Pharmariese Eli Lilly wird ein Werk in Rheinland-Pfalz errichten – und nimmt dafür zwei Milliarden Euro in die Hand. Was der Hersteller dort produzieren will und warum die Wahl ausgerechnet auf dieses Bundesland fiel, erfahrt ihr hier.
In einer Zeit, in der ein Großteil der pharmazeutischen Industrie in Drittweltländern produzieren lässt, um dort möglichst billig herzustellen, mutet es beinahe seltsam an, dass sich ein Konzern in Deutschland niederlassen möchte. Die Nachricht, dass Eli Lilly ein neues Werk im rheinland-pfälzischen Alzey plant und dafür mehr als 2 Milliarden Euro in die Hand nehmen wird, verwunderte daher. Was sie dort vermutlich produzieren werden, ist ein Präparat zum Abnehmen, das ihnen – so hofft der Produzent aus den USA – von den Verbrauchern aus den Händen gerissen wird. Mounjaro®, mit dem Wirkstoff Tirzepatid, ist seit September 2023 in Deutschland zur Behandlung von Menschen mit Typ-2-Diabetes zugelassen und soll Ozempic® in den Schatten stellen.
Tirzepatid ist ein Analogon des glukoseabhängigen insulinotropen Peptids (GIP), ein gastrointestinales Peptidhormon aus der Familie der Inkretine, das in den K-Zellen des Zwölffingerdarms und des Jejunums gebildet wird. Seine Hauptaufgabe besteht darin, die Insulinfreisetzung zu regulieren. Registriert der Körper eine erhöhte Konzentration von Glukose, Fett oder Aminosäuren im Dünndarm, wird GIP freigesetzt – unter anderem, um die Bauchspeicheldrüse zur Insulinproduktion anzuregen. GIP hat auch Einfluss auf den Fettstoffwechsel und die Verdauung. Das Peptid ist dabei nicht allein für die Regulierung des Blutzuckerspiegels verantwortlich, sondern wirkt mit anderen Hormonen wie Glukagon-like Peptid-1 (GLP-1) zusammen.
Tirzepatid ist hochselektiv für die menschlichen GIP- und GLP-1-Rezeptoren und weist eine hohe Affinität zu beiden auf, heißt es in den Fachinformationen zum Wirkstoff. Die Aktivität von Tirzepatid am GIP-Rezeptor ähnelt der des nativen GIP-Hormons, während die Aktivität am GLP-1-Rezeptor im Vergleich zum nativen GLP-1-Hormon geringer ist. In Bezug auf die Kontrolle des Blutzuckerspiegels verbessert Tirzepatid die glykämische Kontrolle bei Patienten mit Typ-2-Diabetes durch verschiedene Mechanismen und senkt sowohl den Nüchtern- als auch den postprandialen Glukosespiegel.
Erst vor wenigen Wochen, am 9. November 2023, hat der Ausschuss für Humanarzneimittel der Europäischen Arzneimittelagentur (CHMP) grünes Licht für eine Erweiterung der Marktzulassung von Mounjaro® gegeben. Damit könnte es sehr bald auch zur Gewichtskontrolle bei Erwachsenen mit Adipositas (BMI ≥ 30) oder Übergewicht (BMI ≥ 25) und mindestens einer gewichtsbezogenen Begleiterkrankung als Ergänzung zu einer kalorienreduzierten Diät und erhöhter körperlicher Aktivität eingesetzt werden. In den USA ist Tirzepatid bereits seit Anfang November unter dem Handelsnamen Zepbound® für diese Indikation zugelassen. Die Entscheidung basiert auf den Ergebnissen der Phase-III-Studien SURMOUNT-1 und SURMOUNT-2. Diese zeigen deutlich, wie effektiv Tirzepatid wirkt, da es an GLP-1-Rezeptoren und an GIP-Rezeptoren bindet, im Gegensatz zum Wirkstoff von Ozempic®, Semaglutid, welches als reines GLP-1-Analogon selektiv als GLP-1-Rezeptoragonist wirkt.
Dass nun im vergleichsweise teuren Deutschland produziert werden soll, hat vielfältige Gründe, wie beispielsweise die starke Forschungs- und Entwicklungsinfrastruktur. Diese bietet dem Pharmaunternehmen aus den USA Zugang zu hochqualifizierten Fachkräften. So hat die Nähe zu anderen Firmen aus der Pharma- und Biotech-Branche bei der Standortentscheidung eine große Rolle gespielt. Alzey hat dem Unternehmen zudem große Flächen zur Verfügung gestellt und das Industriegebiet ausreichend erweitert, so dass Eli Lilly eine 30 Hektar umfassende Produktionsfläche aufbauen kann. Nach eigenen Angaben wird der Bau bereits 2024 begonnen und soll 2027 abgeschlossen sein. Es sollen etwa 1.000 Menschen beschäftigt werden.
Die hohen regulatorischen Standards in Deutschland schaffen sicherlich auch zusätzliches Vertrauen in die Qualität und Sicherheit der Produkte und erleichtern dem neu zugelassenen Medikament den Markteintritt etwas. Wird die Nachfrage ähnlich hoch wie bei Ozempic® oder Wegovy®, fragen die Patienten aber vermutlich ohnehin nicht genauer nach, wo der Wirkstoff produziert wird, oder wo die Pens für die wöchentliche Dosis befüllt werden. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Liefersituation durch das neue Medikament ein wenig entspannt und Semaglutid wieder den Menschen gegeben werden kann, die es am nötigsten haben: den Diabetikern.
Grundsätzlich verfügt Deutschland im Gegensatz zu Drittweltländern über eine ausgezeichnete Infrastruktur, einschließlich eines gut entwickelten Transportsystems und einer zuverlässigen Logistik. Der Transport von Rohstoffen, Zwischenprodukten, Verpackungsmaterialien und fertigen Produkten ist somit weniger störanfällig und führt seltener zu Ausfällen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck betonte zudem, dass die Ansiedlung des Konzerns ohne staatliche Investitionen stattfand.
Etwas bitter liest sich allerdings eine Bemerkung in einem Artikel des SWR. Aus Insiderkreisen sei bekannt geworden, dass das Pharmaunternehmen auch deshalb nach Rheinhessen komme, „weil sich hier internationale Firmen wohlfühlen würden und keine Ressentiments gegen Ausländer zu befürchten seien wie in anderen Regionen von Deutschland“. Welche Regionen damit gemeint sind, die eine wirtschaftliche Aufwertung eigentlich auch bitter nötig hätten, kann man sich nun denken.
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