Eine Internetapotheke löst mit einer Rabattaktion einen Shitstorm aus. Diese Aktion sendet ein völlig falsches Signal an Kunden, finden Kritiker – und verstoße gegen das Heilmittelwerbegesetz. Was ist passiert?
Die Apotheken vor Ort kämpfen derzeit mit wirtschaftlichen Herausforderungen und die meisten von ihnen hatten auch zu Weihnachten nichts zu verschenken. Daher sorgte die Nikolaus-Aktion von gesund.de für Aufsehen, als am 6. und 7. Dezember im sogenannten Flash Sale mit dem Code „Nikolaus“ ganze 12 Euro bei einer Bestellung ab einem Mindestbestellwert von nur 13 Euro verschenkt wurden. Diese Aktion stieß auf breite Kritik, nicht nur von denen, die darin ein falsches Signal sehen, sondern auch von der Konkurrenz von „IhreApotheken“.
Auch der ein- oder andere Apothekeninhaber hielt die Bestellungen der Kunden zuerst für einen Fake und löschte sie zunächst. Das lag daran, dass in so manchem Betrieb im vorweihnachtlichen Trubel die Ankündigungsmail von gesund.de untergegangen war. Es klingt auch wirklich etwas seltsam, wenn jemand für etwas über 13 Euro Medikamente einkauft und dann nur knapp über 1 Euro dafür bezahlt.
Für diejenigen, die nicht wissen, was sich hinter gesund.de verbirgt: die Plattform wurde im Jahr 2021 durch einen Zusammenschluss des Dienstleistungskonzerns für Apotheken Noventi und des Pharmagroßhändlers Phoenix gegründet. Die Intention hinter der Gründung war es, die Apotheke vor Ort zu stärken, indem man eine benutzerfreundliche Plattform schafft, die es den Nutzern ermöglicht, leicht verständliche Informationen zu verschiedenen Gesundheitsthemen zu finden. Die Menschen sollten so überall in Deutschland mit ihren Leistungserbringern vor Ort verbunden werden, indem sie die dort beworbenen Medikamente über die Plattform bestellen und die Bestellungen von Apotheken vor Ort entgegengenommen und beliefert werden. Auch E-Rezepte mit Ausdruck können über die Plattform zur Einlösung digitalisiert und an eine Apotheke vor Ort übermittelt werden.
Wie klug war diese extreme Rabattaktion wirklich? Für gesund.de war die 12-Euro-Aktion erst einmal ein Erfolg, da sie dadurch eine Zeitlang auf Platz 1 im App Store im Bereich Medizin listete und auf Platz 3 in den gesamtdeutschen App-Store-Charts landete – Aufmerksamkeit hat sie jedenfalls erhalten (hier und hier). Dass diese nicht nur positiver Natur war, zeigte sich kurze Zeit später, da die Konkurrenzplattform von IhreApotheken gesund.de direkt durch die Kanzlei Friedrich Graf von Westfalen wegen unzulässiger Werbemaßnahmen abmahnen ließ und bis zum 15. Dezember eine Unterlassungserklärung einforderte. Der in Apothekenkreisen bekannte Rechtsanwalt Morton Douglas, Spezialist für Marken- und Designschutz sowie Arzneimittelrecht, sah hier klar einen Verstoß gegen § 7 Abs. 1 Heilmittelwerbegesetz sowie § 3 Abs. 2 Wettbewerbsgesetz.
Das Heilmittelwerbegesetz wurde eingeführt, um die Verbraucher vor irreführender oder falscher Werbung für Arzneimittel und medizinische Produkte zu schützen. Es soll nicht nur sicherstellen, dass die beworbenen Produkte sicher und wirksam sind und dass die Informationen, die den Verbrauchern gegeben werden, korrekt und verständlich sind. Das Gesetz regelt auch die Art und Weise, wie Arzneimittel beworben werden dürfen, um sicherzustellen, dass die Werbung ethisch und verantwortungsvoll ist. Hohe Rabatte können dazu führen, dass Patienten dazu ermutigt werden, bestimmte Medikamente zu kaufen, auch wenn diese möglicherweise nicht die beste Option für ihre Gesundheit sind. Patienten könnten dazu verleitet werden, unnötige oder übermäßige Mengen an Medikamenten zu kaufen, was gesundheitliche Risiken mit sich bringen kann. Dies kann in der Folge zu einem Missbrauch von Arzneimitteln führen.
