Natürlich muss ich als Praxisinhaberin wirtschaftlich denken. Aber wie kann es sein, dass ich unnötige Arzt-Patienten-Kontakte anstreben muss, nur um die Praxis halbwegs wirtschaftlich laufen zu lassen?
Ich habe in den letzten zwei Jahren viel dazugelernt – weniger medizinisch, aber vor allem in Bezug auf wirtschaftliches Denken. Und das macht mir momentan manchmal echt einen Knoten in mein Gehirn: Wirtschaftlich gesehen ist es durchaus teuer, einen Arzt auszubilden. Ich habe mal die Zahl von 250.000 Euro pro Studienplatz gelesen. Das waren zwar die jährlichen Kosten von 2016, aber man sieht, wie teuer es vor allem im Vergleich zu anderen Studiengängen ist.
Interessanterweise dreht sich das Bild, wenn jemand sich im KV-Bereich niederlässt. Denn damit kauft er sich eine Menge Pflichten ein, die er dann auf eigene Kosten erfüllen muss, damit man Kassenpatienten behandeln darf.
Nehmen wir unseren Notdienst: Ich muss, weil ich auch Kassenpatienten behandeln möchte, Notdienst machen. Und zwar über 100 Stunden alleine Fahrdienst pro Jahr plus den „Sitzdienst“ in der Portalpraxis im Krankenhaus. Pro Arzt (d. h. in meinem Fall noch für meine beiden angestellten Fachärzte mit). Da der Dienst eher wenig frequentiert wird, hab ich zwar das Glück, dass ich normalerweise auch in den Diensten schlafen kann, aber natürlich nicht so erholsam wie an wirklichen Ruhetagen.
Wir haben vor kurzem mal überlegt, was man machen könnte, um die Dienstbelastung zu senken, weil das natürlich auch auf künftige Kollegen abschreckend wirkt – die werden als Praxisnachfolger für die älteren Kollegen ja dringend gesucht. Das Problem: Egal, welche Struktur das übernehmen würde, ob Gemeindenotfallsanitäter oder der Rettungsdienst oder wer auch immer – das ist alles viel teurer für die Gesellschaft. Denn wir haben die Verpflichtung bei der Niederlassung quasi „mitgekauft“ und deswegen kosten wir nichts. Und finde mal für diese Menge an Stunden eine Finanzierung, wenn die aktuelle nichts kostet! Das wird noch schlimmer, wenn die Privatärzte jetzt wirklich komplett aus den KV(!)-Notdiensten verschwinden sollten, wie es in einigen KV-Bezirken jetzt schon der Fall ist.
Und es geht noch weiter: Ich würde eigentlich gern einige Verwaltungsaktivitäten wie Folgerezepte so modernisieren, dass da nicht jedes Mal für ein Arzt gesehen werden muss. Denn damit würde ich ja Zeit freibekommen, um mich den wirklich kranken Patienten zu widmen und könnte es auf 1 x jährliche Kontrolle beschränken. Medizinisch meiner Meinung nach oft sinnvoll, wirtschaftlich ein Totalschaden: 1,38 pro Quartal!! Wie soll ich denn davon die MFA bezahlen, die sich darum kümmern muss? Und die ganze Infrastruktur? Also muss ich den Patienten einbestellen und persönlich sehen, nur damit ich wenigstens für ein Quartal die ca. 20 Euro Grundpauschale abrechnen darf. Denn sonst kann ich meine Praxis bald dichtmachen.
