Ruxolitinib ist seit August 2012 zur Behandlung von Erwachsenen mit Myelofibrose zugelassen. Laut IQWiG soll dieser neue Wirkstoff im Vergleich zu der festgelegten Vergleichstherapie einen Zusatznutzen haben, da er die Symptome besser lindern würde.
Die Myelofibrose ist eine seltene Erkrankung des Knochenmarks, bei der das Knochenmark durch Bindegewebe verdrängt wird. Die Folge dieser sogenannten Fibrose ist, dass das Knochenmark nicht mehr genügend Blutzellen produzieren kann. Dadurch kann sich die Blutbildung zum Teil in die Milz oder die Leber verlagern. Die Organe vergrößern sich dann und können Bauchbeschwerden und -schmerzen auslösen. Zu den typischen Symptomen gehören auch Völlegefühl, Nachtschweiß und Juckreiz. Bei manchen Patientinnen und Patienten entsteht im Laufe der Myelofibrose eine Leukämie. Die Transplantation von Stammzellen ist bislang die einzige Möglichkeit, eine Myelofibrose zu heilen. Der Wirkstoff Ruxolitinib (Handelsname: Jakavi) soll die Beschwerden einer Myelofibrose lindern.
Infrage kommt Ruxolitinib für Patienten, die an einer primären oder sekundären Myelofibrose leiden und bei denen bereits die Milz vergrößert ist (Splenomegalie) beziehungsweise andere Symptome der Erkrankung aufgetreten sind. Als zweckmäßige Vergleichstherapie hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) „best supportive care“ (BSC) bestimmt. Darunter wird diejenige Therapie verstanden, die eine bestmögliche, patientenindividuell optimierte, unterstützende Behandlung zur Linderung von Symptomen und zur Verbesserung der Lebensqualität gewährleistet. Dazu zählt unter anderem eine angemessene Schmerztherapie.
In die Bewertung einbeziehen konnte das IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) eine randomisierte kontrollierte Studie (RCT), die in 89 Zentren in Australien, Kanada und den USA durchgeführt wurde (COMFORT I). Die insgesamt 309 Patientinnen und Patienten wurden entweder mit Ruxolitinib plus BSC oder mit Placebo plus BSC behandelt. Die erste Auswertung (Primäranalyse) fand 2010 statt, nachdem alle Patienten 24 Wochen und die Hälfte von ihnen 36 Wochen behandelt worden waren. Danach wurden alle Teilnehmer entblindet und konnten in den Ruxolitinib-Arm der Studie wechseln. Sofern ihr Milzvolumen um mehr als 25 % zugenommen hatte, konnten sie auch schon früher wechseln. Eine 3-Jahres-Auswertung erfolgte 2013. Um Langzeitdaten zu gewinnen, wurde die Studie allerdings bis 2015 verlängert.
In Hinblick auf die Überlebenszeit seien die Unterschiede zwischen den beiden Behandlungs-Gruppen nicht bei allen der insgesamt vier Auswertungszeitpunkte statistisch signifikant zugunsten von Ruxolitinib. Durch den sehr hohen Anteil an Therapiewechslern wird ein Überlebensvorteil von Ruxolitinib aber eher unterschätzt. Das IQWiG sieht in der Gesamtschau deshalb hier einen Anhaltspunkt für einen Zusatznutzen. Allerdings ist unklar, welches Ausmaß dieser Zusatznutzen hat.
Symptome wurden in der COMFORT-I-Studie mithilfe eines krankheitsspezifischen Fragebogens (MFSAF v2.0) erhoben. Dieses Instrument umfasst Symptome der Myelofibrose und aggregiert sie zu einem Wert (TSS Gesamtscore). In der Ruxolitinib+BSC-Gruppe gaben deutlich mehr Patienten an, dass sich ihre Beschwerden verbessert haben, als in der Placebo+BSC-Gruppe. Was das Auftreten von Leukämien (leukämische Transformation) betrifft, eine typische Folgekomplikation, gab es in der Studie keine Unterschiede zwischen den beiden Behandlungsgruppen.Das IQWiG sieht deshalb beim Endpunkt Morbidität einen Hinweis auf einen Zusatznutzen mit dem Ausmaß „beträchtlich“.
Zur Lebensqualität lägen im Dossier keine verwertbaren Daten vor. Zwar wurde diese in der Studie mithilfe eines für Krebserkrankungen entwickelten Instruments (EORTC QLQ-C30) erhoben. Allerdings blieben in den beiden Behandlungsgruppen unterschiedlich große Anteile von Teilnehmern in der Auswertung unberücksichtigt. Da die Differenz der fehlenden Werte über 20 Prozentpunkte beträgt, lassen sich aus den Ergebnissen keine verlässlichen Aussagen ableiten. Aus demselben Grund sind auch diejenigen Daten zur Symptomatik, die ebenfalls mit EORTC QLQ-C30 erhoben wurden, nicht verwertbar.
Zu Nebenwirkungen seien Aussagen nur eingeschränkt möglich. Das liegt vor allem daran, dass als „unerwünschte Ereignisse“ auch typische Symptome der Myelofibrose erhoben wurden, wie etwa nächtliche Schweißausbrüche. Das heißt, es bleibt unklar, ob es sich jeweils um eine Nebenwirkung des Medikaments oder um ein Symptom der Grunderkrankung handelt. Solche nicht klar zuzuordnenden Ereignisse lassen keine aussagekräftigen Rückschlüsse auf die Nebenwirkungen zu. Zwar sei auch ein größerer Schaden von Ruxolitinib nicht ganz auszuschließen. In den verfügbaren Daten gäbe es jedoch keine Anzeichen für einen Schaden in einer Größenordnung, die es rechtfertigen könnte, den Zusatznutzen insgesamt herabzustufen. Somit verbleiben die positiven Effekte in Hinblick auf die Linderung von Beschwerden (Hinweis) und auf die Lebensverlängerung (Anhaltspunkt). In der Gesamtschau sieht das IQWiG deshalb einen Hinweis auf einen beträchtlichen Zusatznutzen von Ruxolitinib im Vergleich zu BSC.
Ruxolitinib ist ein Arzneimittel mit dem Status „Orphan Drug“. Gemäß § 35a Abs. 1 Satz 10 SGB V gilt der medizinische Zusatznutzen für diese Wirkstoffe durch die Zulassung als belegt, solange ihr jährlicher Umsatz in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) 50 Millionen Euro nicht übersteigt. Der G-BA hat in diesem Fall nur das Ausmaß des Zusatznutzens zu bestimmen. Einen entsprechenden Beschluss zu Ruxolitinib hatte der G-BA im März 2013 gefällt. Ruxolitinib hat – als erstes Medikament für seltene Erkrankungen – die 50-Millionen-Euro-Schwelle 2013 überschritten. Der G-BA hat deshalb den Hersteller aufgefordert, in einem Dossier Nachweise zum Zusatznutzen von Ruxolitinib im Vergleich zur zweckmäßigen Vergleichstherapie vorzulegen, und mit deren Bewertung das IQWiG beauftragt.