Mit dem Maternal Spindle Transfer ist die Reproduktionsmedizin um eine Option reicher. Das Verfahren könnte zu einem sensationellen Durchbruch in der Kinderwunschbehandlung führen – doch es gibt ethische Diskussionen. Geht das Ganze zu weit?
In England kam Louise Brown 1978 als erstes Kind nach künstlicher Befruchtung zur Welt. In Erlangen wurde 1982 das erste sogenannte deutsche Retortenbaby geboren. Heute zählt das Deutsche IVF-Register 388.716 Kinder, die zwischen 1997–2021 durch Methoden der artifiziellen Reproduktionsmedizin entstanden sind (IVF, ICSI und Auftauzyklen).
Das über 30 Jahre alte deutsche Embryonenschutzgesetz verbietet die Eizellspende, eine Samenspende hingegen ist zulässig. Weiterhin verboten ist eine Leihmutterschaft. Ebenfalls nicht möglich war bis vor 10 Jahren eine Präimplantationsdiagnostik nach künstlicher Befruchtung. Mittlerweile ist sie in engem Rahmen zulässig, etwa wenn aufgrund der genetischen Disposition der Eltern oder eines Elternteils eine schwerwiegende Erbkrankheit für das Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.
Derzeit tagt ein Expertenrat in Berlin, der die Bundesregierung in Sachen Neuregelung moderner Fortpflanzungsmedizin beraten soll. Mit einem ersten Ergebnis wird in der ersten Jahreshälfte 2024 gerechnet. Nun ist mit dem Maternal Spindle Transfer (MST) eine weitere interessante Möglichkeit hinzugekommen, die zu einem sensationellen Durchbruch – und zu spannenden ethischen Diskussionen – in der Kinderwunschbehandlung führen könnte.
Frauen, bei denen die gängigen Methoden der Reproduktionsmedizin bisher zu keiner Schwangerschaft führten, könnte durch MST geholfen werden. Dabei werden aus den Eizellen der Kinderwunschpatientin die Zellkerne herausgenommen und in die entkernten Eizellen einer meist jüngeren Spenderin übertragen. Die gespendeten Eizellen sorgen mit ihren Mitochondrien und Proteinen für eine frische Versorgung des mütterlichen Zellkerns, der die Erbanlagen der Wunschmutter enthält.
Bei 25 Frauen, die bisher alle anderen reproduktionsmedizinischen Therapien erfolglos durchlaufen hatten, wurde in einem griechischen Kinderwunschzentrum ein MST durchgeführt. Die Studie konzentrierte sich auf unter 40-jährige Patientinnen, bei denen bei früheren IVF-Versuchen niedrige Befruchtungsraten bzw. gestörte Embryonalentwicklungen vorlagen. Schwere männlich Infertilität wurde ausgeschlossen. Die Eizellspenderinnen hatten vorausgegangene erfolgreiche IVF-Ergebnisse.
Es wurden Metaphase-II-Spindeln aus den Eizellen der Kinderwunschpatientinnen in die zuvor entkernten Spender-Eizellen transferiert. Anschließend erfolgte die intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI). Aus 28 MST-Zyklen gingen sechs Kinder hervor (19 Embryonentransfer, 7 klinische Schwangerschaften). Die pädiatrischen Nachuntersuchungen in Intervallen von der Geburt bis zum Alter von 12–24 Monaten waren bisher unauffällig. Die DNA der Zellkerne stammten von den Wunscheltern, ohne dass die Spenderinnen einen Beitrag geleistet hatten. Bei fünf Kindern stammte die mitochondriale DNA (mtDNA) fast ausschließlich (> 99 %) von den Spenderinnen. Bei einem Kind kam es zu einer Vermischung von mtDNA, sodass der Anteil mütterlicher mtDNA hier 30–60 % betrug.
Kinder aus MST-Therapien besitzen also das genetische Material dreier Menschen. Daraus können sich verschiedene Konsequenzen ergeben. Ob ein Austausch der Mitochondrien, wie es beim MST-Verfahren durchgeführt wird, spätere gesundheitliche Probleme der Kinder verursacht, ist im Moment noch offen. Inwiefern die psychische kindliche Entwicklung bei reproduktionsmedizinischen Verfahren beeinträchtigt wird, ist immer wieder Gegenstand von Beobachtungsstudien. Bisher geht man von keinen signifikanten Abweichungen im Vergleich zu Kindern aus natürlichen Zeugungen aus.
Was die Schwangerschaften betrifft, weiß man aus herkömmlichen Eizellspenden, dass Komplikationen wie Präeklampsie und Frühgeburtlichkeit häufiger auftreten. Den Eizellspenden gehen hormonelle Stimulationen und invasive Follikelpunktionen voraus, beides kann zu gesundheitlichen Irritationen führen. Kommerzielle Spenden könnten die finanzielle Notlage der Eizellspenderinnen ausnutzen. Selbst altruistische Gaben, wie sie zum Teil in anderen Ländern erlaubt sind, sind diesbezüglich nicht völlig gefahrlos.
Die Embryologin Helena Angermaier hat 38 Jahre in der Reproduktionsmedizin gearbeitet und knapp 14.000 Kindern mittels künstlicher Befruchtung ins Leben verholfen. Sie war eine der ersten, die die ICSI-Methode etabliert und mehre große reproduktionsmedizinische Zentren im In- und Ausland aufgebaut hat. In der ZEIT blickt sie kritisch auf ihr Berufsleben zurück. Zu Beginn ihrer Tätigkeit hatte sie noch Vorbehalte, aber dann sei da auch der wissenschaftliche Reiz gewesen, Leben zu erschaffen. Ihre persönliche Grenze sei mit der Präimplantationsdiagnostik erreicht worden.
Bisherige Studien sehen keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei Kindern aus reproduktionsmedizinischen Verfahren. Angermaier zweifelt manchmal daran, ob das auch in höherem Alter der künstlich gezeugten Kinder noch zutreffen wird. Das Problem sei, so die Reproduktionsbiologin, dass der Mensch alles mache, was möglich ist. Es ist eine Errungenschaft der modernen Medizin, Menschen zum Elternglück zu verhelfen, wenn sie das möchten. Inwiefern aber alles, was möglich ist, auch verwirklicht werden sollte, bleibt Gegenstand weiterer ethischer Diskussionen.
Bildquelle: erstellt mit Midjourney