Glaubt mir, ich würde gerne so tun, als wäre es wieder wie damals, 2019. Ist es aber leider nicht – und wer das nicht einsehen will, verschließt die Augen vor der Wahrheit. Ein Blick auf die aktuelle Lage.
Nicht schon wieder Covid. Können wir den Sack nicht endlich mal zumachen? Oh Leute, ihr könnt euch nicht vorstellen, wie gerne ich einen Haken daran machen würde. Aber wie soll man das ignorieren, wenn wie aktuell von eigentlich sechs Chirurgen in einer Fachabteilung nur noch zwei da sind? Das kann man nicht. Da liegen die Nerven blank, der OP steht und selbst die akuten Fälle lassen sich kaum noch bearbeiten.
Unter dem Hashtag #COVIDisNotOver mahnen viele Stimmen sachlich zur Vorsicht. Seit mittlerweile drei Jahren wird versucht, diese meist eher unaufgeregten Appelle von einer sehr lauten, oft radikal auftretenden Meute mundtot zu machen. Von Leuten, die betonen, wie harmlos eine Infektion ist. Die damit vor allem durch Talkshows wandern, aber gerne auch auf Titelblättern in großen Buchstaben die Meinung vorgeben wollen. Wir alle sehnen uns nach einem Ende der Infektionswellen, der einschränkenden Hygienemaßnahmen. Wir wollen endlich wieder unser Leben zurück! Leider ist dem Virus das alles komplett egal. Das Virus guckt keine Talkshow, es liest keine Zeitung und hat kein Twitter.
Egal wie laut der Mob nach einem Ende aller Maßnahmen ruft, das Virus ist da und weil wir es nicht weg bekommen, versuchen sich also manche in Eskapismus und reden sich und anderen ein, dass Infektionen unvermeidlich sind und man jetzt damit leben müsse. Da gibt es nur ein paar nicht unwesentliche Details, die in dieser Diskussion unbequem und sperrig sind. Das Framing als einfacher „Husten“ oder „Schnupfen“ oder, ganz besonders beliebt unter Medizinern, „Erkältung“ (sic!) ist schlicht falsch. Es trifft die Sache nicht.
Anders als Rhinoviren, die in etwa 30–50 % aller Fälle für einen Schnupfen verantwortlich sind, werden nicht nur die Schleimhäute der Nase oder der Bronchien angegriffen. Coronaviren zerstören Endothelzellen. Das Endothel ist mehr als nur eine Zellschicht, es ist fast ein eigenes Organ innerhalb der Gefäße. Es reguliert den Stoffaustausch vom Blut in umliegende Gewebe, reguliert den Blutdruck und damit die Versorgung mit Blut, Sauerstoff und Stoffwechselprodukten. Ein kaputtes Endothel ist die Grundlage für Bluthochdruck, Schlaganfälle und Herzinfarkte. Und wenn man davor warnt, schallt es einem direkt entgegen: „Ja, aber wenn das alles so schlimm ist – wo sind denn dann die ganzen Toten?“ Das wäre ungefähr so logisch, wie sich eine Zigarette anzuzünden und dem Arzt den Rauch ins Gesicht zu blasen mit den Worten: „Sehen sie? Ich bin immer noch nicht tot! Kann ja wohl so schlimm nicht sein mit der Qualmerei, was, Herr Doktor?“
Zellschäden bilden die Grundlage, das ist ein schleichender Prozess. Und mit jeder Infektion kommen neue Schäden dazu, alte Schäden bleiben. Und ja, die Auswirkungen wiederholter Infektionen sehen wir jetzt schon und werden wir in den nächsten Jahren sehen. Das ist auch schon sehr gut untersucht, die Daten sind eindeutig. Die Originalarbeit dazu gibt es hier und die Konsequenzen sind so eindeutig, dass sogar in einem Fachorgan niedergelassener Ärzte davor gewarnt wird, bei Konsultationen von Patienten nach durchgemachter Infektion besonders wachsam zu sein, weil es dann sehr häufig zu Herzinfarkten kommt.
