Insektizide waren gestern, heute bekämpft man Mücken, indem man noch mehr Mücken freilässt. Wie das geht und was das für uns in Deutschland bedeutet, lest ihr hier.
Sie ist so klein, dass man sie zwischen den Fingern zerdrücken kann und doch ist sie so tödlich für den Menschen wie kein anderes Tier: Die Stechmücke. Denn sie überträgt zahlreiche Viren und Parasiten. Am schlimmsten betroffen sind tropische Länder, doch durch die steigenden Temperaturen müssen auch wir uns in Deutschland immer mehr mit von Mücken übertragenden Viren auseinandersetzen. So ist mittlerweile das West-Nil-Virus bei uns endemisch, welches neben Vögeln und Pferden auch den Menschen infizieren kann. Es wird vor allem von unserer heimischen Hausmücke (Culex pipiens) übertragen. Doch auch die asiatische Tigermücke (Aedes albopictus) breitet sich immer mehr bei uns aus und lässt sich auch von kalten Wintern nicht ausrotten. Sie ist Überträgerin für Viren wie das Dengue-, Zika- und Chikungunya-Virus und sorgte erst letzten Sommer für mehrere lokal übertragende Dengue-Ausbrüche in Europa (DocCheck berichtete).
Was also tun gegen die steigende Gefahr durch Stechmücken? Als wir in den 1950- und 60ern die Malaria in Europa ausgerottet haben, haben wir das – neben verbesserten Hygienestandards – geschafft, indem wir massiv das Insektizid DDT versprüht haben. Und zugegeben, wir sind die Malaria losgeworden. Auch losgeworden sind wir allerdings tausende von Vogelküken. Denn das DDT gelang ins Wasser, dort in Fische und schließlich in fisch-fressende Vögel. In den Vögeln verdünnte es dann die Schalen der Eier: Setzten sich die Eltern auf die Eier, um sie auszubrüten, platzten sie.
DDT ist natürlich ein Extrem-Beispiel, unter anderem wegen seiner sehr langsamen Abbau in der Natur und starken Toxizität. Doch auch andere, weniger schädliche Insektizide töten nicht nur Mücken, sondern – wie der Name schon verrät – auch andere Insekten, was eine große Belastung für die Biodiversität darstellt. Und die Krux an weniger toxischen Insektiziden ist, dass es Mücken meist leichter fällt, Resistenzen zu entwickeln.
Mit Insektiziden allein können wir dem wachsenden Problem der von Mücken übertragenden Krankheiten also nicht entgegentreten. Neue, umweltfreundlichere Methoden müssen her. Und besonders ein Ansatz macht derzeit Hoffnung: Die Verwendung von Wolbachia.
Wolbachia bezeichnet ein Genus gram-negativer Bakterien, dessen verschiedene Spezies als Endosymbionten in Arthropoden und Nematoden vorkommen. Etwa 50 % der Insekten-Spezies tragen natürlicherweise es in sich, darunter auch einige Mücken. Die Beziehung zwischen Bakterium und Wirt sind von Spezies zu Spezies unterschiedlich und reichen von Mutualismus bis zu Parasitismus. Soweit erstmal nichts Ungewöhnliches. Aufmerksamkeit erregte Wolbachia, als bekannt wurde, dass bestimmte Wolbachia-Arten das Immunsystem von Mücken verändern können, wodurch die Replikation von Viren und Parasiten unterdrückt werden kann.
Es folgten viele Versuche, um die richtigen Kombinationen aus Wolbachia- und Mücken-Spezies zu finden. Inzwischen gibt es modifizierte Wolbachia-Endosymbionten für spezifische Mücken und Pathogene. So gibt es zum Beispiel Wolbachia-Arten, die in Aedes albopictus transferiert werden können und dort die Replikation und somit Transmission von Viren wie dem Dengue- oder Zika-Virus verhindern kann.
Die Idee dahinter ist natürlich nicht, jede einzelne Mücke einzufangen und sie mit der richtigen Wolbachia-Linie zu infizieren. Wolbachia kann stattdessen von den Weibchen horizontal an die Nachkommen übertragen werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Männchen ebenfalls mit Wolbachia infiziert ist (W(+)) oder nicht (W(-)).
