Früher war die Sache einfach: Es gab permanentes und paroxysmales Vorhofflimmern. Da heutzutage aber immer mehr Patienten mit intelligenter Uhr am Arm rumlaufen, fallen auch kleinere Events öfter auf. Was tun?
Entdeckt wurde permanentes oder paroxysmales Vorhofflimmern mit dem 12- oder notfalls 1-Kanal-EKG in der kardiologischen oder hausärztlichen Praxis. Wenn dann der Risiko-Score stimmte, wurde eine orale Antikoagulation empfohlen. Das war vor dem Sensitivitäts-Tsunami, der die EKG-Diagnostik erfasst hat, seit einerseits kardiale Implantate, andererseits sogenannte Wearables, EKGs oder EKG-artige Signale aufzeichnen können.
Weil mit Implantaten und Wearables, mit Unterstützung von künstlicher Intelligenz, auch eine 24/7-Überwachung immer problemloser möglich wird, entsteht ein Problem: Was tun mit all den Patienten, die weder permanentes Vorhofflimmern noch paroxysmales Vorhofflimmern mit Symptomen haben, sondern bei denen der Vorhof punktuell ohne Symptome flimmert? Vielleicht auch kürzer als jene 30 Sekunden, die die Leitlinien als Mindestdauer angeben, bevor eine Vorhofflimmerepisode als solche zählt?
Mittlerweile gibt es zwei große, randomisierte Studien, die sich mit dem Problem des subklinischen Vorhofflimmerns auseinandergesetzt haben. Das eine war die deutsche NOAH-AFNET-6 Studie, die sich um Device-detektiertes Vorhofflimmern gekümmert hatte, sogenannte atriale Hochfrequenzepisoden (AHRE). Diese Studie war bei der ESC-Tagung im August 2023 vorgestellt worden, DocCheck hatte ausführlich berichtet. Die Studie hatte bei AHRE-Patienten eine orale Antikoagulation mit Edoxaban versus Placebo verglichen. Viele Patienten in der Kontrollgruppe nahmen ASS ein. Beim primären Endpunkt – Schlaganfälle, systemische Embolien oder kardiovaskulärer Tod – gab es einen numerischen, aber nicht signifikanten Vorteil für die Antikoagulation, bei signifikant mehr schweren Blutungen oder Todesfällen. Die Schlussfolgerung damals lautete: Bei AHRE eher nicht antikoagulieren.
Vor wenigen Wochen wurde die zweite, in vielerlei Hinsicht ähnliche Studie publiziert, die nordamerikanische ARTESIA-Studie. Sie macht die Sache leider nicht einfacher. An ARTESIA nahmen 4.012 Patienten mit subklinischem Vorhofflimmern – der Begriff wurde synonym zum Begriff AHRE verwendet – und einem durchschnittlichen CHA2DS2-VASc Score von 3,9 teil. Auch hier wurde das subklinische Vorhofflimmern in erster Linie über kardiale Devices diagnostiziert; es handelte sich also auch in dieser Studie um kardial vorerkrankte Menschen. Sie wurden im Mittel 3,5 Jahre begleitet, damit doppelt so lang wie in der vorzeitig beendeten NOAH-AFNET-6-Studie, wo es 21 Monate waren.
Der primäre Endpunkt war etwas schlanker, Schlaganfall oder systemische Embolie. Verglichen wurde in diesem Fall Apixaban in der Dosis 5 mg bzw. ggf. 2,5 mg zweimal am Tag mit ASS in niedriger Dosis, in den USA sind das 81 mg. Anders als NOAH-AFNET-6 fand ARTESIA einen signifikanten Vorteil für die Antikoagulation. Die jährliche Ereignisrate gemäß primärem Endpunkt betrug bei Apixaban-Therapie 0,78 % und bei ASS-Therapie 1,24 %. Schwere Blutungen waren in der Apixaban-Gruppe mit 1,71 % pro Patientenjahr signifikant häufiger als bei ASS-Therapie, wo die Quote 0,94 % pro Patientenjahr betrug.
Die Frage ist jetzt: Was tun mit diesen Studien, oder genauer: Was tun mit Patienten mit subklinischem Vorhofflimmern? Die Autoren der ARTESIA-Studie um Jack Healey von der McMaster-Universität in Kanada diskutieren die Frage ausführlich. Sie sind der Auffassung, dass die NOAH-AFNET-6-Studie aufgrund der frühzeitigen Beendigung statistisch unterpowert war. Mit anderen Worten: Der nicht signifikante Unterschied zugunsten der Antikoagulation, der sich auch in der NOAH-AFNET-6 Studie fand, wäre bei längerem Studienverlauf möglicherweise noch signifikant geworden.
