Selbstzahlerleistungen werden immer häufiger. Ein Klischee: Orthopäden sind Weltmeister im IGeLn. Ist da was dran? Wie ihr außerdem typische Ärztefehler vermeidet, erfahrt ihr hier.
Individuelle Gesundheits-Leistungen (IGeL) werden gesetzlich versicherten Patienten von Kassenärzten als sogenannte Selbstzahlerleistungen angeboten. Dabei muss es sich um ärztliche Leistungen handeln, die nicht im Katalog der gesetzlichen Krankenkasse enthalten sind. Da das Kassenleistungsangebot aber bei den gesetzlichen Krankenkassen unterschiedlich sein kann, sollten sich Patienten im Zweifelsfall immer Informationen auf der Homepage oder beim Sachbearbeiter ihrer Krankenkasse einholen. Auch können private Zusatzversicherungen derartige Leistungen einschließen, wenn entsprechende Verträge abgeschlossen wurden.
Nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen gehören Leistungen, für die nach Auffassung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) keine ausreichenden Belege für ihren Nutzen vorliegen. Als Beispiel sei hier die Akupunktur genannt, die nur bei chronischen Schmerzen der Lendenwirbelsäule und bei Gonarthrose als Kassenleistung übernommen wird, wenn die Diagnose vor mindestens sechs Monaten gestellt wurde. Nicht übernommen wird Akupunktur bei Arthrose anderer Gelenke oder als Allergiebehandlung bzw. zur Raucherentwöhnung.
Ein anderes Beispiel ist die Stoßwellentherapie, die typischerweise bei einer Kalkschulter, beim Fersenschmerz oder einem Tennisarm angeboten wird. Obwohl Studien belegen, dass Stoßwellentherapie bei Vorliegen einer Kalkschulter die Lebensqualität deutlich verbessern kann, sind diese laut IGeL-Monitor nicht durchgehend von hoher Qualität. Die Autoren sehen zwar keine Belege, aber Hinweise auf einen Nutzen und stufen die Wirkung dieser Therapieform deshalb als „unklar“ ein. Eine ebenfalls unklare Bewertung erhält die statische Magnetfeldtherapie beim Kreuzschmerz.
Die Studienergebnisse bei der Behandlung des plantaren Fersenschmerzes sind besser und sprechen für den Einsatz einer Stoßwellenbehandlung bei Fersenschmerzen, die durch eine Entzündung der Plantarfaszie hervorgerufen werden. Der G-BA hat beschlossen, dass Patienten mit plantarem Fersenschmerz ab dem 1. Januar 2019 eine Stoßwellentherapie zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung erhalten dürfen. Die Autoren des IGeL-Monitors bewerten die Stoßwellentherapie beim Tennisarm als „tendenziell negativ“, weil die vorhandenen Studien uneinheitlich sind und diese Behandlungsform nur gelegentlich besser als eine Scheinbehandlung ist, aber alle Studien auf vorübergehende Nebenwirkungen hinweisen.
IGeL sind auch ärztliche Leistungen, die Freizeit, Urlaub und Sport betreffen und außerhalb des Versorgungsumfangs der gesetzlichen Krankenkassen liegen, wie:
sportmedizinische Fitness-Tests,
sportmedizinische Vorsorgeuntersuchungen,
sportmedizinische Beratung,
reisemedizinische Beratung und
Eignungsuntersuchungen sowie gutachterliche Bescheinigungen z. B. für Tauchsport, für Reisen oder zur Flugtauglichkeit und Berufseignung.
Wenn Patienten von sich aus ärztliche Leistungen aus dem IGeL-Angebot wünschen, sollten sie sich bereits frühzeitig über Art, Umfang und Kosten sowie alternative Behandlungsmethoden informieren. Üblicherweise geht ein IGeL-Angebot aber von der Arztpraxis aus, der Markt ist in den letzten Jahren ständig gewachsen.
Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) hat in repräsentativen Umfragen unter gesetzlich Krankenversicherten ab 18 Jahren ermittelt, dass die sogenannte IGeL-Quote von 8,9 % im Jahr 2001 und 29,9 % im Jahr 2012 bis Ende 2015 auf 33,3 % gestiegen ist. Fachärzte bieten ihren Patienten viel häufiger IGeL an als Allgemeinärzte – Orthopäden etwa drei- bis viermal so oft.
Der Medizinische Dienst der Gesetzlichen Krankenkassen (MDK) bewertet in seinem IGeL-Monitor derzeit 62 Angebote von Vertragsärzten äußerst kritisch und kommt zu dem Ergebnis, dass nur zwei Selbstzahlerleistungen als tendenziell positiv eingeschätzt werden, 23 als tendenziell negativ, fünf als negativ. Die übrigen bleiben ohne Bewertung (9) oder werden als unklar (23) eingestuft. Tendenziell positiv bewertet werden Akupunktur zur Vorbeugung von Migräneanfällen und Lichttherapie bei saisonal depressiver Störung („Winterdepression“). Die von Orthopäden häufig angebotene Stoßwellentherapie wurde bereits angesprochen. Weitere IGeL werden als „tendenziell negativ“ bewertet: Hyaluronsäure-Injektionen bei Kniearthrose, Blutegeltherapie bei Kniearthrose und Eigenbluttherapie bei Tendinopathie.
