Die steigende Zahl von Krebsfällen im Mundrachenraum gilt als Folge einer Infektion mit HPV. Krebsforscher entwickelten nun einen Bluttest auf bestimmte Antikörper. Mit diesem lassen sich gefährdete Personen mehr als zehn Jahre vor der möglichen Diagnose identifizieren.
Krebs des Mundrachenraums tritt immer häufiger auf. Insbesondere in den Industrieländern hat sich die Neuerkrankungsrate in den letzten drei Jahrzehnten deutlich erhöht. In Deutschland werden mittlerweile bis zu 60 Prozent dieser so genannten Oropharynxkarzinome durch eine Infektion mit dem humanen Papillomvirus (HPV) Typ 16 verursacht. Einer der Gründe für die Zunahme der HPV-bedingten Tumoren im Mundrachenraum wird im veränderten Sexualverhalten vermutet: „Die Anzahl oraler Sexpartner, die ein Mensch im Leben hat, ist seit den 1970er Jahren gestiegen und somit auch das Risiko einer Ansteckung mit dem Virus“, sagt Tim Waterboer, Leiter der Arbeitsgruppe Infektionen und Krebs-Epidemiologie am Deutschen Krebsforschungszentrum. Er und ein internationales Forscherteam haben nun einen neuen Bluttest entwickelt, der Antikörper gegen Bestandteile des Erregers nachweist. Wie die Wissenschaftler in einem Artikel im Journal of the National Cancer Institute mitteilen, erkennt der Test frühzeitig Personen, die Gefahr laufen, an einem HPV-bedingten Oropharynxkarzinom zu erkranken. Auf eine Infektion mit HPV16 reagiert das menschliche Immunsystem mit der Produktion von Antikörpern gegen das Virusprotein E6. Dieses wird von den infizierten Zellen produziert und zwingt sie, sich immer weiter zu vermehren.
Patienten, bei denen ein HPV-bedingtes Oropharynxkarzinom diagnostiziert wird, haben momentan eine 5-Jahres-Überlebensrate von 75 bis 80 Prozent. Das unterscheidet sie von Patienten, bei denen der Krebs im Mundrachenraum durch Schadstoffe wie Alkohol oder Tabak ausgelöst wurde und die eine 5-Jahres-Überlebensrate von nur 45 bis 50 Prozent aufweisen. „Auf molekularer Ebene verursachen Alkohol und Tabak andere genetische Veränderungen, so dass man eigentlich von zwei unterschiedlichen Tumorarten sprechen sollte“ sagt Waterboer. In der aktuellen Untersuchung konnten er und seine Kollegen auf Blutproben der US-amerikanischen PLCO-Studie zugreifen. In diese Krebs-Früherkennungsstudie wurden zwischen 1993 und 2001 rund 150.000 gesunde Teilnehmer aufgenommen und deren im Untersuchungszeitraum auftretende Krebserkrankungen dokumentiert. Dem Team um Waterboer standen anfangs Blutproben von 198 Patienten mit Kopf- und Halstumoren, darunter 52 mit einem Oropharynxkarzinom, zur Verfügung. Die Proben waren beim Studieneintritt der Teilnehmer genommen worden – also lange vor dem Ausbruch der Krebserkrankung. Die Kontrollproben stammten von 924 PLCO-Teilnehmern ohne Krebsdiagnose. Die Forscher konnten bei 42,3 Prozent der 52 Oropharynxkarzinom-Patienten Antikörper gegen E6 in deren Blutproben nachweisen. „Das entspricht ziemlich genau dem Anteil HPV-bedingter Fälle unter den Oropharynxkarzinomen, den wir für den damaligen Zeitpunkt in der amerikanischen Bevölkerung erwartet hatten“, so Waterboer. Dagegen fiel der Test bei nur 0,5 Prozent der Personen aus der Kontrollgruppe positiv aus.
In einem zweiten Schritt bekamen er und seine Kollegen weitere Blutproben, die den Oropharynxkarzinom-Patienten im Rahmen der PLCO-Studie im jährlichen Rhythmus entnommen worden waren. Überraschenderweise stellte Waterboers Team fest, dass mit einer Ausnahme bei all diesen Patienten die Antikörper gegen E6 schon bei Eintritt in der Studie nachweisbar waren. „Wir hatten ursprünglich damit gerechnet, dass die Antikörper erst kurz vor der Krebsdiagnose im Blut der Patienten auftauchen und nicht schon viele Jahre vorher“, berichtet Waterboer. „Denn bei HPV-bedingtem Gebärmutterhalskrebs findet man im Blut der Patientinnen die Antikörper erst, wenn der Krebs die Basalmembran ins gesunde Gewebe durchbrochen hat und für das Immunsystem sichtbar wird. Der Zungengrund und die Gaumenmandeln, wo HPV-bedingte Oropharynxkarzinome hauptsächlich entstehen, sind dagegen lymphatisches Gewebe und haben die Aufgabe, Erreger einzusammeln und dem Immunsystem zu präsentieren.“ Vermutlich, so Waterboer, werde das Immunsystem schon in einem frühen Vorläufer-Stadium des Oropharynxkarzinoms auf Bestandteile des Virus aufmerksam und reagiere mit der Bildung von Antikörpern darauf. Um sicher zu gehen, dass bei positivem Antikörper-Nachweis der Krebs tatsächlich durch HPV16 verursacht worden waren, untersuchten die Forscher von einigen der Oropharynxkarzinom-Patienten auch die Aktivität von Virusgenen in deren Tumorgewebe. Es zeigte sich, dass der Antikörper-Nachweis ausschließlich bei solchen Patienten positiv ausfiel, deren Krebs tatsächlich mit dem Virus im Zusammenhang stand.
