Der Einsatz von monoklonalen Antikörpern hat der Medizin in den letzten Jahrzehnten neue therapeutische Möglichkeiten in verschiedensten Indikationen eröffnet. Neben den „klassischen“ monospezifischen Antikörpern existieren mittlerweile solche, die über zwei unterschiedliche Antigen-Bindungsstellen verfügen. Diese Innovation ermöglicht zuvor ungekannte Therapiekonzepte, von denen Patient:innen mit komplexen und schwer zu behandelnden Erkrankungen profitieren können – so zum Beispiel bei Non-Hodgkin-Lymphomen.
Bindungsstellen machen den Unterschied
Antikörper können im Organismus im Rahmen der spezifischen Immunantwort verschiedene Aufgaben ausführen. Dazu spielt die Bindung an Antigene die entscheidende Rolle. Üblicherweise sind die Antigen-bindenden Bestandteile von typischen IgG-Antikörpern (sowohl von natürlichen als auch von den meisten künstlich hergestellten) aus zwei identischen schweren und zwei identischen leichten Ketten aufgebaut. Während solche monospezifischen Antikörper ein Antigen binden können, verfügen bispezifische Antikörper durch die Kombination verschiedener leichter und schwerer Ketten über zwei Bindungsstellen.1 Die Funktionsweisen der Moleküle sind dadurch flexibel. Zu den denkbaren therapeutisch nutzbaren Wirkprinzipien gehören:1,2
Eine der Funktionen, die bereits heute in der Hämatoonkologie zum Einsatz kommt, ist die Rekrutierung und Aktivierung von Immunzellen. Dabei bindet eines der antigenbindenden Fragmente des Antikörpers über einen tumorspezifischen Zelloberflächenrezeptor (z. B. CD20) an die Tumorzelle. Das zweite antigenbindende Fragment bindet an eine zytotoxische T-Zelle (über CD3, den ubiquitären T-Zell-Rezeptor). So werden T-Zelle und Tumorzelle über den Antikörper in unmittelbarer Nähe miteinander verbunden, woraufhin die zytotoxische T-Zell-Signalübertragung aktiviert und die Krebszelle spezifisch abgetötet werden kann.1
Unterschiedliche Konzepte und Kombinationen
Für die Entwicklung und Produktion von bispezifischen Antikörpern existieren zahlreiche biotechnologische Konzepte.2 In der Hämatoonkologie werden zum Beispiel sowohl BiTEs (Bispecific T-Cell Engager) als auch vollständige Antikörper eingesetzt.1 Bei BiTE-Molekülen handelt es sich um die Verknüpfung von zwei Antikörper-Fragmenten, die jeweils unterschiedliche Antigene erkennen und binden können. Bei BiTE-Antikörpern fehlen jedoch größere Elemente, wie zum Beispiel die Fc-Region.1
Vollständige bispezifische Antikörper enthalten Kombinationen aus kompletten schweren und leichten Ketten. Doch nicht nur diese Antigen-bindenden Bestandteile sind enthalten, sondern auch weitere Elemente wie die Fc-Region. Deren Vorhandensein kann sich zum Beispiel auf die Stabilität des Moleküls auswirken: Antikörper mit Fc-Fragment haben eine längere Halbwertszeit und erlauben eine länger andauernde Interaktion von Ziel- und Immunzellen.1
Weitere strukturelle Unterschiede können in Bezug auf das Verhältnis von Bindungsstellen zueinander bestehen. So sind sowohl Formate verfügbar, in denen ein Antikörper jeweils über eine Bindungsstelle pro Antigen verfügt (1:1-Format, z. B. eine Bindungsstelle für CD20 und eine für CD3) als auch Moleküle mit einem 2:1-Format (z. B. zwei Bindungsstellen für CD20 und eine für CD3). Mit dem 2:1-Format wird das Ziel verfolgt, die Bindung an bestimmte Epitope zu verstärken, um so die Effektivität der Therapie zu erhöhen und unerwünschte Wirkungen zu reduzieren.1,3
In der hämatologischen Praxis angekommen
Bispezifische Antikörper decken bereits ein breites Anwendungsspektrum in der Tumorimmuntherapie sowie bei der Behandlung anderer Krankheiten wie Hämophilie A oder Augenerkrankungen ab. 4 In vielen weiteren Erkrankungen wie Alzheimer oder Diabetes befinden sie sich in der Entwicklung.2 Derzeit gibt es weltweit 14 zugelassene bispezifische Antikörper (einschließlich einem zurückgezogenen Medikament), mehr als 180 befinden sich in der präklinischen Entwicklung und über 50 werden in klinischen Studien untersucht.4 In der Hämatoonkologie listet die europäische Zulassungbehörde EMA bislang insgesamt fünf zugelassene bispezifische Antikörper, die amerikanische FDA sieben.4,5
Die verfügbaren Wirkstoffe unterscheiden sich nicht nur in ihrem molekularen Aufbau und den Indikationen, sondern auch in der Anwendungsweise. Einige werden für eine begrenzte Zeit verabreicht, andere wiederum als Dauertherapie.1 Für Patient:innen kann die Verabreichungsdauer einen großen Unterschied machen. So kann mit einer begrenzten Anzahl von Zyklen eine längere therapiefreie Zeit einhergehen – und auch ein kürzerer Zeitraum, in dem behandlungsbedingte unerwünschte Ereignisse auftreten können. Betroffenen kann mit einer festen Behandlungsdauer auch in Hinsicht auf die psychische Bewältigung der Erkrankung mehr Sicherheit gegeben werden. Für Behandler:innen ergibt sich eine klare und überschaubare Therapiestruktur.
Zu potenziellen Toxizitäten unter einer Therapie mit bispezifischen Antikörpern, bei deren Wirkmechanismus die T-Zellaktivierung eine Rolle spielt, gehören das Zytokinfreisetzungssyndrom (CRS, cytokine release syndrome) und die Neurotoxizität (ICANS, immune effector cell-associated neurotoxicity syndrome), die als Folge einer Überaktivierung von T-Zellen auftreten können.3 Mittlerweile gibt es eine Reihe von Strategien, um Nebenwirkungen T-Zell-aktivierender bispezifischer Antikörper handhabbar zu machen und Risiken für Patient:innen zu mindern. Dazu gehören die Verabreichung von bestimmten Vormedikationen sowie die schrittweise Aufdosierung.3 Darüber hinaus wird intensiv an der Identifizierung von Risikofaktoren für das Auftreten von T-Zell-vermittelten Toxizitäten geforscht.3
Fazit: Durch innovative Wirkansätze bieten bispezifische Antikörper Patient:innen mit bestimmten aggressiven Non-Hodgkin-Lymphomen neue Chancen auf einen therapeutischen Durchbruch. Bleiben Sie über die Zukunft der Lymphomtherapie auf dem Laufenden und folgen Sie Onko+Future!
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