Die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs gleicht momentan einem Todesurteil – kaum ein Patient ist ein Jahr nach dem Befund noch am Leben. Wissenschaftler wollen die Erkrankung nun mit einem Bakteriengift bekämpfen. Erste Tierversuche sind vielversprechend.
In Deutschland erkranken jedes Jahr rund 17.400 Menschen an einem Pankreaskarzinom. „Bauchspeicheldrüsenkrebs gehört zu den problematischsten Tumorerkrankungen. Die Entwicklung besserer Diagnose- und Therapiemöglichkeiten ist daher wichtig, um die Überlebenschancen der Betroffenen zu verbessern“, so Gerd Nettekoven, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krebshilfe. Denn Bauchspeicheldrüsenkrebs wird oft erst spät bemerkt und nur wenige Patienten überleben die Diagnose länger als ein Jahr. Der Tumor breitet sich schnell aus, streut in andere Organe und ist gegenüber gängigen Therapien weitgehend unempfindlich.
Wissenschaftler einer Kooperation des Max Delbrück Centrums für Molekulare Medizin und dem Experimental and Clinical Research Center (ECRC) der Charité, Berlin arbeiten nun daran, eine Gentherapie gegen den Bauchspeicheldrüsenkrebs zu entwickeln. Ihr Ansatz beruht auf einem Bakteriengift, das im menschlichen Verdauungssystem zu Erbrechen und Durchfall führt. Es stammt aus dem Bakterium Clostridium perfringens und wird als Enterotoxin bezeichnet. Meist über verdorbene Fleischwaren gelangt es in den menschlichen Verdauungstrakt. Dort erkennt das Enterotoxin zwei Moleküle auf der Oberfläche von Zellen der Darmschleimhaut - Claudin-3 und Claudin-4. An diese Moleküle heftet sich das Toxin und beginnt damit, die Zellhülle zu durchlöchern - die schwer beschädigte Zelle stirbt ab.
Diesen Effekt wollen Wissenschaftler nun nutzen, um den Bauchspeicheldrüsenkrebs besser therapieren zu können. Denn auch Tumorzellen der Bauchspeicheldrüsen bilden auf ihrer Oberfläche große Mengen von Claudin-3 und Claudin-4. „Somit sind diese Krebszellen ein perfektes Ziel für das Enterotoxin. Es erkennt die Claudine auf den Tumorzellen und greift an“, erläutert der Studienleiter Prof. Dr. Wolfgang Walther vom Max-Delbrück- Centrum in Berlin. „Genau wie Darmschleimhautzellen bei einer Lebensmittelvergiftung werden die Tumorzellen perforiert und zerstört.“
Aus Versuchen mit dem rekombinanten Enterotoxin ist bekannt, dass ein Kontakt von Minuten bis wenigen Stunden mit den Tumorzellen ausreicht, um die entarteten Zellen absterben zu lassen. Wird jedoch das Enterotoxin direkt in den Tumor gespritzt, gibt es folgendes Problem: „Sie müssen das Toxin in relativ hoher Dosierung wiederholt direkt in den Tumor injizieren, da das Protein nur eine geringe Halbwertzeit hat“, so Prof. Walther. Und hier kommt die Gentherapie ins Spiel. Indem die Wissenschaftler nicht das Toxin selbst, sondern lediglich seinen genetischen Bauplan (Genvektor) in den Tumor einschleusen, wird das Toxin dort immer wieder neu hergestellt. Es wirkt dadurch länger und effektiver. „Für gesunde Zellen der Bauchspeicheldrüse ist das ungefährlich, da diese kein Claudin-3 oder Claudin-4 auf ihrer Oberfläche ausbilden.“
Eine nadellose Hochdruckspritze sorgt dafür, dass sich die Flüssigkeit mit dem Genvektor gut im Gewebe des Tumors verteilt. „Das ist wichtig, weil das Tumorgewebe einen hohen Gewebsinnendruck aufweist“, erklärt Walther. Bei einer Nadelinjektion würde ein erheblicher Teil der Flüssigkeit aus der Injektionsstelle wieder herauslaufen. „Versuche unserer Arbeitsgruppen haben gezeigt, dass der injizierte Enterotoxin produzierende Vektor auch weitgehend im Tumorgewebe verbleibt“, so Walther. Selbst wenn dem nicht so wäre, würden gesunde Körperzellen wohl kaum Schaden von der Therapie nehmen. Denn dort sind Claudine vor allem an den Zellkontakten beteiligt und bieten keine Andockstellen für das Enterotoxin.
Derzeit überprüfen die Wissenschaftler ihre Theorie an Patienten-abgeleiteten Tumormodellen in Mäusen. Dazu werden Patienten Tumorzellen entnommen, die dann in den Mäusen weiterwachsen. „Anders als bei Zelllinien, die sehr homogen sind, spiegeln diese Tumormodelle die Heterogenität eines Bauchspeicheldrüsenkarzinoms wieder und sind für spätere Anwendungen sehr viel aussagekräftiger als Versuche in Zelllinien“, erklärt Prof. Walther, und weiter: „In diesen Mäusen konnten wir die Tumorzellen mit unserem gentherapeutischen Ansatz sehr effektiv abtöten.“ Die Mäuse hätten diese Prozedur sehr gut vertragen, litten weder unter Gewichtsverlust, oder anderen Nebenwirkungen. „Erweist sich unser Therapieansatz als erfolgreich, hätten wir eine schlagkräftige Waffe gegen Bauchspeicheldrüsenkrebs an der Hand“, hofft Walther. Auch Darm-, Prostata-, Eierstock- und endometrische Krebszellen produzieren Claudin-3 und -4 auf ihrer Oberfläche und könnten Ziele einer Gentherapie mit dem Clostridium perfringens Enterotoxin sein.