Wenn Selbstzahlerleistungen in einer Praxis angeboten werden, sind einige Grundsätze sowohl vom Patienten als auch vom Arzt zu beachten. Oft informieren Ärzte bereits im Wartezimmer mit Flyern oder als Aushang über ihr IGeL-Angebot. Es gibt Praxen, in denen an der Rezeption Zettel mit einer Übersicht aller Selbstzahlerleistungen den Patienten zum Ankreuzen ausgehändigt werden. Diese Vorgehensweise führt dazu, dass sich die Patienten nicht individuell beraten fühlen und derartige Leistungen ablehnen. Einem Patienten eine IGeL anzubieten, ist nur dann sinnvoll, wenn der Arzt persönlich diese Behandlungsmöglichkeit anspricht, sie für den Patienten einen medizinischen Mehrwert bedeutet, für den er sich auch interessiert und den er bezahlen kann. Es darf nie der Eindruck erweckt werden, dass ein Arzt nur verdienen will, sondern es muss klar sein, dass jeder Patient ein Recht auf eine bessere Versorgung hat, die sein Leiden lindern kann.
Der anbietende Arzt muss vor einer IGeL-Behandlung immer die schriftliche Zustimmung des Patienten einholen und dabei konkret die zu erwartenden zusätzlichen Kosten aufzeigen. Dies wird als „wirtschaftliche Aufklärung“ bezeichnet. Dabei sind die Ziffern bindend, die in der GOÄ verzeichnet sind. Auch der gesetzlich Versicherte wird also für die IGeL zum Privatpatienten bzw. Selbstzahler. Die Kosten ermitteln sich laut GOÄ durch die Bezeichnung der Ziffer, der textlichen Formulierung der Leistung und der Multiplikation des einfachen Gebührensatzes mit einem Steigerungsfaktor.
Diese Vorgaben muss der Arzt zwingend beachten. Pauschalrechnungen sind nicht rechtskonform und müssen vom Patienten nicht bezahlt werden. Um glatte Beträge zu erhalten, darf der Arzt aber den Faktor entsprechend anpassen. So ergibt beispielsweise bei GOÄ-Ziffer 1 Beratung die Änderung des Faktors von 2,3 auf 2,15 einen Betrag von glatten 10 Euro und bei der Akupunktur von 2,3 auf 2,14 einen Betrag von glatten 25 Euro. Die Form der Liquidation muss aber gewahrt bleiben.
Der Steigerungsfaktor kann vom Arzt beliebig bis 2,3 gewählt werden, darüber hinaus bedarf es einer besonderen Begründung und Absprache mit dem Patienten. Ärztliche Leistungen, die nicht in der GOÄ verzeichnet sind, müssen analog liquidiert werden, d. h. einer Leistung in der GOÄ entsprechen, die in Art, Kosten und Zeitaufwand gleichwertig ist. In der Rechnung wird der GOÄ-Ziffer in der Regel ein „A“ vorangestellt, um sie als Analog-Ziffer zu kennzeichnen.
Ein Patient wird erst nach Erhalt einer rechtskonformen Rechnung zahlungspflichtig, die nach der Behandlung zu erstellen ist. Eine Vorauskasse darf vom Arzt nicht verlangt werden, der Patient darf sie aber von sich aus anbieten. Untersuchungen der gesetzlichen Krankenkassen haben ergeben, dass Ärzte in fast der Hälfte aller Individuellen Gesundheitsleistungen formale Fehler begehen. Sowohl für Ärzte als auch für Patienten hat die KBV IGeL-Checklisten erstellt. Es ist allen Ärzten zu empfehlen, diese Checklisten zu kennen.
Ausgerechnet Orthopäden wird oft vorgeworfen, den Praxisumsatz durch gemäß GOÄ abgerechnete IGeL zu steigern. Statistische Untersuchungen haben aber ergeben, dass IGeL tatsächlich nur etwa 6–8 % des Umsatzes ausmachen. Ärzte sollten ihre Patienten nie zu einer Selbstzahlerleistung drängen, immer sachlich informieren und beraten und dabei auch ggf. Alternativbehandlungen berücksichtigen.
Für unzufriedene Patienten gibt es im Internet ein Beschwerdeportal, das vom Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz finanziert wird und seit Herbst 2014 online ist. Es wird von der Verbraucherzentrale NRW in Kooperation mit den Verbraucherzentralen Berlin und Rheinland-Pfalz betrieben. Die Verbraucherschützer werten die Beschwerden der Patienten auf diesem Forum aus. Es wird nicht der Nutzen der IGeL-Angebote beurteilt, sondern es werden nur die verbraucherrechtlichen Aspekte entsprechend der gültigen Rechtslage untersucht. Innerhalb eines Jahres sind hier 1.500 Beschwerden bei etwa 20 Millionen IGeL-Angeboten eingegangen. Damit ist die Beschwerdequote durch die Patienten insgesamt sehr gering. Die meisten Beschwerden beziehen sich auf nicht eingehaltene Regeln und Formalien.
Damit es erst gar nicht zu Beschwerden kommt, folgt hier zusammenfassend eine IGeL-Checkliste:
Es muss eine medizinische Indikation für ein IGeL-Angebot vorliegen und die Leistung darf keine Kassenleistung sein.
Es muss zusätzlich zu einer ärztlichen Aufklärung die wirtschaftliche Aufklärung mit Angabe der Kosten erfolgen.
Es muss immer eine Vereinbarung über eine privatärztliche Behandlung als schriftlicher Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Patient geschlossen werden, der den Patientennamen, eine Diagnose, die Therapieleistung und die Behandlungskosten enthält. Der Patient muss eine Kopie erhalten.
Es muss immer nach den GOÄ-Regeln liquidiert werden. Pauschalrechnungen und Vorkasse sind nicht erlaubt.
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