrankungen im Norden des Landes. Weltweit macht sich die Angst vor einer neuen Katastrophe breit, die WHO schaltet sich ein – und gibt am 23.11. Entwarnung: Die Erkrankungen seien auf bekannte Erreger zurückzuführen, eine erneute Pandemie sei nicht zu befürchten. Doch warum sind die Zahlen der Erkrankten dann so hoch?
Die Infektiologin Dr. Nazifa Qurishi sagt im Gespräch mit DocCheck: „Der Anstieg der pulmonalen und der Nasennebenhöhlen-Infektionen nach der Corona-Pandemie, die mit Tragen von Schutzmasken und Kontakteinschränkungen verbunden war, war zu erwarten.“ Auch anderorts konnte ein Anstieg im Herbst und Winter nach der Aufhebung der Pandemie-Maßnahmen beobachtet werden. So waren auch hierzulande letztes Jahr viele Krankenhäuser wegen gehäuften Infektionserkrankungen überlastet (DocCheck berichtete). „In der Zeit der Pandemie in den Jahren 2020–2022 kam es bei einigen Menschen zu Downregulierung der protektiven Antikörper und damit zu höherer Infektanfälligkeit“, so Qurishi weiter. Denn die Antikörper-Spiegel gegen Viren wie Influenza, RSV und Rhinoviren nehmen mit der Zeit ab, wenn keine neue Infektion erfolgt – zum Beispiel, weil strikte Hygienemaßnahmen eingehalten werden.
Anders als in Deutschland ist dies der erste Winter in China ohne seine sehr harten Corona-Restriktionen. „Da es in China einen deutlich längeren und strikteren Lockdown gab als in irgendeinem anderen Land, war es zu erwarten, dass der Austritt aus dem Lockdown zu starken Infektionswellen führt“, sagt der Biologe Prof. Francois Balloux vom University College London. Deshalb sei es nicht überraschend, dass China gerade viele Infektionen verzeichne. Es ist allerdings beachtlich, dass viele der Infektionen auch zu Lungenentzündungen führen, denn das wurde in diesem Ausmaß nicht in anderen Ländern beobachtet.
Auch in einem weiteren Punkt unterscheidet sich Chinas erster Winter nach den strikten Corona-Maßnahmen von anderen Ländern: Ein nicht unerheblicher Anteil der Lungenerkrankungen werden durch Mycoplasma pneumoniae ausgelöst. Die WHO begründet den Anstieg der gemeldeten Fälle mit einer ausgeweiteten Überwachung von Atemwegsinfektionen, bei der zum ersten Mal auch M. pneumoniae-Fälle erfasst werden. Wie das Infektionsgeschehen dieses Bakteriums in anderen Ländern – inklusive Deutschland – aussieht, ist oft nicht klar, denn „erstens wird wenig in den hausärztlichen Praxen diagnostiziert, zweitens gehört es nicht zu den meldepflichtigen Erkrankungen“, so Qurishi.
Das liegt auch daran, dass Infektionen in den meisten Fällen nur zu milden Symptomen führen. Im Norden Chinas werden aber gerade die schweren Verläufe vermehrt beobachtet. Ein Grund dafür könnte sein, dass M. pneumoniae in den betroffenen Regionen eine hohe Resistenzrate gegen die standardmäßige Behandlung mit Makrolidantibiotika aufweist. „Die Resistenz könnte zu den diesjährigen hohen Zahlen von Krankenhauseinweisungen aufgrund von M. pneumoniae beitragen, da sie die Behandlung behindern und die Genesung verlangsamen kann“, sagt der Epidemiologe Prof. Benjamin Cowling von der Universität Hong Kong.
Es scheinen also verschiedene Faktoren zu sein, die zu dem Anstieg an Lungenerkrankungen im Norden Chinas beitragen: Die alljährliche Erkältungswelle, die komplette Aufhebung der strikten Corona-Maßnahmen und die hohe Resistenzrate von M. pneumoniae. Und auch, wenn die aktuelle Situation keine Wiederholung der COVID-19-Anfänge zu sein scheint, warnen Epidemiologen davor, derartige Ausbrüche – besonders bei Erregern mit Resistenzen – auf die leichte Schulter zu nehmen.
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