Bei verdächtigen Schilddrüsenknoten lohnt es sich, einen Blick auf die Serum-Calcitoninspiegel zu werfen. Warum, lest ihr hier.
Das medulläre Schilddrüsenkarzinom (medullary thyroid cancer, MTC) macht zwar nur etwa 3 bis 8 % aller Schilddrüsenkarzinome aus. Verglichen mit den häufigeren, differenzierten Schilddrüsenkarzinomen ist die Therapie aber deutlich kniffliger, denn das MTC spricht nicht auf eine Radiojodtherapie an. Das liegt daran, dass medulläre Schilddrüsenkarzinome aus Calcitonin-produzierenden C-Zellen entstehen, die kein Jod aufnehmen – anders als Karzinome, die aus Schilddrüsenhormon-produzierenden Zellen hervorgehen. Eine frühzeitige Diagnose ist daher von großer Bedeutung. Aber wie gelingt sie?
Stellt sich ein Patient mit neu aufgetretenen, tastbaren Schilddrüsenknoten, einer schmerzlosen Schwellung der Halslymphknoten oder Heiserkeit und Schluckbeschwerden in der Praxis vor, können das Hinweise auf Schilddrüsenkrebs sein. Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) empfiehlt Ärzten in solchen Fällen, den Serum-Calcitoninspiegel – einen zuverlässigen Tumormarker für MTC – bei Patienten mitzubestimmen.
„Calcitonin als Marker ermöglicht nicht nur die rechtzeitige Erkennung, sondern auch die Verfolgung von Tumorzellen nach der Entfernung der Schilddrüse“, erklärt Prof. Matthias Kroiß, Leiter des Zentrums für Endokrine Tumore am LMU-Klinikum München. „Nach Empfehlung der Sektion Schilddrüse liegt bei Frauen ab 30 pg/ml, bei Männern ab 60 pg/ml Calcitonin mit ausreichend hoher Wahrscheinlichkeit ein MTC vor, um weitere Behandlungsschritte zu rechtfertigen“, so Kroiß. Eine Operation in den frühen Stadien könne dann zur vollständigen Heilung führen. „Calcitonin ist zusammen mit dem Ultraschall auch ein zuverlässiger Marker, um nach Entfernung der Schilddrüse und, wenn nötig, von Lymphknoten, das Verbleiben oder Wiederauftreten von Tumorzellen im Körper zu erkennen“, erklärt der Endokrinologe.
In fortgeschrittenen Stadien, in denen der Tumor bereits gestreut hat, können medikamentöse Therapien wie Tyrosinkinase-Inhibitoren oder der in Deutschland neu zugelassene RET-Inhibitor Selpercatinib eingesetzt werden. Eine RET-Mutation, die in vielen MTC-Fällen vorliegt, kann einen aggressiveren Verlauf begünstigen. Daher wird eine genetische Beratung für alle MTC- Patienten empfohlen, um mögliche erbliche Ursachen zu identifizieren.
Prof. Stephan Petersenn, Sprecher der DGE, sieht die aktuellen Entwicklungen als „exzellentes Beispiel für Präzisionsmedizin. Da es sich jedoch um eine seltene Erkrankung handelt und die Diagnostik und Therapie bei metastasiertem MTC komplex sind, sollten diese Patienten an spezialisierten Zentren mitbetreut werden“, empfiehlt er. Die Überlebensraten für MTC-Patienten über zehn Jahre liegen derzeit zwischen 61 und 81 Prozent, wobei moderne Therapieansätze die Aussichten weiter verbessern. Für frühe Erkrankungs-Stadien fanden Studien kein statistisch signifikant schlechteres Gesamtüberleben verglichen mit der Normalbevölkerung – was die Bedeutung der frühen Diagnose unterstreicht.
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