Gesund.de wurde also abgemahnt, weil die Nikolaus- Rabattaktion Verbraucher dazu verleitet haben soll, unter Zeitdruck – die Aktion lief schließlich nur zwei Tage lang – und dadurch vermutlich auch ohne angemessene Prüfung des Bedarfs, Arzneimittel zu erwerben, um von dem großzügigen wirtschaftlichen Vorteil der 12 Euro zu profitieren. Untermauert wurde das Argument von Erfahrungen und Kommentaren von Nutzern der Rabattplattform „Mydealz“, die darauf hindeuten, dass Verbraucher ohne angemessene Überlegung und in großer Menge Arzneimittel bezogen haben. Die Kanzlei argumentiert, dass die Arzneimittel damit praktisch verschenkt wurden. Dazu trug auch der Zusammenhang mit dem Nikolaus-Tag bei, an dem ja bekanntlich Geschenke verteilt werden.
Bei der Abmahnung berief sich Douglas zudem auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, das einer litauischen Apothekenkette eine ähnliche aggressive Werbung untersagte. Er wies darauf hin, dass die kostenlose Abgabe von Arzneimitteln generell unzulässig ist, selbst wenn ein symbolischer Betrag von 1 Euro vom Verbraucher zu zahlen ist, was er als „Feigenblatt“ bezeichnete. Die teilnehmenden Apotheken sollen außerdem, beeinflusst durch die Werbeaktion von Gesund.de, gegen ihre Berufsordnungen verstoßen haben, da sie dadurch dazu gedrängt wurden, mehr Arzneimittel abzugeben als notwendig.
Auch unter den Pharmazeuten werden solche Gutschein- und Rabattaktionen nicht immer gutgeheißen. Die meisten von ihnen können den Argumenten der abmahnenden Kanzlei durchaus beipflichten und haben in der Vergangenheit ebenso argumentiert, um gegen Rabattaktionen von Online-Anbietern vorzugehen. Arzneimittel zu bagatellisieren, untergräbt das Credo der Apotheken vor Ort, dass sie besser beraten und nicht zu unnötigen Einkäufen animieren.
Zudem sieht es bei Rabatten in dieser exorbitanten Höhe doch für die Verbraucher so aus, als hätten die Apotheken es derzeit so dicke, dass sie sogar anfangen können, Medikamente zu verschenken. Den Menschen, die dort einkaufen, ist es nicht bewusst, dass die Kosten dieser Gutscheinaktion von gesund.de selbst oder von der pharmazeutischen Industrie getragen werden, wie auch die Deutsche Apothekerzeitung versicherte. In ihrem Verständnis werden die Medikamente bei der Apotheke bestellt und bezahlt, von der sie die Einkäufe auch erhalten, was gerade zum jetzigen Zeitpunkt ein fatales Signal ist. Die Apotheken vor Ort kämpfen derzeit für eine angemessene Entlohnung und zeigen bei Demonstrationen, dass viele von ihnen finanziell vor dem Abgrund stehen – und verschenken dann Medikamente? Das passt nicht wirklich zusammen.
Gesund.de hat die Unterlassungserklärung fristgerecht abgegeben, die Apothekerschaft ist zu großen Teilen trotzdem entsetzt über eine solche Aktion in prekären Zeiten. Ob es sich also wirklich gelohnt hat, für ein kurzfristiges Ranking im Olymp der App-Platzierung so viel Kritik zu ernten? Ich fürchte nein.
Bildquelle: Nastya Dulhiier, Unsplash