Heimversorgende Apotheken setzen verstärkt auf patientenindividuelle Zweit- oder Neuverblisterungen. Ärzte und Apotheker kritisieren die Einschränkungen in der Therapiefreiheit sowie bei der Arzneimittelsicherheit. Verbände holen zum Gegenschlag aus.
Im Kammerbezirk Thüringen – und nicht nur dort – gewinnen Zweit- beziehungsweise Neuverblisterungen seit Jahren stark an Bedeutung. Für Apotheker und Ärzte Grund genug, über mögliche Folgen nachzudenken. Mit ihrem jetzt veröffentlichten Positionspapier holen sie zum Rundumschlag aus.
Alles beginnt bei kurzfristig erforderlichen Anpassungen der Medikation. Dr. Mathias Wesser, Präsident der Landesärztekammer Thüringen, stellt das Spannungsverhältnis aus medizinischer Sicht dar: „Wir Ärzte sind dem Wohl und der Sicherheit unserer Patienten verpflichtet und müssen gleichzeitig wirtschaftlich verantwortlich handeln.“ Für ihn ist die Verzögerung notwendiger Therapien undenkbar. Bleibt als Option, Blister zu verwerfen und neu herzustellen, was dem Wirtschaftlichkeitsgebot widerspricht. Herausgeber der Resolution halten sogar Regressforderungen beziehungsweise Prüfanträge gegenüber Medizinern für denkbar. Ökonomie oder Therapie? „Werden die Arzneimittel eines Patienten neu verblistert, meist für ein bis zwei Wochen im Voraus, kann der behandelnde Arzt genau in diese Zwickmühle geraten“, so Wesser.
Der Präsident der Landesapothekerkammer Thüringen, Ronald Schreiber, kritisiert mögliche Einschränkungen bei der optimalen Medikation. Zum Hintergrund: Meistens werden Kapseln oder Tabletten verblistert. „Andere Arzneiformen, die für viele Patienten leichter anzuwenden sind, also zum Beispiel ein Saft oder Zäpfchen bei Patienten mit Schluckbeschwerden, sind dagegen nicht geeignet“, gibt Schreiber zu bedenken. Er befürchtet, industrielle Anbieter würden besser geeignete Darreichungsformen austauschen, weil sie sich nicht verblistern lassen. Geteilte Tabletten sind hier ebenfalls zu nennen. Sie dürfen laut Apothekenbetriebsordnung, Paragraph 34, grundsätzlich nicht dispensiert werden. Apotheker haben über ihr QMS festzulegen, „in welchen Ausnahmefällen einer schriftlichen ärztlichen Anforderung über eine vor dem Stellen oder Verblistern vorzunehmende Teilung von Tabletten (…) gegebenenfalls gefolgt werden kann, obwohl das nachträgliche Verändern des Fertigarzneimittels grundsätzlich verhindert werden sollte“. Streng genommen liegen Informationen zur Stabilität nach Teilungen für wenige Präparate vor.
Entsprechende Bedenken gehen aber noch viel weiter. Während die Verantwortlichen in Deutschland auf mehr Sicherheit durch securPharm setzen, fürchten Thüringens Ärzte und Apotheker einen gegenläufigen Trend: Strichcodes lassen sich nicht einfach übertragen, und die lückenlose Nachverfolgung verwendeter Gebinde scheitert. Darüber hinaus führen heimversorgende Apotheker beim industriellen Verblistern auch keine Sichtkontrollen von Umverpackungen durch. Hinzu kommen pharmazeutische Bedenken, da viele Heilberufler klinisch relevante Cross-Kontaminationen im Beutelchen für möglich halten. Derzeit lägen keine Untersuchungen im notwendigen Maßstab vor, heißt es weiter.
Befürworter argumentieren, Patienten würden keine Anwendung vergessen. Gilt dies auch für Heime? „Es zeichnet Pflegeeinrichtungen ja gerade aus, dass sich geschultes Personal um die Einhaltung der Therapie kümmert“, so Dr. Annette Rommel, erste Vorsitzende des Vorstandes der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen. Allerdings könnten Pflegekräfte lose Tabletten keinem bestimmten Arzneimittel mehr zuordnen. Fragen oder Einnahmevorbehalte von Patienten bleiben damit offene Baustellen.
Auf diesen globalen Rundumschlag hin hat sich der Bundesverband Patientenindividueller Arzneimittelverblisterer (BPAV) zu Wort gemeldet. Laut Verbandsangaben belegen wissenschaftliche Untersuchungen den Nutzen von Verblisterungen – hinsichtlich der Arzneimittelsicherheit, der Compliance sowie der ärztlichen Therapiefreiheit. „Wer diese Studien ignoriert, ignoriert auch die akademische Diskussion dazu und das ist schade“, sagt BPAV-Chef Hans-Werner Holdermann. Und an die Adresse von Apothekern gerichtet, heißt es weiter: „Wer den einzigen GMP-konform validierten Teilprozess in der Arzneimitteltherapie angreift, nämlich das patientenindividuelle Verblistern, verringert somit die Qualität des Gesamtprozesses.“ Holdermann selbst fände es schön, „wenn andere Prozessbeteiligte schon so weit wären wie die Blisterunternehmen“. Sein Verband informiert weiter, dass das (Her-)Stellen von Arzneimitteln in Heimen seit 2009 unter die Erlaubnispflichten laut Arzneimittelgesetz (AMG), Paragraph 13 falle. Eine umfassendes Statement soll in Kürze veröffentlicht werden.