Viele Maßnahmen, die in einer stationären psychiatrischen Behandlung täglich greifen, sind gesetzlich genauestens geregelt. Aber auch durch einfache Kommunikation zwischen Personal und Patienten kann ein Zwangsgefühl entstehen. Was könnt ihr dagegen tun?
Manche Zwangsmaßnamen wie eine Unterbringung oder Zwangsmedikation sind in der Psychiatrie gesetzlich geregelt. Im Alltag wird jedoch häufig auch über kommunikative Mittel Druck auf Patienten ausgeübt, um sie zu einer Behandlung oder Medikamenteneinnahme zu bewegen – etwa wenn eine Psychiaterin einem Patienten droht, dass die Familie nicht kommen darf, wenn er seine Medikamente nicht nimmt. Wann solche kommunikativen Mittel die Grenze zum informellen Zwang überschreiten, hat ein Team um Christin Hempeler von der Ruhr-Universität Bochum untersucht.
Während rechtlich geregelter, formeller Zwang in der Psychiatrie bereits viel erforscht wurde, gibt es vergleichsweise wenige Arbeiten zu informellem Zwang. Ein Bochumer Team nahm sich dieses Themas an, weil es in der klinischen Praxis eine große Rolle spielt. Auch wenn psychiatrische Fachkräfte im vermeintlichen Interesse der Patienten handeln möchten, kann es passieren, dass sie in der Kommunikation bewusst oder unbewusst Druck erzeugen, der einem Zwang gleichkommt.
Für eine Studie, die bei BMC Psychiatry erschienen ist, interviewte das Forschungsteam 14 Patienten mit psychischer Erkrankung, um zu erfahren, wie diese verbal ausgeübten Druck erleben. In der Arbeit entwickelte das Team basierend auf empirischen Erkenntnissen ein philosophisches Konzept, mit dem sich informeller Zwang beschreiben lässt. Denn sowohl in der eigenen als auch in weiteren empirischen Arbeiten zeigte sich: Der Kontext kommunikativer Interaktionen beeinflusst, ob Zwang stattfindet. Das konnte in der bisherigen Konzeption informellen Zwangs nicht abgebildet werden. Bislang wurden nur Drohungen als Zwang erachtet, nicht jedoch andere kommunikative Mittel.
„Wenn ich einem Patienten sage, dass er seine Familie nicht sehen darf, wenn er seine Medikamente nicht nimmt, ist das eine Drohung“, sagt Hempeler. Als Bewertung legt sie dabei zugrunde, dass der Patient durch die Verweigerung der Medikamente schlechter gestellt wird, als es ihm zusteht – denn er hat ein Recht darauf, seine Angehörigen zu treffen.
Schwieriger wird es, wenn augenscheinlich ein Angebot vorliegt, etwa wenn die Fachkraft dem Patienten ein Päckchen Zigaretten anbietet, wenn er die Medikamente nimmt. „Wenn der Patient darauf verzichtet und nur der Bonus entfällt, dann ist es ein Angebot. Aber um zu beurteilen, ob es sich um Zwang handelt, reicht es nicht, nur das Gesagte zu betrachten“, Hempeler. „Man muss auch beachten, was die Patient*innen glauben, was mit ihnen passieren wird, wenn Sie das Angebot ablehnen, und in welchem Kontext die Interaktion stattfindet.“ Beispielsweise spielt die Umgebung eine Rolle: Wenn ein Fixierbett im Raum steht, könnte der Patient berechtigterweise vermuten, dass er fixiert und zwangsmediziert wird, wenn er die Medikamente im Rahmen eines solchen Angebots verweigert, weil er dieses Vorgehen zuvor bei anderen Patienten beobachtet hat. Unter bestimmten Umständen können so auch Angebote Zwang ausüben.
„Uns ist bewusst, dass es ein schmaler Grat ist zu entscheiden, ob ein Patient berechtigterweise glauben könnte, dass ihm negative Konsequenzen drohen, wenn er eine Behandlung nicht möchte“, sagt Hempeler. „Wir wollen unsere Arbeit nicht als Generalvorwurf gegen psychiatrische Fachkräfte verstanden wissen. Uns geht es darum, Verbesserungspotenziale aufzuzeigen und für das Thema zu sensibilisieren.“
Eine Lösung wäre laut den Forschern beispielsweise, im Gespräch aufzuzeigen, dass es keine negativen Konsequenzen gibt, wenn ein Patient eine Maßnahme verweigert. „Man kann zum Beispiel eine Belohnung für die Medikamenteneinnahme anbieten und zugleich klarmachen, dass nichts passieren wird, wenn das Angebot nicht angenommen wird“, so Hempeler. In einem nächsten Schritt möchte das Team Handlungsempfehlungen für psychiatrische Fachkräfte entwickeln, die informellen Zwang reduzieren sollen.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der Ruhr-Universität Bochum. Hier findet ihr die Originalpublikation.
Bildquelle: Priscilla Du Preez, unsplash