Ihr wollt am Weihnachtstisch mit coolem Nerd-Wissen punkten? Wir haben da was für euch: Warum Rudolph eigentlich Rudolphine sein müsste und warum sich eine Rentier-Herde anhört, als würde sie auf Stöckelschuhen laufen, lest ihr hier.
Es gibt diese Dinge, von denen man als Kind dachte, sie würden im späteren Leben eine größere Rolle spielen – mit denen man dann aber nie wieder zu tun hat. Rentiere könnten dazugehören. Kennt man sie doch hauptsächlich aus Weihnachtsfilmen, in denen sie treu und kraftvoll den Schlitten des Weihnachtsmannes ziehen und natürlich auf magische Weise fliegen können. Aber wer von euch hat schon mal ein waschechtes Rentier gesehen und wie viel wisst ihr über die Tiere? Hier mal ein paar interessante Fakten, mit denen ihr dieses Jahr beim Weihnachtsessen glänzen könnt.
Das Rentier (Rangifer tarandus) gehört zur Familie der Hirsche (Cervidae), ihr nordamerikanischer Vertreter ist das Karibu. Es lebt in den Tundren und der Taiga im Norden Eurasiens, Nordamerikas sowie auf Grönland und anderen arktischen Inseln – damit wird es als zirkumpolare Art bezeichnet. Rentiere sind die einzige Hirschart, die domestiziert wurde, und zwar in Europa. Im Englischen werden übrigens nur die domestizierten Tiere als „reindeer“ bezeichnet, die wildlebenden als „caribou“.
Rentiere sind in der Lage, sich flexibel an die saisonal wechselnden Nahrungsressourcen in den oft extremen klimatischen Bedingungen der (Sub-)Arktis anzupassen – eine Grundvoraussetzung für ihr Überleben. Im Winter fressen sie verschiedene Zwergstraucharten und energiereiche Flechten und nutzen ihre scharfkantigen Hufe, um diese aus dem Schnee zu scharren. Während der Sommermonate ernähren sich Rentiere von grüner Vegetation, einschließlich Sträuchern, Blättern, Gräsern und Moosen.
Mit einer Schulterhöhe von über 1,2 m und einem Gewicht von um die 250 kg sind Rentiere ganz schön beeindruckend. Sie haben weit spreizbare Hufe mit einer Spannhaut, sodass diese sich auf Schnee oder weichem Boden ausweiten können – das sorgt für einen stets guten Halt. Zusätzlich haben sie eine stark ausgebildete Afterklaue und ihre Hufe sind besonders scharfkantig. Im Sommer werden ihre Ballen außerdem weicher und ihre Hufe breiter, damit sie auch auf sumpfigem Untergrund Halt haben. Aber nicht nur auf Schnee glänzen sie mit Können, sie sind nebenbei auch ziemlich solide Schwimmer.
Das Geweih der Rentiere ist asymmetrisch, stark verzweigt und nach vorne gebogen – und bei jedem Tier individuell. Mit bis zu 44 Spitzen kann es bei den Männchen bis zu 1,4 Meter lang werden und auch mal 15 Kilo wiegen. Apropos Geweih: Rentiere sind die einzige Hirschart, bei denen auch die Weibchen ein Geweih tragen. Im Gegensatz zu männlichen Tieren, die ihr Geweih im Herbst nach der Brunftsaison abwerfen, behalten die Weibchen ihres noch bis zum Frühling oder gar Sommer. Als Grund vermuten Wissenschaftler, dass die Weibchen so einen Vorteil bei der Beschaffung und Verteidigung ihrer Nahrung haben – müssen sie doch in dieser Zeit für sich und ihr im Bauch heranwachsendes Kalb sorgen.
Die Rentiere, die den Schlitten den Weihnachtsmanns in den vielen Geschichten und Zeichnungen ziehen, müssten also Weibchen sein. Zeit, die Namensgebung zu überdenken – ist Rudolph nicht eigentlich Rudolphine? Und wieso fliegen Santas Rentiere überhaupt? Dazu hat Wissenschaftler Dieter Steklis von der Universität Arizona eine Theorie: „Es gibt mehrere konkurrierende Theorien über den Ursprung dieses Mythos, aber keine von ihnen ist gut belegt.“ Er sieht in der US-amerikanische Erfindung eine Mischung aus Aspekten der nordischen Mythologie. Da wäre zum Beispiel Thor, der Gott der Stürme, der in einem Wagen über den Himmel fuhr und von zwei Ziegen gezogen wurde. Ihre Namen: „Donar“ und „Blitzen“, die den germanischen/holländischen Wörtern für Donner und Blitz ähneln.
Auch die kulturelle Praxis der Saami oder Lappländer – ein Volk, das in der Arktis im hohen Norden Norwegens, Schwedens, Finnlands und Russlands als halbnomadische Rentierzüchter lebt und Rentierschlitten nutzt – sei sicher in die Geschichte eingeflossen. „Habe ich schon erwähnt, dass die Saami ihre Rentiere auch mit psychedelischen Pilzen füttern? Wenn die Rentiere high werden, trinken die Saami ihren Urin, um an dem Erlebnis teilzuhaben. Der Pilz ist für Menschen giftig, aber wenn er von den Rentieren verstoffwechselt wird, ist er es nicht mehr. Vielleicht sahen sie im Rausch auch Visionen von fliegenden Rentieren,“ vermutet Steklis.