Auch die DMPs sind bei weitem nicht kostendeckend, wenn man wirklich macht, was da im Leistungsinhalt steht. Auch wenn ich mich manchmal frage, ob wir eigentlich die einzigen Dummköpfe sind, die wirklich machen, was da steht – wie viele Diabetes-Patienten total irritiert sind, wenn wir ihre Füße sehen wollen („das hat mein alter Hausarzt nie gemacht“), lässt einen schon (ver-)zweifeln. Für 15 Euro kann ich meine MFA eigentlich keine Viertelstunde – und das ist je nach Patient schon knapp gerechnet – das jährliche Polyneuropathie-Screening machen lassen. Noch besser ist es, wenn der Patient theoretisch in mehreren DMPs sein müsste: Für das zweite DMP wird dann der Aufwand auf unter 5 Euro gekürzt. Mal ehrlich, wer schreibt denn da Leute in mehrere DMPs ein? Man sucht sich das Wichtigste raus, fertig.
Oft von den Patienten erfragt und die Nachfrage wird immer weiter zunehmen, wenn die Bevölkerung weiter altert und am besten auch noch obligate Fahrprüfungen für Ältere kommen. Unsere ÖPNV-Verbindung ist unterirdisch (aber laut Bürgermeister keine bessere finanzierbar). Also müssen wir hin, denn der Patient kann ja nicht zu uns. Aber wer fährt? Mal ganz abgesehen vom Problem, womit meine Angestellten den Hausbesuch fahren – Zusatzauto? Dienstreisekaskoversicherung?
Das wirtschaftlich Schlimmste ist, wenn ich einen meiner angestellten Fachärzte schicke. 24,36 Euro für einen Hausbesuch plus Wegegeld. Gerade bei der aktuell manchmal schwierigen Straßensituation (Schnee!) dauert ein Hausbesuch schnell mal 45 Minuten – und ich bezahle pro Facharztstunde ja deutlich mehr. Selbst fahren? Gerade in den Randzeiten mache ich das auch, aber da ich auch gleichzeitig viele Patienten habe, die bei mir persönlich Termine haben möchten, fehlt mir die Zeit – vor allem bei akuten Hausbesuchen.
Was ist denn mit den MFAs? Ich habe ja mehrere VERAH/NäPA-Kräfte. Das kommt drauf an. Erstens ist es bei akuten Problemen doch häufig schwierig, da letztlich ein ärztliches Urteil getroffen werden muss. Zweitens ist es auch da so eine Sache mit den Kosten. MFAs zu schicken kostet weniger, aber man bekommt auch weniger bezahlt. Und nein, gerade mit den Fahrzeiten rechnet sich das auch nicht, denn bei NäPA-Hausbesuchen gibt es kein Wegegeld, sondern nur ca. 19 Euro Pauschale. Und so sehr ich die HZV schätze – dass ich meine VERAHs erst für teures Geld ausbilde und dann besser bezahle, aber dann in vielen Verträgen deren Arbeitszeit kostenlos für Hausbesuche benutzen soll, ist absolut unverständlich.
Am günstigsten wäre es für mich, meine glücklicherweise subventionierte Weiterbildungsassistentin zu schicken. Das ist zwar blöd, in Bezug auf die Ausbildung, aber es ist aktuell der beste Kompromiss zwischen (ärztlicher) Qualifikation und Wirtschaftlichkeit.
Was ich aktuell mache? Ehrlich gesagt, eine Mischung aus allen oben genannten Varianten. Je nach dem, was die Situation gerade personell und medizinisch erfordert. Das ist zwar sicher oft nicht wirtschaftlich, aber wenn ich da zu viel drüber nachdenke, ist – fürchte ich – bald meine geistige und vor allem auch emotionale Belastungsgrenze erreicht.
Man sieht: Natürlich muss ich als Praxisinhaberin wirtschaftlich denken. Aber es kann und sollte nicht sein, dass ich unnötige Arzt-Patienten-Kontakte anstreben muss, nur um die Praxis halbwegs wirtschaftlich laufen zu lassen. Aber so ist meine KV-Zulassung vor allem eins: Ein menschlicher Totalschaden. Denn ich muss mein medizinisches Denken eintauschen gegen dieses kranke „Medizinisch zwar sinnvoll – aber kann ich mir das überhaupt leisten“?
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