Das gilt allerdings nicht andersherum: W(-)-Weibchen können sich nur mit W(-)-Männchen fortpflanzen, nicht aber mit einem W(+)-Männchen. Man nennt dies Zytoplasmatische Inkompatibilität (ZI). In Mückenpopulationen, in denen Teile W(+) sind, haben W(+)-Weibchen also einen Vorteil und können mehr Nachkommen zeugen. Dadurch breitet sich Wolbachia immer weiter in der Population aus. Wir haben euch die verschiedenen Paarungsmöglichkeiten in der Tabelle nochmal anschaulich dargestellt.
Wolbachia im Labor zu züchten und Mücken damit zu infizieren ist extrem zeit- und kostenintensiv. Und um Wolbachia wirklich nachhaltig in einer natürlich vorkommenden Population einzuführen, müssen zu Beginn große Mengen an W(+)-Mücken freigelassen werden. Einmal etabliert, müssen dann aber nur noch hin und wieder kleinere Mengen W(+)-Mücken freigelassen werden, um die Prävalenz von Wolbachia aufrechtzuerhalten – wenn überhaupt. Das heißt, die Methode ist zu Beginn sehr teuer und aufwendig, später aber dank der ZI mit deutlich weniger Kosten und Arbeit verbunden.
Ein weiterer Faktor sollte bei diesen und ähnlichen Methoden allerdings nicht außer Acht gelassen werden: Die Akzeptanz der betroffenen Gemeinden. Gerade in Gegenden, in denen die Mückenpopulation ohnehin schon hoch und die Angst vor von Mücken übertragbaren Krankheiten groß ist, stößt die Idee, noch mehr Mücken freizulassen, nicht unbedingt auf Begeisterung. Ein wichtiger Aspekt ist also auch Öffentlichkeitsarbeit und der Einbezug der Gemeinden in die Planung.
Die ZI hilft also dabei, um Wolbachia so schnell wie möglich in der Population zu etablieren, indem man vor allem W(+)-Weibchen freilässt. Man kann sie aber auch für eine andere Herangehensweise nutzen, die schon lange diskutiert wird, um Mückenpopulationen ohne Insektizide zu verringern: Die sterile insect technique (SIT). Die Idee ist, in großen Massen sterile Männchen freizulassen, die sich dann mit Weibchen paaren, aber keine überlebensfähigen Nachkommen produzieren. Da sich Mücken-Weibchen nur einmal in ihrem Leben paaren, werden sie also null Nachkommen zeugen. So kann man schnell eine Mückenpopulation verkleinern.
Ein Vorteil dieser Methode: Es werden nur Mücken freigelassen, die den Menschen nicht stechen und ohnehin keine Krankheiten übertragen können. Denn anders als die Weibchen ernähren sich die Männchen ihr ganzes Leben lang ausschließlich von Nektar. Diese Tatsache erhöht oft die Akzeptanz der betroffenen Gemeinden.
Die Wolbachia-Methode wurde bereits erfolgreich in Singapur, Thailand, Mexiko, Australien und in den USA in Texas und Kalifornien angewendet. Dort sanken sowohl die Mückenpopulationen und als auch die Fälle von Dengue-, Zika- und Chikungunya-Infektionen. Die Wolbachia-Prävalenz in den Mückenpopulationen blieb stabil für bis zu 8 Jahre. Auch in Italien wurde letztes Jahr eine erste Studie veröffentlicht, in der erfolgreich W(+)-Aedes-albopictus-Männchen freigelassen wurden, um mittels SIT die lokale Population zu begrenzen.
Zudem wird an dem Einsatz von Wolbachia in Anopheles-Mücken zur Malaria-Prävention und in Culex-Mücken gearbeitet. Gerade letztere sind für uns relevant, da Culex-Mücken bei uns weit verbreitet sind und Viren wie das West-Nil-Virus übertragen können. Wir können uns also darauf einstellen, dass wir in den nächsten Jahren auch hierzulande immer mehr über diesen vielseitigen Endosymbionten hören werden.
Zuletzt bleibt noch zu erwähnen, dass das Ziel von Innovationen wie der Wolbachia-Methode nicht ist, traditionelle Methoden wie Insektizide komplett zu ersetzen. Forscher betonen stattdessen, dass eine kombinierte Strategie angestrebt werden sollte, bei der Mücken und die assoziierten Pathogene von mehreren Seiten attackiert werden, um so effizient und gleichzeitig umweltschonend wie möglich zu sein.
Bildquelle: Ekamelev, Unsplash