Übergewicht als Risikofaktor für Darmkrebs ist bekannt. Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen: GLP-1-Agonisten können dieses Risiko erheblich senken – und das deutlich besser als die etablierten Mitbewerber.
In Europa haben Übergewicht und Fettleibigkeit epidemische Ausmaße angenommen. Die Prävalenz bei Männern (63 %) ist dabei höher als bei Frauen (54 %). GLP-1-Agonisten (GLP-1RA), die zur Behandlung von Typ-2-Diabetes eingesetzt werden, haben sich in verschiedenen Studien nun auch als wirksam bei der Förderung der Gewichtsabnahme erwiesen. Da Übergewicht/Fettleibigkeit ein Hauptrisikofaktor für Darmkrebs ist, liegt die Annahme nahe, dass GLP-1RAs mit einem geringeren Risiko für kolorektale Karzinome assoziiert sein könnten als andere Antidiabetika.
Um mehr Klarheit zu schaffen, hat eine Arbeitsgruppe der Case Western Reserve University School of Medicine in Cleveland, Ohio, die elektronischen Gesundheitsdaten von 101 Millionen Patienten untersucht. Es fanden sich darin 7,4 Millionen Patienten mit Typ-2-Diabetes, davon 1,2 Millionen mit medikamentöser Neueinstellung zwischen 2005 und 2019. Die dabei verwendete Analyseplattform TriNetX, ein internationales „Real World Data“-Netzwerk mit elektronischen Gesundheitsdaten von über 250 Millionen Patienten aus 19 Ländern, erlaubte ein Matching nach demographischen und sozio-ökonomischen Faktoren, Vordiagnosen, Krebs- und Polypen-Anamnese, Lifestyle und kolonoskopischen Voruntersuchungen. Primäres Zielkriterium war eine erste Diagnose eines Kolonkarzinoms innerhalb der ersten 15 Jahre nach Verschreibung eines GLP-1-Agonisten, beziehungsweise einer nicht GLP-1RA antidiabetischen Medikation.
GLP-1RAs waren mit einem signifikant niedrigeren Risiko für Kolonkarzinome assoziiert, verglichen mit Insulin (HR, 0,56; 95 % KI, 0,44–0,72), Metformin (HR, 0,75; 95 % KI, 0,58–0,97), SGLT-2-Inhibitoren, Sulfonylharnstoff, und Glitazonen, und mit niedrigerem aber nicht statistisch signifikantem Risiko verglichen mit Alpha-Glucosidase oder DPP-4-Inhibitoren, und zwar unabhängig vom Vorliegen eines Übergewichts. Dies suggeriert einen möglichen protektiven Effekt durch andere, unbekannte Mechanismen über die Gewichtsabnahme hinaus.
Zwar müssen dieser Analyse die Limitationen einer retrospektiven Beobachtungsstudie zugestanden werden, doch erlauben die hohen Fallzahlen den Rückschluss einer protektiven, zumindest nicht schädlichen Wirkung der GLP-1-Agonisten hinsichtlich des späteren Auftretens eines Kolonkarzinoms.
Zudem zeigt diese Untersuchung wie hilfreich elektronische Gesundheitsdaten in einem großen Netzwerkverbund sein können, um – verbunden mit einer leistungsfähigen Analyseplattform – schnell und kostengünstig epidemiologische Fragestellungen zu beantworten.
Als nächsten Schritt zur Abklärung der Nutzen-Risiko-Relation bei den GLP-1-Agonisten ist nun eine Abklärung der vermeintlichen Suizidalität nötig, die derzeit in der EMA durchgeführt wird und im April 2024 erneut auf der Tagesordnung des Pharmacovigilance Risk Assessment Committee (PRAC) steht. Eine ähnliche Untersuchung mithilfe elektronischer Gesundheitsdaten (Real World Evidence, RWE) könnte hierzu sehr hilfreich sein.
Popoviciu et al. Emerging Role of GLP-1 Agonists in Obesity: A Comprehensive Review of Randomised Controlled Trials. Int J Mol Sci, 2023. doi: 10.3390/ijms241310449.
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Safizadeh et al. The underestimated impact of excess body weight on colorectal cancer risk: Evidence from the UK Biobank cohort. Br J Cancer, 2023. doi: 10.1038/s41416-023-02351-6
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