Zudem, so Healey und Kollegen, habe es in der NOAH-AFNET-6-Studie durch die Hinzunahme des kardiovaskulären Tods als Endpunktkomponente eine Art Verwässerung des Effektivitätsergebnisses gegeben. Denn Todesereignisse erfolgten in dieser Art Patientenkollektiv in der Regel durch kardiovaskuläre Erkrankungen, aber eher selten explizit durch Schlaganfälle. Insgesamt sehen die ARTESIA-Wissenschaftler ihre Studie als Aufruf, bei Menschen mit subklinischem, Device-detektiertem Vorhofflimmern/AHRE über eine Antikoagulation nachzudenken.
Wenn man die beiden Studien nicht direkt gegeneinander antreten lässt, sondern sie gemeinsam in Form einer Metaanalyse auswertet, stellt sich die Sache wieder etwas anders dar. An der Metaanalyse war u. a. Healey beteiligt, aber auch Paulus Kirchhof vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Er war Erstautor der NOAH-AFNET-6-Studie. Die in Circulation publizierte Metaanalyse hat 785 Publikationen gescannt und blieb am Ende bei den beiden genannten als einzig sinnvoll auswertbaren hängen.
Der Abstract der Metaanalyse ist ein Kunstwerk in sich. Man spürt förmlich, dass Formulierungen gesucht wurden, mit denen beide Parteien leben können. Die Ergebnisse beider Studien seien „konsistent“, heißt es kryptisch. Und dann wird mit „kardiovaskulärer Tod, Schlaganfall periphere arterielle Embolie, Myokardinfarkt und Lungenembolie“ ein Endpunkt berechnet, der weder in der einen noch der anderen Studie der primäre Endpunkt war. Bezüglich dieses Endpunkts gebe es eine Risikoreduktion um 15 %, bei einem Konfidenzintervall von 0,73–1,00. Es gebe in der Gesamtschau keine Reduktion im kardiovaskulären Tod oder in der Gesamtmortalität. Das haben auch weder die einen noch die anderen Studienautoren je behauptet. Und, naja, schwere Blutungen sind häufiger, um 62 %, was beide Studien gefunden hatten.
Viel salomonischer kann der Abstract einer Metaanalyse eigentlich kaum formuliert werden. Wer ein bisschen tiefer in die Details liest, der findet die interessanten Dinge, eine dann in der Tat signifikante Reduktion der ischämischen Schlaganfälle um immerhin 32 %. Das große Aber ist die niedrige Schlaganfallrate, die in der gemeinsamen Auswertung beider Studien in den Kontrollgruppen bei 1 % pro Jahr lag. Die braucht man, um absolute Effekte zu berechnen und die sind dann schon ziemlich übersichtlich. Die Antikoagulation reduziert das Risiko für ischämischen Schlaganfall um 3 bis 6 Ereignisse pro 1.000 Patientenjahre, gleichzeitig steigt das Risiko für schwere Blutungen um 7 Ereignisse pro 1.000 Patientenjahre.
In einem Kommentar für das Online-Magazin NEJM Journal Watch ist der Kardiologe Mark Link vom Southwestern Medical Center in Texas dann auch deutlich zurückhaltender als die ARTESIA-Autoren. Die kombinierte Analyse der beiden RCTs liefere jetzt starke Evidenz, dass das Schlaganfallrisiko bei subklinischem Vorhofflimmern niedrig sei und entsprechend sei für ihn die Konsequenz, solche Patienten „nur selten“ zu antikoagulieren, sofern die Episoden nicht länger seien als 24 Stunden. Emma Svennberg von der Karolinska Universität Stockholm äußert sich in einem Editorial im NEJM salomonischer: Es komme jetzt auf gemeinsame Entscheidungsfindung an. Nun ja.
Quellen:
Kirchhof et al: Anticoagulation with Edoxaban in Patients with Atrial High-Rate Episodes. NEJM, 2023. doi: 10.1056/NEJMoa2303062
Healey et al: Apixaban for Stroke Prevention in Subclinical Atrial FibrillationList of authors. NEJM, 2023. doi: 10.1056/NEJMoa2310234
McIntyre et al: Direct Oral Anticoagulants for Stroke Prevention in Patients with Device-Detected Atrial Fibrillation: A Study-Level Meta-Analysis of the NOAH-AFNET 6 and ARTESiA Trials. Circulation, 2023. doi: 10.1161/CIRCULATIONAHA.123.067512
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