Anticraving-Medikamente können das Rückfallrisiko bei Alkoholabhängigkeit effektiv senken. Eine zusätzliche kognitive Verhaltenstherapie (CBT) verstärkt diesen Effekt, wie eine aktuelle Studie der Universität Freiburg belegt.
Erst seit wenigen Jahren erhalten alkoholabhängige Patienten evidenzbasierte Psychotherapien, deren Kosten auch von den Krankenkassen getragen werden. Dennoch werden viele Patienten bereits am Telefon von ambulanten Therapeuten abgewiesen. Dank aktueller Studien findet langsam ein Umdenken statt. Die Ergebnisse der PREDICT-Studie von Michael Berner und Kollegen von der Universität Freiburg belegen, dass eine kognitive Verhaltenstherapie (CBT) in Ergänzung zu Medikamenten das Rückfallrisiko drastisch senkt. Entscheidend ist dabei, dass die Patienten motiviert sind, eine Psychotherapie zu beginnen. An der Studie nahmen 109 alkoholabhängige Patienten teil, die unter der Therapie mit Anticraving-Medikamenten oder Placebo einen schweren Rückfall erlitten hatten. Sie wurden auf zwei Gruppen randomisiert: 55 Patienten erhielten Anticraving-Medikamente und eine medizinische Standardbehandlung. Die übrigen 54 Patienten sollten zusätzlich zu den Medikamenten eine Verhaltenstherapie erhalten. Von ihnen traten jedoch nur 33 Patienten die Psychotherapie an.
Es zeigte sich, dass die Patienten, die medikamentös und verhaltenstherapeutisch behandelt wurden, ein signifikant geringeres Risiko für einen Rückfall hatten als die Patienten, die ausschließlich Medikamente erhielten. Entscheidend für den Therapie-Erfolg sei unter anderem die individuelle Anpassung der Therapie, so Berner. Es sei wichtig, die Patienten frühzeitig über die Möglichkeiten der Psychotherapie aufzuklären und die Alkoholabhängigkeit auch als psychische Störung anzusehen. Die PREDICT-Studie wurde gemeinsam von den Universitäten Freiburg, Tübingen und Mannheim durchgeführt.
Auch eine aktuelle Meta-Analyse von Heleen Riper et al. (Universität Amsterdam) konnte die positiven Effekte einer CBT bei Alkoholabhängigkeit und komorbider Depression nachweisen. Die Studienergebnisse mit den Daten von 1721 Patienten zeigen einen kleinen, aber klinisch signifikanten Effekt von Verhaltenstherapie und Motivational Interviewing (MI) auf den Therapieerfolg bei Alkoholabhängigkeit. Auch psychoanalytische Therapien werden bei Alkoholabhängigkeit durchgeführt. Galt die Psychoanalyse in den Anfängen eher noch als "kalt" und nüchtern, so hat sie sich durch die Erkenntnisse der Selbstpsychologie, der Objektbeziehungs- und Bindungstheorie weiterentwickelt (Khantzian, 2014). Längst ist der Analytiker nicht mehr ein weißes Blatt hinter der Couch, sondern durchaus zugewandt und empathisch. Psychoanalytiker betrachten die Alkoholabhängigkeit als Selbstregulationsstörung: Sowohl die Emotionsregulation als auch die Beziehungen sind gestört. E.J. Khantzian (Harvard Medical School, USA) hat unter diesem Aspekt die Arbeit der Anonymen Alkoholiker untersucht.
Der Philosoph und Kriminologe Abdullah Cihan (East Carolina University, USA) betont, dass die Alkoholabhängigkeit besonders aus Sicht der Bindungstheorie betrachtet werden sollte. Die Alkoholabhängigkeit sei ein Symptom verschiedener zugrundeliegender Probleme und keine Krankheit, die für sich stehe. Zwar habe die Alkoholsucht starke körperliche Erscheinungen: Das Verlangen nach Alkohol könne so stark sein wie das Verlangen nach Nahrung oder Wasser. Auch betone das US-amerikanische "National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism" (NIAAA), dass die Alkoholsucht abhängig sei von den Genen und vom Lebensstil. Unter anderem wird die Alkoholsucht als eine Stoffwechselstörung des Gehirns betrachtet. Was bei diesen Sichtweisen leicht übersehen werde, so Cihan, dass die frühe Bindung zu Mutter und Vater (und anderen engen Bezugspersonen) die Hirnstrukturen beeinflussen kann. Kinder, die eine sichere Bindung erleben, lernen besonders über die Bindung zur Mutter ihre Emotionen und Affekte zu regulieren. Eine sichere Bindung führt sowohl bei der Mutter als auch beim Kind zu Zufriedenheit und Glücksgefühlen. Die Mutter-Kind-Beziehung beeinflusse wechselseitig die neurochemischen Prozesse des Gehirns, so Cihan. Kinder, die keine sichere Bindung erlebt haben, spüren diesen Mangel. In spannungsgeladenen Situationen gelingt es ihnen nicht, ihre Emotionen zu regulieren. Diesen Menschen fehle es sozusagen an den guten Gefühlen, die Menschen mit sicheren Bindungen erlebt haben, erwarten und wiederherstellen können. Diese Lücke werde dann durch Alkohol aufgefüllt. Der Alkohol sorgt zum Beispiel für die Beruhigung, die sich Menschen mit unsicheren Bindungen nur schwer auf andere Weise zuführen können.
In einer intensiven Psychotherapie kann jedoch auch im Nachhinein noch eine sichere Bindung erlebt werden. Der Therapeut, der präsent ist, eine sichere Umgebung bietet und mit dem Patienten zusammen die Gefühle und Affekte erforscht, sei deswegen so effektiv, weil er die Rolle der ursprünglich primären Bezugsperson einnehme, so Cihan. Studien der Psychotherapieforschung haben gezeigt, dass allein die Beziehung zum Psychotherapeuten ein heilsamer Wirkfaktor ist (Cihan, 2014).