In einer weiteren Studie mit 120 Oropharynxkarzinom-Patienten untersuchten Waterboer und seine Kollegen, wie spezifisch und sensitiv der Antikörper-Test gegen das HPV16-Protein E6 ist. Wie die Forscher in einem Artikel im International Journal of Cancer mitteilten, verursachte das Virus bei 66 der Patienten die Krankheit, da sich in deren Tumorgewebe aktive Virusgene nachweisen ließen. Der Antikörper-Test war in 63 von 66 der HPV-bedingten Tumoren und in einem der aus anderen Gründen verursachten Tumoren positiv. Aus diesen Ergebnissen resultieren eine Sensitivität von 95 Prozent und eine Spezifizität von 98 Prozent. Der Nachweis von Antikörpern gegen das HPV16-Protein E6 ist dennoch nicht als Methode zur Krebsfrüherkennung in größeren Bevölkerungsgruppen geeignet. Die Antikörper gegen E6 findet man zwar bei rund 0,5 Prozent der Bevölkerung, also bei einer von 200 Personen. Die Neuerkrankungsrate von Oropharynxkarzinomen ist dagegen mit etwa 3 Fällen pro 100.000 Personen und Jahr in Deutschland eher niedrig: „Das bedeutet, dass bei einem Massen-Screening aufgrund der hohen Empfindlichkeit des Tests sehr viele Menschen ein positives Testergebnis erhalten würden, obwohl nur wenige von ihnen an einem Oropharynxkarzinom erkranken würden“, sagt Waterboer. „In unserer Studie betrug der positive Vorhersagewert sechs Prozent über zehn Jahre, das heißt positiv getestete Personen haben ein Risiko von sechs Prozent innerhalb der nächsten zehn Jahre zu erkranken. Das wäre ein schlechtes Screening, bei dem man 94 von 100 Personen unnötig verunsichern würde.“ Auch, so der Forscher, könne man außer Abwarten nicht viel machen, denn noch ließen sich mögliche Vorläuferstadien der Krebserkrankung mit den heute gängigen Diagnosemöglichkeiten nicht entdecken. Die präventive Entfernung der Mandeln sei keine echte Lösung, da das Risiko von schweren Nebenwirkungen relativ hoch sei, außerdem könne der Tumor auch im Zungengrund entstehen.
Nach Ansicht von Waterboer könnte der Antikörper-Test allerdings bei Hochrisikogruppen wie zum Beispiel bei homosexuellen Männern eine Rolle spielen: „In bestimmten Hochrisikogruppen erkranken bis zu zehn Mal mehr Menschen an einem Oropharynxkarzinom. Mit Nachweis der Antikörper gegen E6 steht erstmals ein leicht zu analysierender Biomarker zur Verfügung, mit dem sich der Kreis der besonders krebsgefährdeten Personen leicht einengen lassen könnte.“ Eine Möglichkeit, die Anzahl der HPV-bedingten Oropharynxkarzinome vor allem bei Männern dauerhaft zu senken, wäre eine frühzeitige Schutzimpfung – wie sie heute schon bei Mädchen empfohlen wird – auch bei Jungen: „Die Ständige Impfkommission berät momentan darüber, tut sich aber sehr schwer mit einer entsprechenden Empfehlung“, berichtet Waterboer. In den USA rät die Gesundheitsbehörde CDC seit kurzem, alle Jungen im Alter von 11 oder 12 Jahren zu impfen. Andere Experten halten die Ergebnisse der Heidelberger Forscher aus wissenschaftlicher Hinsicht für sehr interessant: „Sie sind ein wichtiger Schritt nach vorne, um HPV-bedingte Oropharynxkarzinome besser zu verstehen, aber momentan hat ein Antikörper-Test gegen E6 noch keine klinische Relevanz“, sagt Jens-Peter Klußmann, Direktor der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf-Halschirurgie und plastische Operationen des Universitätsklinikums Gießen. „Für Risikogruppen könnte dieser Test sinnvoll sein, aber zunächst müsste man noch genau definieren, welche Personen ein besonders hohes Risiko haben, an HPV-bedingten Oropharynxkarzinomen zu erkranken.“ Nach Ansicht von Klußmann könnte der Antikörper-Test für eine größere Bevölkerungsgruppe dann interessant werden, wenn man ihn mit einem genetischer Marker kombinieren würde, der ein hohes Erkrankungsrisiko für diese Krebsart anzeigt. Leider, so der Mediziner, seien solche Marker noch nicht bekannt.
Klußmann plädiert für weitere Grundlagenforschung, da auch noch nicht klar ist, ob Vorläuferstadien, ähnlich wie die beim Gebärmutterhalskrebs, überhaupt existieren und wie diese denn aussehen würden: „Wir vermuten, dass einzelne Zellen in den Krypten der Mandeln dauerhaft infiziert sind und sich irgendwann zu einem Tumor entwickeln, der sich dann wahrscheinlich rasch ausbreitet.“ Viele Patienten mit einem HPV-bedingten Oropharynxkarzinom, so Klußmann, hätten nur einen kleinen primären Tumor, aber schon einen Befall der Halslymphknoten, wenn sie erstmals einen HNO-Arzt aufsuchten. Deswegen empfiehlt er, Symptome wie Knoten am Hals und Schluckbeschwerden, die länger als ein bis zwei Wochen anhalten, so schnell wie möglich abzuklären.