Die Farbe von Rentieren kann von weißlich im Winter bis braun im Sommer variieren, eine perfekte Tarnung also. Ihre dicken Deckhaare sind außerdem innen hohl, was die Isolierfähigkeit des Fells erhöht. Rentiere ändern auch ihre Augenfarbe je nach Jahreszeit. Im Sommer, wenn es im hohen Norden hell ist, sind ihre Augen eher gold-gelb, im dunklen Winter werden sie dunkelblau. Diese Farbänderung wird durch eine Anpassung des Tapetum lucidum, einer Schicht hinter der Netzhaut, erreicht. Im Winter verändert es seine Eigenschaften, um die Wellenlängenreflexion zu variieren. Die so erhöhte retinale Sensitivität ermöglicht es den Rentieren, in der dunklen arktischen Winterumgebung besser zu sehen und ihre Fähigkeit zu erhalten, Futter und Raubtiere effektiv zu erkennen. Diese Anpassungen sind sehr wichtig für die Tiere, da Rentiere in Regionen mit extremen Lichtverhältnissen leben, wo die Wintermonate durch lange Perioden der Dunkelheit und die Sommermonate durch kontinuierliches Tageslicht gekennzeichnet sind.
Noch ein Fun-Fact: Rentiere machen Klickgeräusche beim Gehen. Sie gehören, neben ein paar Hirsch- und Antilopen-Arten, zu den wenigen Huftieren, die diese besonderen Geräusche produzieren. Es hört sich ein bisschen wie das Knöchelknacken beim Menschen an. Über den Nutzen spekulieren Forscher aber noch. Es gibt die Theorie, dass besonders große Männchen besonders laut klicken, um den Weibchen zu imponieren. Eine andere Vermutung ist, dass die Tiere sich mithilfe des Geräusches im Dunklen oder während eines Schneesturms orientieren. Das Klicken wird wahrscheinlich in der Manica flexoria produziert, einer Manschette aus Sehnen, die die Sehne des M. flexor digitorum profundus führt. Wo und wie genau es aber entsteht, konnte bisher nicht gezeigt werden.
Und zu guter Letzt kommen wir noch zu den unschönen Fakten, den Krankheiten. Damit ihr auch hier mit Wissen glänzen könnt: drei Erkrankungen, mit denen Rentiere zu kämpfen haben.
Eine Erkrankung des Auges bei Rentieren ist die Infektiöse Keratokonjunktivitis (IKC), verursacht hauptsächlich durch das Cervid Herpesvirus 2 (CvHV2). Sie ist sehr schmerzhaft und vor allem für Kälber oft verheerend. Die Viruserkankung ist hochansteckend und kann sich rasch in Rentierherden ausbreiten. Hierbei ist die Sehfähigkeit der betroffenen Tiere erheblich beeinträchtigt, die Krankheit kann zu schweren und dauerhaften Augenschäden oder sogar zur Blindheit führen.
Auch vom Ecthyma contagiosum können Rentiere betroffen sein. Verursacht wird die Hauterkrankung durch das Orf-Virus, ein Pockenvirus, das Wiederkäuer infiziert (meist Schafe und Ziegen). Sie ist weltweit verbreitet und hochansteckend. Der Erreger kann durch direkten Kontakt, über die Luft und über abgefallene Krusten und Borken übertragen werden. Jungtiere werden oftmals bei der Geburt infiziert. Neben einer labialen Form („Lippengrind“) kann es auch als podale („Fußgrind“), genitale oder maligne Form auftreten. Auch der Mensch kann sich infizieren, es handelt sich also um eine Zoonose.
Eine weitere, sehr bedeutende Erkrankung ist die Chronische Auszehrungskrankheit (Chronic Wasting Disease, CWD). Es handelt sich um eine ansteckende Prionenkrankheit, die zu einer tödlichen schwammartigen Enzephalopathie bei Hirschartigen wie Hirschen, Elchen, Rentieren und Wapitis führt. Die CWD ist eine übertragbare spongiforme Enzephalopathie, die durch fehlgefaltete Prionproteine verursacht wird. Die Krankheit führt zu einer fortschreitenden Degeneration des zentralen Nervensystems, was schließlich zum Tod des betroffenen Tieres führt. Die Symptome umfassen Gewichtsverlust, Verhaltensänderungen und Koordinationsstörungen. Die Krankheit ist hochansteckend und kann durch direkten Kontakt sowie indirekt über kontaminierte Umgebungen wie Futterplätze oder Leckstellen übertragen werden. Forscher sind hier besonders besorgt, weil CWD sowohl Wild- als auch Zuchtherden befallen kann. Es gibt auch Bedenken hinsichtlich des Potenzials für eine zoonotische Übertragung, obwohl bisher keine Fälle von CWD-Übertragungen auf den Menschen bekannt sind.
So, nun bleibt nur noch eines: Fröhliches Klugscheißern!
Quellen
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