Warum hört man davon so wenig in der Öffentlichkeit? Nun, weil es niemand mehr hören will. Mahnende Worte der Vorsicht werden nicht gut geklickt. Zeitungen funktionieren aber mittlerweile zu einem Großteil nur noch, wenn sie spektakuläre Aufmacher haben.
Habt ihr euch mal gefragt, wie man Gast in einer Talkshow wird? Wer diese Sendungen produziert? Talkshows im öffentlichen Rundfunk werden teilweise nicht von der ARD oder dem ZDF produziert, sondern an Produktionsfirmen outgesourced. Die kümmern sich um alles. Gäste, Studio, Inhalte – am Ende liefern sie den Sendern fertig auf 60 Minuten geschnittene Sendung. Läuft die Sendung gut – sind die Quoten also gut – gibt es oft zusätzliche Prämien. Läuft es nicht gut, gibt es die nicht und die Sendung kann abgesetzt werden. Radikale Thesen, die dann auch von Zeitungen und anderen Sendern zitiert werden, bringen Reichweite und Klicks. Das bringt Geld.
Eine Talkshow beziehungsweise die Produktionsfirma einer Talkshow legt also gar keinen Wert auf eine inhaltlich korrekte Darstellung der präsentierten Themen, sondern vor allem darauf, dass die Inhalte möglichst polarisieren, Aufmerksamkeit generieren. Denn Aufmerksamkeit ist die Währung unserer Zeit. Das wir hier ein Problem haben, ist mittlerweile selbst bei den Kontrollgremien angekommen. Ob es was ändern wird, darf bezweifelt werden.
Kurzum: Rationale Mediziner, die zur Vorsicht mahnen, will niemand mehr sehen. Die Leute wollen ihr Leben wir vor 2019 leben, am besten wie 1999, als man noch billobolle dreimal im Jahr nach Malle fliegen konnte und die Klimakleber nicht genervt haben. Statt der Realität ins Auge zu blicken, suchen die Menschen nach Figuren, die ihnen sagen, dass sie gerne so weiter machen dürfen, wie vorher. Ist halt nur Unfug.
Menschen glauben die absurdesten Dinge, um der Wahrheit zu entgehen. Ein für mich prägendes Erlebnis hierzu ereignete sich spät im Medizinstudium, bei einem Praktikum in einer gynäkologischen Praxis. Im Rahmen der Vorsorge bei einer Schwangeren kam die Sprache auf ihren Zigarettenkonsum. Der Gynäkologe riet ihr ernsthaft davon ab, jetzt in der Schwangerschaft mit dem Rauchen aufzuhören, da das für das Baby viel zu viel Stress bedeuten würde. Ich saß da mit großen Augen und konnte es nicht fassen. Nach Abitur, Studium, Approbation und Facharztprüfung saß da jetzt also ein Mensch, der so einen Unfug erzählt und die Frau nahm es dankbar auf.
Irgendwo im Hinterkopf wird sie vielleicht noch gedacht haben, dass das vielleicht Quatsch ist, aber andererseits war es eine sehr dankbare Ausrede, nichts am schädlichen Verhalten ändern zu müssen. Fast überflüssig, zu erwähnen, dass der Arzt selber Kettenraucher war. Hätte man das mal konsequent zu Ende gedacht, wäre man darauf gekommen, dass spätestens nach der Geburt und Abnabelung sowieso ein sehr kalter und extrem stressiger Entzug einsetzt. Wenn das Baby nicht vorher als Fehlgeburt stirbt, was bei rauchenden Müttern deutlich häufiger passiert.
Damals hielt ich ihn für ein sonderbares Exemplar, einen frei drehenden Exoten, der vom Weg der Wissenschaft abgekommen ist. Heute weiß ich – es gibt weit mehr von dieser Sorte, als uns lieb sein sollte. Menschen, die sich ihre eigene Realität zurechtbiegen. Da helfen auch keine Fakten. Ich werde es trotzdem weiter mit Aufklärung und Informationen versuchen. Lasst euch keinen Bären aufbinden. Tragt eine Maske, lasst euch impfen, bleibt gesund – so lange wie möglich.
Bildquelle: erstellt mit Midjourney